Über die Marketingkompetenz des AugustinAllgemein

Nachdem in den rund 200 Vorstandssitzungen, die es in der bald zwölfjährigen Geschichte des Augustin gegeben hat, noch nie das Wort Marketing gefallen ist, blieb uns nichts anderes über als zu googeln und zu wikipedeln, denn wir wollten ja wissen, worum es bei Marketing überhaupt geht wenn wir nun schon einmal zu einem Marketing-Tag eingeladen sind. So begann der Beitrag der Augustin-Sprecherin beim 2. Österreichischen Marketing 2007.Als wir dann Dinge lasen, wie: Marketing sei ein Denken vom Markt her, oder man verstehe darunter eine marktorientierte Verwirklichung von Unternehmenszielen und die Ausrichtung des gesamten Unternehmens am Markt, und als wir weiter lasen, Marketing habe viel mit Planung zu tun, wobei der Planungsprozess die Konzeption, die Preispolitik, die Promotion und die Verteilung des betreffenden Produkts umfasse, stand unser Urteil fest: Marketing hat nichts mit uns zu tun.

Und zwar deshalb, dachten wir, weil zwei essentielle Dinge, ohne die Marketing nicht geht, beim Augustin fehlen. Erstens das Planvolle, die Konzepte, die Zielsetzungen. Zweitens das Denken vom Markt her.

Zum ersten: Uns fehlt der Plan, uns fehlt die Definition eines Ziels. Das ist kein kokettes Understatement. Die Gründungsmenschen bestanden aus einer Gruppe von Sozak-Studis und 2 arbeitslosen Journalisten. Die arbeitslosen Journalisten lasen nach vielen gescheiterten Versuchen, sich selbst einen Job zu schaffen, über das Experiment der Straßenzeitungen in einigen europäischen und US-Städten. Wenn das in Hamburg und München funktioniert, muss es auch in Wien funktionieren, sagten sie sich. Das war die unprofessionellste Marktanalyse, die in der Geschichte der Marktwirtschaft je gemacht wurde.

Aber diese Marktanalyse Irgendwie wird das auch in Wien funktionieren gab ihnen genügend Halt, um die Sozak-Studis zu motivieren, Partner des Projekts zu werden. Diesen kam das Angebot gerade zur rechten Zeit, denn sie waren aufgefordert, im Rahmen ihres Studiums ein Sozialprojekt zu entwerfen und umzusetzen. Es war ihnen aber nichts originelles eingefallen, darum vertrauten sie der Marktanalyse und machten engagiert mit. Das Konzept erschöpfte sich in der goldenen Regel des Augustin, von keiner öffentlichen Hand, von keiner Partei, von keiner Kirche Subventionen anzunehmen.

Wenn in dieser Anfangsperiode jemand im Team gesagt hätte: Durch die bewusst marktorientierte Führung unseres gesamten Unternehmens, die sich in Planung, Koordination und Kontrolle aller auf die aktuellen und potenziellen Märkte ausgerichteten Unternehmensaktivitäten niederschlagen muss, können wir in zehn Jahren die auflagenstärkste deutschsprachige Straßenzeitung werden… Wenn also jemand im Team so geredet hätte, wäre er im besten Fall gefragt worden, ob er nicht lieber den Augustin verkaufen wolle, die Kolportage sei auch für Menschen offen, die nicht alle sieben Zwetschken beisammen haben.

Und wenn 1996 jemand gesagt hätte: Wir stehen heute nicht schlecht da. Monatlich werden 10.000 Zeitungen verkauft, wir ermöglichen 40 Menschen, durch den Verkauf etwas dazu zu verdienen, und auf den 24 Seiten, die das Blatt verfügt, können wir auf soziale Ungerechtigkeiten in dieser Stadt aufmerksam machen. Aber wir werden mehr wachsen, als alle anderen Sozialprojekte und alle anderen Medien wachsen. In elf Jahren werden wir alle 14 Tage 40.000 Zeitungen, die 56 Seiten dick sind, verkaufen, 450 Verkäuferinnen und Verkäufer werden davon profitieren, wir werden regelmäßig Radiosendungen und Fernsehsendungen machen, wir werden einen Chor auf die Beine stellen, der in elf Jahren mit der Produktion seiner dritten CD beginnt, wir werden eine Fußballmannschaft auf die Beine stellen, die bald sämtliche Wiener Obdachlosenhallenturniere gewinnt, wir werden die renommiertesten Journalistenpreise eingeheimst haben… Wenn damals jemand gesagt hätte, wir werden in elf Jahren zwölf Angestellte im Verein haben und in all den Jahren keinen Groschen und dann keinen Cent Subvention genommen haben… Wenn also im Jahr 1996 einer so was prognostiziert hätte, hätte das übrige Team großes Mitleid mit ihm gehabt. Wach auf, Träumer, wir sind in Wien, hätte man ihm gesagt.

Soviel zum Stellenwert des Planens in unserem Projekt. Nun zum zweiten, was zum Marketing gehört und was wir nicht haben: das bedingungslose Ja zum Markt.

Sie wissen, dass wir vom Marktliberalismus wenig halten. Wir reiben uns am Fetisch Markt, sowohl journalistisch als auch in der sozialarbeiterischen Praxis. Der freie Arbeitsmarkt trennt die Menschen in Stars, die einkommensmäßig völlig abheben, und Verlierer, die ständig mehr werden: in Wien gibt es schon 80.000 Sozialhilfebezieher, 20.000 mehr als vor zehn Jahren. Die Erhöhung des Marktanteils des Augustin ist nicht eines unserer Hauptziele.. Wenn das so wäre, würden wir geografisch expandieren, würden wir die Zeitung – etwa durch den Verzicht auf mehrseitige anspruchsvolle Texte popularisieren, und hätten wir das Angebot, durch einen Vorabdruck des ersten Kapitels des neuen Harry Potter-Bandes einen Run auf den Augustin auszulösen, nicht mit arroganter Ironie zurückgewiesen.

Wenn uns also das Element des Plans und die Orientierung auf den Markt fehlen wo bliebe dann noch Raum für Marketing? Freundinnen und Freunde, die von wirtschaftlichen Dingen offensichtlich mehr Ahnung als wir haben, erklärten uns in der Vorbereitung auf diesen Tag: Genau diese Rhetorik der Marktferne, diese Inszenierung von Anti-Marketing sei das Geheimnis des Augustin-Marketings. Genialer könne Marketing nicht vollbracht werden.

Das hat uns stutzig gemacht. Wenn Marketing einerseits absolute Marktorientierung, ein Denken und Planen vom Markt her bedeutet, und andererseits das Gegenteil, was ist das für ein komischer Begriff? Marketing stellt sich dann als einer der vielen Containerbegriffe heraus, den jeder und jede mit jeden beliebigen Bedeutungen füllen kann. Alles stimmt dann, und alles ist falsch. Eine Schlussfolgerung daraus könnte sein, dass Tage wie diese zum Marketing eingespart werden könnten. Das eingesparte Geld könnte man zum Beispiel dem Augustin spenden.

Und zwar zweckgebunden. Der Augustin könnte mit diesem Geld sein neues Sub-Projekt eröffnen. Die Marketingabteilung als ständige Theatergruppe. In den Pausen der Vorstandsitzungen könnte die Truppe zum Gaudium der Anwesenden Szenen des Stücks: Augustin goes Marketing aufführen. Erstes Kapitel: Wie legt man in einer Tagung über Marketing den Redebeitrag des Augustin so an, dass sich der Absatzmarkt des Augustin um die Zahl der Tagungsteilnehmer vergrößert.