Auf der Suche nach Bildern der verlorenen ZeitArtistin

Magdalena Steiners Weltliteratur-Comics: Auf Kramer folgt Proust

Bevor er die literarische Moderne mitbegründete, duellierte sich Marcel Proust noch altmodisch mit dem Kritiker seines Erstlings. Wenn er dabei draufgegangen wäre, hätten Joyce und Kafka die Moderne zu zweit begründen müssen – und die Malerin Magdalena Steiner hätte sich einen anderen Autor, eine andere Autorin für die Fortsetzung ihrer weltliterarischen Comics im Augustin suchen müssen. Von Robert Sommer.

Foto: AugustinTV

Die äußere hintere, also letzte Seite des Umschlags einer Zeitung heißt im Fachjargon U4. Wer in beliebigen Zeitungen ein Inserat schalten will, weiß, dass die U4 – natürlich nach der U1 – der teuerste Platz des Printmediums ist. Weil eine Werbung auf der letzten Seite große Aufmerksamkeit verspricht, ist die U4 bei Werbeleuten trotz ihres Preises sehr beliebt. Die U4 ist ein Schauplatz, wo – selbst in einer Zeitung, die sich nur am Rande der kommerziellen Welt bewegt, wie der Augustin – zwei Interessen ohne Kompromisschance gegeneinanderprallen: das Interesse, die Zeitung zu finanzieren, und der Traum, eine Zeitschrift ganz ohne Sachzwänge zu realisieren, ohne Druck von außen, ohne das geringste Einsickern von Geld- und Marktüberlegungen in den Prozess des Blattmachens. So gesehen war jede Augustin-Schlussseite, auf der sich kein Inserat breitmachte, sondern eine der Steiner’schen Weltliteratur-Comics, ein Sieg der Schönheit über die Notwendigkeit.

Zum vierten Mal tauscht die 1965 geborene Malerin Magdalena Steiner den Autor oder die Autorin aus. Ab sofort sind im Augustin Bilder zum Hauptwerk Marcel Prousts zu bewundern, zu dem zwischen 1908 und 1922 geschriebenen Roman «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit». Die Beschäftigung Steiners mit der österreichischen Avantgardeschriftstellerin Marianne Fritz, mit Musils «Mann ohne Eigenschaften», mit James Joyce’ Jahrhundertwerk «Ulysses» und zuletzt mit den Gedichten des aus Wien und seinem Weinviertel vertriebenen Dichters Theodor Kramer – das alles ist nun Geschichte. Umso klüger übrigens die Idee eines Mailschreibers: ein Buch sollte her, das die Illustrationen Steiners konservierend versammelt.

Am schwierigsten, sagte sie in einer Augustin-TV-Dokumenation, war es für sie, aus dem rätselhaften 8000-Seiten-Roman «Naturgemäß» der schwer zugänglichen Schriftstellerin Marianne Fritz Bilder entstehen zu lassen. Wie herausgesprudelt andrerseits entstanden die Bilder bei der Lektüre von Kramer-Gedichten, in denen sich des Poeten Weinviertler Landschaft widerspiegelt. Eine unsensationelle Landschaft wie die Gegend rund um Patzmannsdorf , wo sie lebt, malt, auf die Jagd geht, angelt oder mit dem Traktor Runden dreht, wie um den staunenden alten Bauern zu zeigen, dass zugewanderte Großstädter_innen nicht nur mit dem Rasenmäher umgehen können. Die Arbeit mit Texten gleicht manchmal einem Gang durch dichten Nebel, sagt sie. «Du siehst nichts, es entstehen keine Bilder im Kopf. Doch plötzlich reißt der Nebel auf und es passiert quasi eine Datenübertragung. Eine Textpassage liegt vor mir, und wie im Fluss entsteht ein Bild auf einem leeren Blatt Papier.»

 

Magdalena Steiner ist nicht die einzige Proust-Illustratorin

 

Wahrscheinlich liegt man völlig daneben, wenn man glaubt, dass es während der Proust-Lektüre gar nicht zu solchen kreativitätsblockierenden Nebelbildungen kommt. Die präzisen Beschreibungen, denen Proust die größte Aufmerksamkeit widmet (er kann sich seitenlang dem Kleid einer Frau widmen), scheinen der bildenden Künstlerin sehr entgegenzukommen. Schaumamal.

Eine Bemerkung Martin Walsers hat Magdalena Steiner sehr geholfen, nach Musil, Fritz, Joyce und Kramer nun für das Wagnis Proust offen zu sein: «Wer Proust liest, wird sich selbst vielleicht als eine Kümmerform menschlichen Daseins empfinden. Man hat das Gefühl, als habe man eigentlich von den Möglichkeiten des eigenen Bewusstseins bisher noch kaum Gebrauch gemacht.»

Vielleicht ist es eine Unachtsamkeit, das Monsterwerk des französischen Comic-Zeichners Stéphane Heuet gleichfalls als Kümmerform der hohen Kunst der Text-Bild-Einheit zu betrachten, zu der sich Magdalena Steiner gesteigert hat. Wer die Begriffe Proust und Comic googelt, kommt zu Heuet, der bereits seit 1998 wie ein Besessener an einer Comic-Adaption der kompletten «Suche nach der verlorenen Zeit» arbeitet, doch seine Sprechblasen-Comicstrips sind halt doch sehr konventionell und entsprechend unaufregend.

Die aus einer Künstlerfamilie stammende Malerin Magdalena Steiner hat, seit dem initiierenden Auftrag von der Redaktion, mit dem Augustin auch etwas Familienähnliches gefunden, wie sie selbst sagt. Wenn sie in Retz oder Laa an der Thaya vor einem Supermarkt einen Augustin-Verkäufer entdecke, gehe ihr das Herz auf. «Es ist, als träfe ich auf einen entfernten Verwandten.» Der Auftrag, die Rückseite des Augustin regelmäßig mit ihrem unverwechselbaren Stil zu okkupieren, wird hiermit verlängert. Das Ziel: ein Zeichen der Kommerzverneinung am Rande einer Medienlandschaft zu setzen, in der nur d a s «Zeitung» ist, was zwischen den Inseraten Platz hat, und in der Poesie und Kunst als die entbehrlichsten Elemente, ja eigentlich als störende Elemente gelten.