Barrieren überwindenArtistin

Dr. Gerald Matt, Kunsthalle, über Chen Zhen, das Museumsquartier und die Kunst überhaupt

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Dr. Gerald Matt ist nicht nur Leiter der Kunsthalle (im Museumsquartier und am Karlsplatz) in Wien, sondern auch ungewöhnlicher Denker zu Tendenzen in der Kunst und zum Kunstbetrieb. Anlässlich der aktuellen Ausstellung des chinesischen Künstlers Chen Zhen diskutierte er mit dem Augustin über Erscheinungen des Kunstbetriebes.

Kunst kommt nicht vom Können, sondern auch von Besessenheit. Kunst an andere gut vermitteln zu können, braucht ebenfalls Besessenheit. Wie wurden Sie Chef der Kunsthalle in Wien?



Dazu gehört Lebensneugier, der Wunsch, die Welt neu und damit sich selbst zu erfahren. Dazu gehören auch Momente der Leidenschaft, eine zunächst nicht definierbare Leidenschaft für Bilder und visuelle Erfahrungen. Ich komme nicht aus einem besonders kunstaffinen Elternhaus. Aber ich denke, da gibt es schon innere Antriebe, die dich unweigerlich zur Kunst führen. Als ich als Student in Innsbruck war und einmal durch das 20er-Haus (ehem. Museum für moderne Kunst) ging, befand ich mich fast in einem Glücksrausch und dachte mir: Ich will einmal Museumsdirektor werden. Da liebe ich von dem Dadaisten Walter Serner (18891942) besonders eine kleine Kriminalgeschichte, die mit dem Satz Möglichkeiten verpflichten beginnt. Ich habe versucht, meine Möglichkeiten zu nutzen, habe Jus und Kunstgeschichte studiert, bin verschiedene nicht Irr- , sondern Umwege gegangen, und irgendwann hat sich die Chance geboten, ins Bundesministerium für Unterricht und Kunst zu gehen, für die Biennalen zu arbeiten, was sehr schön war, weil ich dabei sehr viele gedankliche und visuelle Erfahrungen sammeln konnte


Die Kunsthalle Wien liegt im Museumsquartier zwischen Leopoldmuseum und MUMOK. Das MUMOK ist wie ein Bunker gebaut und signalisiert bleibt weg. Bei all den konservatorischen Bedenken: Viele Kunstwerke BRAUCHEN Licht und haben hier nur Kunstlicht.

Kunst und Kunsterlebnis hat viel mit Atmosphäre zu tun. Dabei spielt selbstverständlich auch das Licht eine große Rolle. Am meisten jedoch schaffen diese Atmosphäre die Menschen, die in den Museen arbeiten. Das sind nicht so sehr die Direktoren oder Kuratoren, sondern jene Menschen an der Kassa und auch das Aufsichtspersonal. Dabei geht es um Zuvorkommen, Freundlichkeit, Kompetenz, kurzum um Menschlichkeit und Respekt, oder betriebswirtschaftlich gesagt um Servicequalität.

Aber zurück zur Architektur. Die Frage lautet: Erleichtert diese den Zugang zur Kunst oder verschließt sie? Bei manchen Museen heute ist es so, dass die Berührungsängste, die die Menschen vor Kunst haben, durch Architektur nicht herabgesetzt, sondern befördert werden. Ein Bau, der aussieht wie ein Hochsicherheitstrakt, mit einem monumentalen Treppenaufbau, wo man erst in aller Demut hinaufsteigen muss, um in den Genuss von Kunst zu kommen, baut Hierarchien auf, schafft Abstand. Beim Licht sind natürlich konservatorische Aspekte zu beachten, aber auch die künstlerischen Aspekte spielen eine große Rolle (Malerei oder Videokunst). Im Sinne von Atmosphäre und Orientierung soll jedoch darauf geachtet werden, dass das Innen und Außen wahrnehmbar bleiben. Gerade am Karlsplatz praktizieren wir eine Strategie gegen Abschottung und Auratisierung: eine offene Architektur, die Kunst für Menschen erleb- und sichtbar macht. Das Haus am Karlsplatz ist ein Glaskubus der sich wie ein kleiner Gartenpavillon den Leuten erschließt. Man kann von außen hineinschauen und hat relativ geringe Zugangsbarrieren.

Zusammenfassend gilt wohl: Architektur soll offen und einladend wirken; was nur monumental ist und hierarchisch daherkommt, um sich selbst zu feiern, lehne ich ab. Denn Museumsarchitektur soll ein kommunizierendes Gefäß zwischen Künstlern und Rezipienten schaffen und für die Menschen und die Kunst da sein


In Ihrem Haus wurde erhoben, dass ca. drei Viertel der Besucher eine höhere Ausbildung haben.

Natürlich ist Bildung die wesentliche Voraussetzung, um Kunst zu erleben. Das gilt für Kunst aller Zeiten. Man kann auch nicht einfach ins Kunsthistorische Museum gehen, sich die Darstellung eines Heiligen Sebastian anschauen, wenn man nicht über die Geschichte dieses Heiligen Bescheid weiß. Umso wichtiger ist es, Vermittlung in der Kunst neuen Stellenwert zu geben

Picasso sagte, als er auf abstrakte Kunst angesprochen wurde, dass die Buchstaben des Alphabets abstrakte Zeichen seien. Dass es notwendig sei, ihre Bedeutung zu lernen, um den Sinn eines Wortes zu verstehen.

An sich richtig, dennoch gibt es Kunst, die leichter, und Kunst, die schwerer zu lesen ist. Das ist noch kein Qualitätsmerkmal. Doch es bleibt mir nicht erspart, mir grundsätzliches Wissen über Kunst anzueignen, wenn ich sie besser verstehen will. Die Bildungsoffensive, basierend auf die Protestbewegungen der 60er- und 70er-Jahre, hat sicher dazu beigetragen, dass mehr Menschen Bildung erhalten haben, womit auch das Potential jener gewachsen ist, die sich für Kunst und die Museen interessieren. Kunst hat und das erkennen immer mehr Menschen nicht nur mit mehr Lebenserfahrung, sondern auch mit mehr Lebensfreude zu tun

Die Wut bleibt

Ich habe oft den Eindruck: Da wird scheinbar NUR mehr Kunst für Bürowände von Konzernen produziert. Ich vermisse die Wut in der Kunst.

Die Avantgarde ist einhergegangen mit den großen Geschichten, wenn ich Michel Foucault (19261984) zitieren darf. Die großen Geschichten, oder wohl besser die großen Hoffnungen und klaren Lösungen sind abhanden gekommen. Dennoch gibt es die Wut in der Kunst genau so, wie es auch noch die Wut in der Gesellschaft gibt. Da ist die Wut über Ungerechtigkeit, über die Zerstörung der Welt, über den Zynismus der Mächtigen. Doch Vorsicht vor Vereinnahmung: Kunst ist per se keine moralische Anstalt. Die Kunst ist frei. Kunst hat jedoch AN SICH ein Veränderungspotential, kann Sichtweisen und Wahrnehmungsgewohnheiten verändern, die Welt, die müssen wir schon selbst verändern.

Für die Kunsthalle ist und war mir wichtig, immer Künstler zu zeigen, die ein zutiefst politisches nicht parteipolitisches Bewusstsein haben und Modelle aufzeigen, die für sie persönlich, aber auch für die Gesellschaft funktionieren können. Wie etwa der chinesische Künstler Chen Zhen (19552000), dessen Werk wir aktuell präsentieren. Einer, der sich früh den Problemen der Globalisierung gestellt hat. Einer, der nicht einfache Versöhnungsmodelle, Stichwort: Multikulturalität, präsentiert, sondern sagt: Das Schöne an dieser Welt sind diese kulturellen Missverständnisse und Differenzen, und von diesen Reibungen profitieren wir. Er persönlich versuchte sich zwischen den Kulturen als Reisender, Heimatloser, fortwährender Immigrant einzurichten. Das sind sehr spannende Aussagen, auch wenn sie nicht unmittelbar für jeden ein Handlungsmodell anbieten, aber sie eröffnen Gedankenräume. Man muss auch von der Anspruchshaltung herunter, dass Kunst eine politische Waffe zu sein hat. Kunst zeigt meist ganz andere Wege auf, meist sehr friedvolle, dafür aber nachhaltige.

Unsere Aufgabe ist es, auch der Kunst eine Plattform abseits des Marktes zu geben, Agora zu sein, wo gegenwärtige Probleme und Bewusstseinslagen diskutiert werden. Das hat nichts mit Konzernen zu tun, die sich ihre Wände behübschen oder gar Kunststiftungen als geschützte Werkstätten finanzieren, wo man fein unter sich bleibt, die Kapitalismus- und Gesellschaftskritik für Eingeweihte betreibt, die sich dann wissend und bestätigend gegenseitig auf die Schultern klopfen. Dass Kunst nicht nur affirmativ und brav ist, zeigt das Feridun-Zaimoglu-Projekt. Kaum gehst du mit türkischen Fahnen auf die Fassade, dann ist die Hölle los (Anmerkung: Geschehen im März 2005 mit der Aktion Kanak-Attack. Die dritte Türkenbelagerung? des Künstlers Feridun Zaimoglu). Wenn zum Beispiel eine sehr große Minderheit wie die Türken, die sehr wesentlich zum Reichtum der Gesellschaft beitragen, im öffentlichen Raum ihr Symbol auffällig zur Schau stellen, nicht in irgendwelchen geschützten Räumen, sondern an einem zentralen Platz der Republik Flagge zeigen. Bei solchen Aktionen merkt man, dass es mit der allgemeinen Toleranz rasch aus ist. Kunst muss nicht unbedingt politisch sein. Aber wenn sie politisch ist, soll sie sich nicht verstecken müssen. Dann soll sie hinausgehen, Bewusstsein wecken und Diskussionen auslösen. Das Anliegen unseres Hauses muss sein: mit Kunst möglichst viele Menschen erreichen, den künstlerischen Mehrwert nicht nur den wenigen Privilegierten zukommen lassen, sondern mit den vielen Interessierten zu teilen.


Deshalb beteiligt sich ja auch Ihr Haus an der Aktion Hunger auf Kunst und Kultur.

Menschen, die in finanzieller Not sind, können sich auch ermäßigte Eintritte von drei bis vier Euro nicht leisten. Kunst hat genug Barrieren. Geld darf jedoch keine sein. Deshalb haben wir uns mit dem Schauspielhaus und anderen (in Kooperation mit der Armutskonferenz) zusammengetan und die Aktion Hunger auf Kunst und Kultur ins Leben gerufen, um Menschen, die über wenig oder keine freie Mittel verfügen, Kunst aber erleben wollen, Kunst zu ermöglichen. Kunst für alle ist leicht gesagt, doch darf es nicht beim Lippenbekenntnis bleiben, sondern bedarf konkreter Aktionen wie Hunger auf Kunst und Kultur. Übrigens hat Dieter Schrage mit seinen Museumsführungen für den Augustin und andere Gruppen diesbezüglich eine Vorbildfunktion und hat damit in den letzten Jahren wirklich etwas ganz Tolles geleistet