Die Verweigerung des GrundlegendenArtistin

Eine Ausstellung über die bürgerliche Entrechtlichung

Wenn der vielzitierte «Turnschuh über euer scheiß Mittelmeer» (Die goldenen Zitronen) weniger Einreiseprobleme hat als der Mensch, stimmt doch irgendetwas nicht. In der Ausstellung «As Rights Go By» fragen Künstler_innen, Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen, wie uns diese Verweigerung grundlegender Rechte passieren konnte – und finden eine Vielzahl von Antworten. Von Vina Yun (Text) und Carolina Frank (Fotos).Mit der aktuellen Novelle des Asylgesetzes verabschiedet sich Österreich weiter von zentralen Bestimmungen des Rechts auf Asyl. Besonders heftig in der Kritik steht der Plan der Bundesregierung, zukünftig Sonderregelungen zur «Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung» und zum «Schutz der inneren Sicherheit» erlassen zu können. Heißt konkret: Unter Berufung auf einen «Notstand» werden dann nur mehr in Ausnahmefällen Asylanträge angenommen und behandelt. Doch wie kommt es, dass sich Gesetze, die «uns» schützen sollen, ausgerechnet gegen Menschen richten, die Krieg oder Armut zu entfliehen versuchen? Und wem nützt es, wenn im Namen der Sicherheit der einen die Unfreiheit der anderen gerechtfertigt wird?

Drängenden Fragen wie diesen geht die Ausstellung «As Rights Go By» nach, die derzeit im Freiraum Q21 im Museumsquartier zu sehen ist. Fünfzehn Arbeiten von internationalen Künstler_innen thematisieren hier soziale und rechtliche Ungleichheit als Folge neoliberaler Politik, die postdemokratische Entwicklungen beschleunigt – zu erkennen etwa am steigenden Einfluss von Lobbys und Korruption sowie an der zunehmenden Aushöhlung von Bürger_innenrechten. Startpunkt der Ausstellung ist die sechsminütige Videoarbeit «Seamless Transitions» des britischen Journalisten und Künstlers James Bridle, in der er unsichtbare und unzugängliche, weil nicht-öffentliche Orte der Verurteilung, Inhaftierung und Abschiebung von Migrant_innen in Großbritannien rekonstruiert. Die 3D-Simulation führt die Ausstellungsbesucher_innen durch das Special Immigration Appeals Court in der Londoner City, das Harmondsworth Detention Center bei Heathrow und das Inflite Jet Centre, ein Terminal am Londoner Flughafen Stanstead, von dem aus jede Nacht Abschiebeflüge starten. Die Visualisierung, die unter anderem auf Zeug_innenberichten, Bauplänen und Google Street View basiert, rückt gleich mehrere Dinge in den Blick – etwa die Nichtwahrnehmbarkeit «legaler» Prozeduren wie Abschiebungen und deren verborgene Schauplätze, und zwar in einem Land, das zu den am stärksten überwachten der Welt gehört. Zugleich hinterfragt Bridle die Form der Sichtbarmachung selbst und die Machtverhältnisse, die derlei architektonischen Visualisierungsprogrammen eingeschrieben sind – werden doch Gebäude wie das Geheimgericht oder der Abschiebeterminal, der bei Tag als exklusive Flughafenlounge für begüterte Reisende mit Privatflieger dient, mithilfe eben solcher Software entworfen.

Sicher für Waren, tödlich für Passagier_innen

Eine umfassende investigative Recherche liegt auch der Arbeit «Liquid Traces – The Left-to-Die Boat Case» des Architekten und Wissenschaftlers Lorenzo Pezzani und Charles Heller, Künstler und Mitbegründer des Projekts «Watch the Med», zugrunde. Das 18-minütige Video folgt den Spuren eines Flüchtlingsbootes, das 2011, dem Jahr des «Arabischen Frühlings», von der libyschen Küste aus Richtung Lampedusa aufbrach. Zur selben Zeit unternahm die NATO eine viel kritisierte Militärintervention in Libyen, die ihrerseits zum «humanitären Krieg» zum «Schutz der Zivilbevölkerung» erhoben wurde. Mehr als zwei Wochen lang trieb das überfüllte Schlauchboot im Mittelmeer, bis es von Wind und Strömung wieder zurück nach Libyen getrieben wurde. Von den 72 Bootsinsass_innen starben 63, nur neun überlebten – in Stich gelassen von den patroullierenden NATO-Militärschiffen ebenso wie von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, den nationalen Marinewachen und Fischerbooten, die sich in der Nähe aufhielten und mit denen die Geflüchteten Kontakt aufzunehmen versuchten. «Sicher und schnell für kommerzielle Waren und privilegierte Reisende, langsam und tödlich für unerwünschte Passagiere», heißt es in «Liquid Traces» über die «flüssige Geografie» des Mittelmeers. Offiziell wurden in den letzten zwanzig Jahren rund 14.000 Todesfälle von Migrant_innen an der südlichen Seegrenze der EU dokumentiert. Indes liegt eine unbekannt hohe Zahl an Toten «still» am Meeresgrund, im meistbewachten Gewässer der Welt – getötet vom Grenzregime der Europäischen Union. Aufgrund des Reports von Pezzani und Heller, der auf Augenzeug_innenberichte, Satellitenbilder und wissenschaftliche Berechnungen zurückgreift, schlossen sich 2012 mehrere NGOs zusammen und brachten gemeinsam Klage gegen jene NATO-Mitgliedsstaaten ein, die die Hilfestellung für die Geflüchteten vor Ort unterließen.

Porzellanteller mit Folterbildern

Wie der Appell an «Sicherheit» nicht nur Abschottung nach außen, sondern auch Kontrolle nach innen und die Zurücknahme allgemeiner Rechte legitimiert, verdeutlicht die Arbeit des in Kiew lebenden Künstlers Nikita Kadan. Nationalismus, Machtmissbrauch der Exekutive und Zensur in der postsozialistischen Ukraine sind wiederkehrende Themen, mit denen sich Kadan beschäftigt. «Procedure Room» ist der Titel einer Serie von acht Porzellantellern, auf denen Foltermethoden der ukrainischen Polizei dokumentiert sind. In ihrem Stil sind die Darstellungen an Abbildungen aus einem klassischen Medizinlexikon der Sowjet-Ära angelehnt und gleichen einer Handlungsanleitung. Fast scheint es, als würden die malträtierten «Patient_innen» lächeln: Gewalt und Misshandlung als notwendige Behandlungsmethode, zum Wohlergehen der Allgemeinheit. «‹Procedure Room› ist zwischen 2009 und 2010 entstanden und basiert auf Recherchen der Menschenrechtsaktivist_innen Kateryna Mishchenko, Maxim Butkevich und Maxim Demchenko», erklärt Nikita Kadan uns die Hintergründe zum Werk. «Zu jener Zeit gelangten immer mehr Informationen über Folterungen an die Öffentlichkeit. Bei den Maidan-Protesten wurde das Ausmaß der Polizeigewalt dann auch für die Weltöffentlichkeit sichtbar. Derzeit wird die ukrainische Polizei refomiert, unter anderem mit dem Ziel, Folterungen zu unterbinden. Zugleich wissen wir, dass im Kriegsgebiet im Osten des Landes Folter noch immer Realität ist.» Das schockierende Gefühl, das «Procedure Room» hinterlässt, speist sich nicht zuletzt aus dem brutalen Widerspruch zwischen Form und Inhalt: Folterbilder als charmant gestaltete Souvenirartikel zum An-die-Wand-Hängen. «Folterungen bleiben meist undokumentiert», so Kadan. «Festgehalten werden in der Regel nur die Spuren, die die Gewalt hinterlassen hat. In der ukrainischen Gesellschaft war Folter lange eine Art offenes Geheimnis: Jede_r wusste, dass sie existiert, aber niemand sprach darüber. In ‹Procedure Room› geht es auch um die kollektive Verantwortung.»

Produktiv bis zum Ableben

Das Auseinanderbrechen gesellschaftlicher Solidarität, das durch den Einfluss von transnationalen Konzernen und Finanzmärkten auf politische Agenden vorangetrieben wird, ist auch in der Installation «The Amazing Board Games Club» von Lina Theodorou Thema. Seit 2012 entwickelt die in Athen und Berlin tätige Künstlerin Games, die klassische Brettspiele zum Vorbild haben. In der Ausstellung präsentiert sie zwei davon: das Finanzbrettspiel «Pawnshop (Pfandhaus) – Days of Mistrust», eine Persiflage des kapitalistischen Spieleklassikers «Monopoly», sowie «Save the Pensioner», das dem Lernspiel «Electric Questioner» nachempfunden ist. «Pawnshop» lässt die Besucher_innen die von Schuldenkrise und Austeritätsprogrammen zerrüttete Alltagsrealität in Griechenland «nachspielen» Anstatt Profit zu maximieren muss hier der Bankrott abgewendet werden – wenn nötig mittels Korruption, Schmuggel und Betrug. Indes involviert «Save the Pensioner» das Publikum in eine fiktive Pharmawerbekampagne: Slogans wie «Be a shortcut in evolution» oder «When the check up becomes a start up» sollen die alternde Bevölkerung dazu motivieren, länger fit zu bleiben – und damit auch länger zu arbeiten und produktiv zu sein.

Mit der Comic-Wandtapete «Die glorreichen Sieben» von MigrafonA, einem Kollektiv von Künstlerinnen und Aktivistinnen in Wien, endet der Rundgang durch die Austellung. Sieben Märchenfiguren treffen einander in der Aufenthaltsbehörde und schwören sich ein auf den gemeinsamen Kampf gegen die Hydra, den rassistisch-repressiven, nationalstaatlichen Behördenapparat. Derart rückt «Die glorreichen Sieben» die historischen Kontinuitäten der Marginalisierung und Ausbeutung von Migrant_innen und People of Color, aber auch deren Kämpfe für gleiche Rechte, Partizipation und Selbstbestimmung ins Bild. Und führt damit Momente der Utopie und des Widerstands ihrer notwendigen Sichtbarkeit zu.

As Rights Go By. Über Rechtsverlust und Rechtlosigkeit

Bis 5. Juni, Eintritt frei

freiraumQ21 International, MuseumsQuartier Wien, 1070 Museumsplatz 1

www.q21.at