1. Akt: Diese Stadt ist anders!Artistin

Eine Häuslbauer-Farce in Romanform von Monaldi & Sorti

Zwei Marsmenschen aus Italien

«Dies ist also das Grundstück? Sehr gut, das Haus baue ich Ihnen. Ja, ich garantiere Ihnen sogar, dass es in einem Jahr fertig sein wird. Hier kommt der Eingang hin. Die Treppe legen wir nach links. Wo wollen Sie die Küche haben?»

Der Baumeister ist sich seiner Sache sehr sicher, während er plaudernd das Grundstück besichtigt, das wir soeben in einem schönen Viertel am Stadtrand von Anderswo gekauft haben. Vor Freude wissen wir uns kaum zu fassen. Wir werden ein Haus in der Stadt bauen, die für uns nach Rom die schönste der Welt ist.

«Braucht man denn keine Bewilligung, bevor man anfängt zu bauen?» fragt Francesco erstaunt.

«Ach, wenn es nur darum geht, können Sie schon mal die Möbel für Ihr neues Haus kaufen!» antwortet der Baumeister. «Die Bewilligung ist eine reine Formalität! Man reicht einen kleinen Entwurf in der Baubehörde ein, und in ein paar Monaten ist schon alles erledigt. Doch gestatten Sie mir eine Frage: Fühlten Sie sich denn in Italien nicht wohl?»

«Natürlich», antworten wir, «aber auch Anderswo ist wunderschön! Vielleicht beschließen unsere Kinder eines Tages, hier zu leben. In Anderswo ist keine Rede von Mafia, Streiks und Unordnung. Der Verkehr funktioniert. Die Postämter funktionieren. Alles funktioniert! Das muss daran liegen, dass die Leute hier ehrlicher sind als in Italien! Anderswo ist, wie soll man sagen ».

«Anderswo ist anders», sagt der Baumeister lächelnd, und Sie werden sehen: in der Baubehörde gibt es nur grundehrliche Menschen, sie funktioniert genauso perfekt wie alles andere.

Das war im Frühling 2004. Dieser Baumeister hat uns das Haus niemals gebaut. Der nachfolgende Baumeister auch nicht. Und der nach ihm auch nicht. Um genau zu sein, liebe Leser von Anderswo, mussten Eure Autoren, um ihr Einfamilienhaus bauen zu können, folgende Sammlung anlegen: 6 Architekten, 6 Baumeister, 5 Einreichungen, 5 Bauverhandlungen, 3 Bewilligungen, 6 Abbruchbescheide, 3 Duldungsbescheide, 4 Baustopps, 10 Ortsaugenscheinverhandlungen, 7 Gutachten der Stadtbild-Behörde, 11 Vermessungen durch verschiedene Ingenieure, 1 Vermessung durch das Vermessungsamt, 2 Rechtsansichten des Büros für Rechtsgutachten, 1 Gutachten der Dienststelle Stadtplanung, 2 Äußerungen des Bezirks, 3 Prozesse beim Bezirksamt, außerdem 2 Androhungen der Abrissbehörde und 1 offizielles Einschreiten von Ludwig van Beton, dem omnipotenten Leiter der Baubehörde und Bewerber um das Bürgermeisteramt. Nicht zuletzt gab es Beleidigungen, Streit, Verletzte, Anzeigen, Prozesse, Strafurteile, lange Artikel in Zeitungen und Nachforschungen der Justiz (die noch immer andauern).

Nicht einmal für den Bau des Empire State Building oder der Chinesischen Mauer wurde so viel Beamtentinte, so viel Bauherrenschweiß und so viel unschuldiges Blut vergossen. Und das Schlimmste ist, dass es noch Jahre so weitergehen könnte! Was mag der Bürgermeister von Anderswo, Harry Grammelsucht, der so aufgeweckt und sympathisch aussieht, wohl darüber denken? In einer Zeitung lasen wir seinen Appell: «Investieren Sie in Anderswo! Wir sind der Standort der Zukunft!»

Mamma mia! Wie waren dann die Standorte der Vergangenheit? Plötzlich kam uns ein Zweifel: vielleicht haben wir gar nichts verstanden. Prompt fühlten wir uns wie zwei versehentlich auf den Planet Anderswo gefallene Marsmenschen.

Die Baubehörde droht mit Hausabriss

Das Problem, um das es geht, ist ganz einfach: Eines schönen Tages, das Haus war bereits eingeweiht und möbliert hoppla! erklärte die Baubehörde die Baubewilligung irrtümlich für null und nichtig, ohne diese Entscheidung anzukündigen oder sich dafür zu entschuldigen. Und nun Überraschung! droht sie mit dem Abriss des Hauses. Ja, genau das ist uns passiert!

Ihr werdet sagen: Hier ist ein guter Anwalt vonnöten. Doch wenn man Rat und Hilfe sucht, gerät man an Leute wie Dr. Blutsauger zu Nimmersatt, den ungeheuer kostspieligen Superexperten für Verwaltungsrecht. Als wir den Irrtum der Baubehörde erwähnen, reagiert er mit einem empörten Drohknurren, dann bricht er in ein satanisches Gelächter aus: «Wie können Sie es wagen? Eines Tages früh um sechs werden die Abrissbirnen der Baubehördenbagger Sie wecken, und dann wird nichts mehr zu machen sein! Sie haben keine Hoffnung mehr! Har har haaaaaarrrr!»

Wie bitte? Ihr sagt, liebe Leser, wir hätten uns einen anderen Anwalt nehmen sollen?

Dr. Schreibschön, unser derzeitiger Verteidiger (wir haben viele ausprobiert), schüttelt bekümmert den Kopf und rückt sich die schöne goldfarbene Krawatte zurecht: «Alle meine Anträge wurden schubladiert. Die Baubehörde sucht nach jedem erdenklichen Vorwand, um Ihnen die Bewilligung nicht zurückzuerstatten. Das ist lächerlich! So etwas habe ich in meiner ganzen Karriere noch nicht erlebt!»

Im Hintergrund lachen unsere Feinde. Gangsta, Roiba & Schummel, die boshaften Techniker der Baubehörde bereiten ungestört ihre nächsten Hinterhalte vor. Ihr Vorgesetzter, Mag. Mag. Dr. Dr. Bautrick, ehemaliges enfant prodige und ein hochintelligenter, raffinierter Geist, ist der Einzige in dieser Stadt, der etwas von Baurecht versteht, genießt aber bei seinen Technikern nicht das geringste Ansehen. Er selbst würde diese Geschichte am liebsten beenden und uns mit einem Tritt in den Hintern und unserer Bewilligung in der Tasche aus seinem Büro jagen. Aber er hat uns gestanden: «Man kann nicht Klavier gegen alle Winde spielen.» Der arme Mag. Mag. Dr. Dr. Bautrick hat furchtbare Angst, seinen Posten zu verlieren. Und er hat recht: Die Parteien denken schon an die nächsten Wahlen, voraussichtlich ein harter Kampf.

Auf den Hauswänden von Anderswo prangen gigantische Plakate des ehemaligen Bürstenverkäufers und Vorsitzenden der Partei «Ausländer Raus!» Benito von Peitsche, der soeben seinen neuen Wahlslogan lanciert hat: «Wenn Grammelsucht nicht alle Ausländer aus Anderswo vertreibt, werden wir sie aus Anderswo vertreiben.» Und was macht Grammelsucht? Er versucht, der Partei «Ausländer Raus!» Wähler wegzuschnappen, indem er ankündigt: «Wenn die Ausländer unsere Sprache nicht perfekt beherrschen, werden wir ihre Häuser dem Erdboden gleichmachen!»

Wie funktioniert eigentlich Anderswo?

Da sind wir wahrhaftig in einem schönen Schlamassel gelandet! Wollen wir wetten, dass die von «Tomaten Rein!» erst unser Haus plattmachen, und die von «Ausländer Raus!» uns dann wegen des Sprachproblems rauswerfen? Wir haben beide einen grässlichen Marsmenschenakzent!

Recht bedacht, hat jedoch sogar die attraktive Athena Schmusenreich, Vorsitzende der Umweltschutzpartei «Erbsen Rauf!» und stellvertretende Bürgermeisterin von Anderswo, einen leichten ausländischen Akzent. Also wird vielleicht auch ihr Haus dem Erdboden gleichgemacht? Oder sie wird rausgeworfen? Tatsächlich hat die Schmusenreich uns erklärt, wie Bauangelegenheiten hier funktionieren (davon werden wir später erzählen). Möglicherweise können wir aber auch einfach nicht verstehen, wie Anderswo funktioniert oder zumindest seine Baubehörde. Sonst wären wir schließlich nicht in dieser Situation, meint ihr nicht auch?

Jedes Mal, wenn wir aus unserer Heimat zurück nach Anderswo kommen, fährt das Taxi an den Fenstern von Gangsta, Roiba & Schummel vorbei. Sobald die Behörde in Sicht kommt, heben unsere Kinder die Fäuste und machen Stinkefinger zu den Fenstern der Techniker hinauf, die es darauf abgesehen haben, ihr Kinderzimmer in einen Haufen Schutt zu verwandeln. Dazu murmeln sie schreckliche Verwünschungen in einem Gemisch aus Italienisch und Deutsch, in dem man nur die Worte «Baubehörde» und «Tod» heraushört. Der Taxifahrer fragt bestürzt: «Was ist denn los?» Verlegen überspielen wir die Situation.

Kurzum, hier in Anderswo fühlen wir uns wirklich wie Marsmenschen. Doch was geschehen ist, ist geschehen. Gehen wir der Reihe nach vor und kehren zu den Fakten zurück.

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