Eine Art Orgien-Mysterien-SpielArtistin

Von der Angst (des Toreros) über die Würde (des Stiers) zum Tod (von beiden)

Vor den Recherchen zu seinem Dokumentarfilm «Arena» (seit 5. März im Kino) hatte Günter Schwaiger wie die meisten Menschen ein eher distanziertes Verhältnis zum Stierkampf. Der in Neumarkt/Salzburg geborene Regisseur, der seit 18 Jahren in Madrid lebt, begann sich aus ethnologischen Gründen für die Corrida zu interessieren und stieß dabei auf archaische Instinkte, die vor allem TierschützerInnen sehr schwer zu erklären sind. Ein Augustin-Gespräch.Wenn man wie du in Madrid lebt, muss man sich da quasi an den Stierkampf gewöhnen?

Stierkämpfe sind eine singuläre Erscheinung in unseren Breiten und gehören zu Spanien. Als solches werden sie aber auch politisch instrumentalisiert.

Was war dein Zugang zum Stierkampf vor dem Film?

Ich habe Mitte der 90er Jahre meinen ersten Stierkampf gesehen, der damals einer der wichtigsten eines ganz berühmten Toreros war. Trotz meiner distanzierten Sicht und sicher auch gewisser Vorurteile bemerkte ich, dass diese Stimmung in der Arena etwas Eigenes ist, das auch mich bis zu einem gewissen Grad hineinzuziehen vermag. Man könnte dieses archaisch anmutende Schauspiel mit Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Spielen vergleichen.

Und wie siehst du den Stierkampf jetzt?

Durch die intensiven Recherchen habe ich zwar sehr viele negative Aspekte des Stierkampfes kennen gelernt, kann aber gleichzeitig auch ein sehr tiefes Verständnis dafür aufbringen. Mein Zugang ist ein anderer geworden, weil mich vor allem die Stierkämpfer selbst, die ich vorher nicht persönlich kannte, als Menschen sehr stark berührt haben. Ich habe sie früher vielleicht mehr als Stars gesehen, als schillernde Figuren, die nicht so ein tiefes Bewusstsein haben.

Du hast also zwischen Stierkampfgegnern und -befürworten so etwas wie eine dritte Sicht aus der Perspektive der Toreros gewonnen?

In der Auseinandersetzung mit ihnen habe ich gemerkt, dass es sehr einfache, sehr meditative und sehr sensible Menschen sind. Menschen, die mit dem Tod leben, das aber nicht vor sich herschieben oder verdrängen, sondern den Tod als Grundbestandteil ihrer Existenz annehmen. Das ist eigentlich etwas, das beim Menschen zu einer Art von Weisheit führt, nämlich die Limitationen des Menschen und unserer Welt so zu nehmen, wie sie sind.


Stierkämpfer leben asketisch

Ein bestimmter Menschentyp? Im Film wird bedauert, dass «die Jugend heutzutage» nur auf Partys geht und mit Stöpseln in den Ohren herumläuft, dass die Ernsthaftigkeit zum Torero fehlt.

Auf jeden Fall. Traditionell kommen in der Geschichte des Stierkampfes Toreros aus oft sehr einfachen Familien. Es ist zwar ein Klischee, aber es entspricht auch der Realität: Die Bereitschaft, sein Leben aufs Spiel zu setzen, war immer schon bei Menschen, die nichts zu verlieren haben, größer als bei jenen, die viel zu verlieren haben. Die moderne spanische Gesellschaft hat ein gespaltenes Verhältnis zum Stierkampf. Einerseits sehen viele den Stierkampf als Teil der Vergangenheit, die man überwinden muss. Anderseits beinhaltet ja das Stierkämpfersein nicht nur, dass man Erfolg haben kann, ein Star wird oder im Mittelpunkt steht, sondern auch viel Verzicht. Verzicht auf vieles, was heutzutage absolut essenziell ist: Privatleben, Ausgehen, Freundinnen haben. Stierkämpfer werden heißt sehr asketisch zu leben, und das ist etwas, was viele Jugendliche einfach nicht wollen. Gleichzeitig ist die Figur des Stierkämpfers in der Gesellschaft nicht mehr so angesehen und wird auch von vielen hinterfragt. Das hat sich geändert gegen früher. Die Stierkampfwelt selbst ist aber auch nicht bereit, für den Stierkampf zu werben das tut man einfach nicht. Entweder man ist bereit dazu oder nicht.

Wer wird eigentlich heute noch Torero?

Oft kommen sie aus Familien, die zum Stierkampf eine Beziehung haben. Wer Stierkämpfer wird, muss das aus der Berufung heraus. Man kann und darf niemand davon überzeugen wollen. Das muss der Junge selbst spüren. Er setzt ja dann auch sein Leben aufs Spiel, und so etwas darf man niemanden einreden.

Schon mit «Hafners Paradies» hast du ein Tabu gebrochen. Aber deine Dokumentation über einen aus seiner Unverbesserlichkeit keinen Hehl machenden Nazi konnte dir nicht so viele feindselige E-Mail-Reaktionen eintragen wie «Arena». Die Viennale, wo dein Film in einer Reihe von mehreren österreichischen Filmen letzten November Premiere hatte, bekam bereits im Vorfeld dutzende zum Teil nicht gerade nette Aufforderungen von StierkampfgegnerInnen und TierschützerInnen aus aller Welt, «Arena» wegen «Stierkampfverherrlichung» aus dem Programm zu nehmen, was Hans Hurch natürlich nicht tat. Hast du mit solchen Kalamitäten gerechnet?

Im Film kommen die Stierkampfgegner ungefähr in dem Verhältnis vor, wie ich sie auch beim Drehen angetroffen habe. Man trifft sie nicht sehr oft, aber sie sind präsent. Was mich am meisten überrascht hat, ist, dass die Gegner auf den Film reagieren, ohne ihn gesehen zu haben. Das würde heißen, dass allein die Beschäftigung mit dem Thema tabu ist. Das finde ich in jeder Hinsicht kontraproduktiv, selbst aus deren eigener Sicht heraus. Ich respektiere sie natürlich und kann auf ihre Art und Weise versuchen, sie zu verstehen. Wenn man jedoch über ein Thema polemisiert, muss man sich damit auseinander setzen. Bei Stierkampfgegnern habe ich das Gefühl, und ich habe viel recherchiert im Vorfeld und mit vielen gesprochen, dass es gar keine Bereitschaft gibt, sich mit dem Thema an sich auseinander zu setzen. Nur moralisch zensierend zu sein ist nicht hilfreich für den Tierschutz. Es scheint ihnen weniger um die Tiere zu gehen als um den Stierkampf, sonst müssten sie jeden Tag vor Schlachthäusern demonstrieren. In der Arena stirbt der Stier in Würde und nach einem guten Kampf kann das Publikum den Torero auffordern, den Stier leben zu lassen. Das geht hinter den verschlossen Türen eines Schlachthauses nicht, auch nicht in Portugal, wo der Stier zwar den Kampf überlebt, dann jedoch trotzdem ins Schlachthaus abtransportiert wird.

Der Körper ist wichtig wie bei Tänzern

Zerbricht nicht auch mancher Traum vom großen Matador an körperlichen Voraussetzungen?

Ja, natürlich gibt es immer wieder Schüler, die versuchen, Stierkämpfer zu werden, müssen aber aufgeben, weil sie nicht den Körper dazu haben und dann die Schulen verlassen müssen. Der Körper ist ganz wichtig wie bei Tänzern. Sie sollten zart, schlank und nicht allzu groß sein, aber doch sehr muskulös. Das Charisma sieht man oft schon bei den ganz Kleinen, diese Fähigkeit, aus dieser Konzentration der Überwindung der Angst heraus und der absoluten Körperbeherrschung darüber hinaus noch in die Arena zu strahlen.

Wie bist du zu deinen Protagonisten gekommen?



Ich wollte eine gewisse Chronologie des Stierkampfes in den Film bringen. Die Buben beginnen mit ca. 6, 7 Jahren spielerisch zu üben, gehen dann mit 9 oder 10 in die Stierkampschulen. Ich wollte wissen, was so einen Jungen dazu bringt, warum macht er das? Wie leben die Familien damit. Die Schule und die Teilnahme an einem Stierkampf kostet ja auch Geld, das sich manche Familien gar nicht leisten kann. Wie gehen die Mütter damit um, wenn ihre Söhne in die Arena gehen. Die madrilenische Stierkampschule habe ich ausgesucht, weil sie die wichtigste der Welt ist. Juan habe ich auf einem Dorfplatz zufällig gefilmt und kennen gelernt. Er ist einer der wenigen wilden Toreros, also ein wandernder. Solche Stierkämpfer gibt es heute kaum mehr, und er hat mich wieder in einen Park in Madrid gebracht, wo Toreros trainieren. Von dort fand ich auch die Profi-Stierkämpfer.

Info:

Arena

Ein film von Günter Schwaiger

Österreich/Spanien 2009

105 Min. derzeit im Votivkino

www.arena-film.com

www.votivkino.at

Über Günter Schwaiger

Geboren 1965 in Neumarkt-Salzburg, Österreich. Studierte Ethnologie und Theaterwissenschaften an der Universitat Wien. Seit 1993 Regie und Produktion von Kurz- und Dokumentarfilmen, die auf vielen internationalen Festivals teilgenommen und zahlreiche Preise gewonnen haben (Best Film Uppsala, Best Film Elche etc.). 2005 bekommt er den Förderpreis für Kunst und Kultur der Stadt Salzburg für Der Mord von Santa Cruz. 2007 wird sein Film Hafners Paradies mit dem Tiempo de Historia Preis für den Besten Dokumentarfilm beim Internationalen Film Festival in Valladolid ausgezeichnet. Er führt auch Theater- und Opernregie. In seiner Arbeit konzentriert er sich auf das Thema der Einsamkeit und Kommunikationsarmut in einer erkalteten Welt.