Wie viel Protest verträgt der Protestsongcontest?Artistin

Eine Lehrstunde der österreichischen Musikseele

«Wir brauchen eure Hilfe, aber wir lassen uns von niemandem instrumentalisieren», sagte Salaheddine Najah, einer der Sänger der «Refugees of the Refugee Protest Camp Vienna» in seiner Rede nach dem Auftritt der Refugee-Band. Er widersprach damit dem medial verbreiteten Märchen, linke europäische Aktivist_innen hätten die Flüchtlingsproteste für ihre eigene Agenda vereinnahmt. Genau mit diesem Satz begründete eine halbe Stunde später das Jurymitglied Peter Paul Skrepek, Sprecher der Musikergilde, einer Vereinigung der freischaffenden Musikschaffenden Österreichs, warum er den Refugees keinen einzigen Punkt gegeben und damit Benedikta Marzano zum Sieg verholfen hat. Ein Jammer – und sehr österreichisch.Der von «Je t’aime, Vienne» tief beeindruckte Moderator Dirk Stermann meinte noch, mensch solle Jurymitglieder nicht dafür strafen, den Refugees nicht die Höchstpunkte zu geben, Martin Blumenau, Mirijam Unger und Doris Knecht setzten ein klares Zeichen und unterstützten den musikalischen Protest gegen die rassistische österreichische Asylpolitik, indem sie die Refugees unaufgeregt auf Platz eins setzten. Nina Weißensteiner («Der Standard») scherte aus dem Kanon der Solidarität aus und setzte die Refugees nur auf Platz vier hinter «Anstaltskinda», «Tiefsinntaucher»

und «Linksabbiega». Ihr gutes Recht, werden jetzt einige Leser_innen einwenden, die Gruppen haben ihr wahrscheinlich besser gefallen. Gefallen? Der Leadsänger der «Anstaltskinder», die letztlich punktegleich mit den Refugees auf Platz 2 landeten, meinte auf die Frage, wogegen sich sein Protest wendet: «Am meisten gegen mi söwa!» Die Autoaggression als die einzig breit anerkannte Protestform in Österreich.

Mutiger war da schon der Musiker und Streetartkünstler Skero, der die Refugees

auf Platz 3 versetzte und das Publikum mit der Bemerkung: «Sie hätten zuletzt ja viel Zeit zum Üben gehabt» in fassungsloses Staunen. Später musste er sich eine Entschuldigung des Sängers Salaheddine Najah gefallen lassen: Es tue ihm leid, dass seine Performance so schwach gewesen

sei – aber die Kräfte seien ihm wohl beim Hungerstreik abhanden gekommen.

Alles normal.

Es war allen bekannt, dass zwischen Halbfinale und Finale des Protestsongcontests zwei performende Künstler der Refugee-Band verhaftet worden waren und deshalb nicht dabei sein konnten – trotzdem

fand es keine der neun anderen Bands vor, während oder nach ihrem Auftritt der Mühe wert, ein Wort über die Refugees zu verlieren. Keine Empathie, kein «Ich geh auch auf die Demo am Samstag»,

nicht mal ein «Backstage hab ich mit Salah gesprochen, die sind echt cool drauf!» Und schon gar nicht: «Punkte für uns sollen bitte an die Refugees gehen.» Es wäre so leicht gewesen, zusätzliche Sympathiepunkte zu ernten – der kompetitive Charakter der Veranstaltung ließ alle schweigen. Es war sowohl einzelnen Jury-Mitgliedern, Austropops und Publikum möglich, auf ihrer Form der Normalität zu beharren. Sie konnten es sich erlauben, auf ihren absurden Leistungsidealen

zu bestehen, Gleichheit zu fordern, wo doch Solidarität gerade am 12. Februar so naheliegend gewesen wäre. Publikumsschimpfer_innen nahmen das demokratische Missverständnis bereits

vorweg, indem sie «Schilder runter» brüllten, um von Forderungen wie «Bleiberecht für alle» oder «Stop deportations» nicht länger behelligt zu werden.

Skero muss noch üben

Peter Paul Skrepek hatte es als letztes Jurymitglied in der Hand zu entscheiden, er genoss es sichtlich und formulierte: «Ich entscheide nicht demokratisch, sondern individuell.» Zwar ist dies inhaltlicher

Magertopfen, es war aber klar, was er ausdrücken wollte. «Ich nehme mir das Recht heraus, unsolidarisch zu sein.» Der Zilk-Stimmen-Imitator meinte Benedikta Marzano unterstützen zu müssen, weil sie «eine Stimme wie Dagmar Koller» habe. Der Nachteil der Refugees, tatsächlich

in einer radikal prekären Lebenslage zu sein, der in einem Protestsongcontest ein Vorteil sein sollte, wurde wieder zum Nachteil. Niemand traute es sich offen auszusprechen, es war aber dennoch

deutlich, dass manche die Refugees beim Contest als privilegiert wahrgenommen haben und sich diesem «Privileg» der Armut nicht beugen wollten. Ganz große Klasse war das FM4-Team, allen voran Moderator Dirk Stermann, deren empathische Solidarität trotz der peinlichen Jury-Entscheidungen aus dem Abend noch ein rauschendes Fest werden ließ: Der Auftritt der Refugees, so sagte er sichtlich bewegt, sei in seiner zehnjährigen Geschichte der erste wirkliche Grund, den Protestsongcontest zu veranstalten.

P. S.: Das Gerücht will, dass Skero bereits kundgetan hat, dass er beim nächsten Solidaritätskonzert für die Refugees auftreten könnte. Die Antwort muss in etwa lauten: «Lieber Skero, wir müssen

dir leider absagen. Deine Chance, dich politisch zu profilieren, war am 12. Februar. Bis zum nächsten Mal musst du wohl noch ein bisschen üben.»