Es dauert meist die ganze NachtArtistin

Kulturverein Einbaumöbel:

Schon das fünfte Jahr wird im Gürtelbogen 97 jeden ersten Donnerstag im Monat nach eigenen Angaben gelesen, gesungen, gerappt, gestrickt oder einfach nur zugehört. Die Volxlesung definiert sich als offene Bühne, niederschwelliger als jeglicher Poetry Slam. Für Eigenes, Fremdes, Geschriebenes oder Ungeschriebenes gibt es ein Getränk als Belohnung.Gerappte Klänge erfüllen das ehrwürdige Literaturhaus in der Seidengasse an diesem Abend. An diesem Abend ist die Volxlesung aus ihrem Einbaumöbel im Gürtelbogen Nummer 97 ausgezogen, um sich hören zu lassen, um ihre Hörbuchanthologie vorzustellen. Organisator Reinhard Mader kann bei der Begrüßung nicht wirklich sagen, was die zahlreichen Gäste erwartet, denn genau das macht die Volxlesung aus. Mit einem saloppen Ja, viel Spaß jetzt , überlässt er dem Wort das Wort. 20 Sekunden bleibt das Sofa auf der Bühne allein stummer Zeuge der Stimmung. Das ist ganz normal, kommt Reinhard Maders Nachsatz aus den Reihen des Publikums. Und dann geht es los. Menschen, die gerne ein bisschen plaudern, bevor sie loslegen. Menschen, die mit ihren Texten wie ein Pflug durch die Menge fahren. Menschen, die ihre Texte lieber von anderen lesen lassen. Das Mikrophon ist offen. Und nicht nur die Tontechnikerin wartet gespannt, was passiert. Ich wollte eine Fernsehsendung ohne Bild machen. Stattdessen machte ich eine Radiosendung ohne Ton Aber wie bitte einen Artikel über die Volxlesung ohne Text?

Slammen ohne Wenn und Aber

Es ist schon wahr, was Reinhard Mader sagt: Die Volxlesung zu beschreiben ist schwer, sie muss erlebt und erspürt werden. Er selbst hat sich von Anfang an im Einbaumöbel engagiert, dem Kulturverein zur Förderung kulturell kreativer Freiräume. Bei der von Bella Prinz, Elmar Rainer und Lex Wostry gegründeten Volxlesung war er am Anfang nur Zaungast. Sehr bald machten ihn Konzept und Stimmung der Veranstaltung aber zum Stammgast und brachten ihn auf die Idee, seine geschriebenen Texte auch einmal vorzulesen. Als die Gründer der Volxlesung ihre Zelte in Wien abbrachen, nahm er sich der Organisation des Events an. Gleichzeitig lockert er als DJ die Sessions immer wieder mit Musik auf. Seit neuestem entstehen seine Texte auch ausschließlich während der Volxlesungen, berichtet der mutmaßliche Multitasker.

Die Niederschwelligkeit des Angebots eines offenen Mikrophons ziehe viele an. Mit den üblichen saisonalen Schwankungen sei die Volxlesung immer gut besucht. Performances, ja Balletteinlagen kommen durchaus vor, viele lesen aber einfach auch nur ihre Texte. Als Honorar für jeden Beitrag gibt es ein Freigetränk und so darf der Abend lang werden und dauerte schon einmal bis zum nächsten Tag mittags. Im Schnitt dauert eine Volxlesung allerdings zwischen drei und vier Stunden. Nach mehrmaligem Nachfragen muss ich es einfach glauben: Die Volxlesung kommt ohne Regeln aus. Keine Voranmeldung, kein Zeitlimit, schlechte Texte muss das anwesende Volk einfach aushalten. Sexistische oder rassistische Texte seien in der Volxlesung erfreulicher Weise noch nie vorgekommen. Bei der Grundstimmung im Verein sei dies auch eher unwahrscheinlich. Sollt es dennoch passieren, würden sie umgehend das Gespräch mit den Vortragenden suchen. Etwas langatmige Präsentationen würden schon manchmal durch vorzeitigen Applaus verkürzt, meint der Organisator. Eine Beurteilung der Texte gebe es aber keine. Das Publikum ist einzige und letzte Instanz und wünsche sich mittlerweile manchmal bestimmte Texte. Ob diese Wünsche in Erfüllung gehen, entscheide wiederum der bzw. die Vortragende.

Konzeptuelle Unplanbarkeit

Eine derartige Dramaturgie oder ein thematischer roten Faden, wie er am Abend einer Volxlesung meist entsteht, wäre durch Planung unmöglich, erklärt Reinhard Mader. Er beobachte ein selbstorganisiertes Aufeinanderschauen mit beachtlichen Resultaten. Wie aber bringt man/frau derartige konzeptuelle Unplanbarkeit auf Papier? Man/frau nehme einfach den Untertitel Texte vom permanenten Jetlag und lasse im Vorwort offen, ob der bzw. die LeserIn bei der Lektüre Leberaufstrich, knackiges Studentenfutter, gesundes Obst, leichtes Knabbergebäck oder klebrige Süßigkeiten konsumiert. Und zwischen den Deckeln komme, was kommt, vom konkreten Gedicht über E-Mail-Korrespondenzen bis zum dialektalen Werk. Und wer ein Buch haben will, das spricht, greift zur ebenfalls erschienen Hörbuchanthologie der Volxlesung, zwei so genannte Disketten, die den bekannten Silberscheiben allerdings verblüffend ähnlich sehen und auch von CD-Playern widerstandslos zur Abspielung entgegen genommen werden. So klingen die Stimmen vom permanenten Jetlag.

Die Volxlesung wird auch in Zukunft nicht ausschließlich im Einbaumöbel anzutreffen sein. Ein bereits realisierter Ausflug nach Berlin zu seelenverwandten Kulturinitiativen machte Lust auf mehr. So ist auch ein Tag in Köln geplant, mit Performances in der Stadt und abends in einem einschlägig wortgewandten Lokal. Im Juni dieses Jahres feiert der Kulturverein Einbaumöbel sein fünfjähriges Bestehen mit einer Ausstellung. Unberechenbar wie, aber sicher dass die Volxlesung dort vertreten sein wird.

Info:

Volxlesung

Jeden ersten Donnerstag im Monat

Einlass: 20 Uhr, Beginn ca. 21 Uhr

Einbaumöbel, Gürtelbogen Nr. 97

Web: http://1bm.at/volxlesung/

Buch und Hörbuchanthologie sind über den Verein erhältlich.