Gefallene mit Flügeln wie EngelArtistin

Aus Anlass von "Gender Check": Gespräch mit Tadej Pogacar, Slowenien

Es sei noch zu früh, um Kunst zum Thema Krieg zu erwarten, meint der slowenische Künstler Tadej Pogacar, der auf verschiedenen Biennalen zum Thema «Sexarbeit» ausstellte und gerade bei der Gender Check-Ausstellung im Wiener MUMOK dabei ist. Seine Kunst, in der Prostituierte und Obdachlose den Ton angeben, steht im lebendigen Gegensatz zu den im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien verbreiteten militärischen Helden-Denkmälern der Kirche. Tadej Pogacar im Augustin-Gespräch.Für Jugoslawien vor dem Krieg gewann ich den Eindruck, dass die männlichen und weiblichen Rollen nicht so stark ausgeprägt und klassifiziert waren wie in Österreich.

Die Geschlechterrollen waren offener als heute. Die Unterhaltungsindustrie war nicht so entwickelt (lacht). Überall auf der ganzen Welt interessieren sich Frauen für Aussehen und Kleidung, aber in der Zeit des Sozialismus waren die Leute nicht so von ihren Körpern besessen. Das soziale Leben war nicht so kommerzialisiert. Für die verschiedenen Minderheiten war die Zeit sicher repressiv, aber im Vergleich zu anderen Ländern konnten wir jederzeit in den Westen reisen. Wir brauchten nicht einmal ein Visum für Russland. Nur in Jugoslawien waren die Unterschiede zwischen Westen und Osten nicht so dramatisch. Auch in der Frage der Bequemlichkeiten und der Populärkultur waren wir ziemlich offen.

Als der Krieg kam, fragte ich mich: Wo kommen alle diese männlichen Männer plötzlich her?

Im Territorium des Balkan oder in Südosteuropa blieben historisch viele Fragen offen, die nie gelöst wurden. Wenn du Probleme unter den Teppich kehrst, tauchen sie früher oder später wieder auf. Die Idee von Jugoslawien als einem utopischen Modell nahm an, dass jeder Teil bzw. jede Sprachgruppe Erlebnisse der Geschichte unterdrücken solle, und dann könnten wir zusammen unter dem Label der Einheit und Brüderlichkeit funktionieren. In der Geschichte Jugoslawiens siehst du eine Menge Spannungen und unterschiedliche Ideen von Hegemonie, aber die offizielle Politik balancierte das einige Dekaden lang aus. Doch mit der ökonomischen Krise kamen diese ganzen unterdrückten Ungerechtigkeiten heraus; denn es gibt dann immer Gruppen, die wirklich gemein und sehr böse agieren und beginnen, mit diesen ganzen unterdrückten, niedrigen Gefühlen zu spielen. Wie mit Nationalismus oder Maskulinität es ist unglaublich, wie viele verschiedene Varianten von Herrschafts-Mythologien es gibt. Durch diese noch nicht lang vergangene Geschichte lernten wir, dass nichts hinter uns in der Vergangenheit liegt; es kann jederzeit wieder auftauchen und noch einmal auftauchen. Diese Armut und einige verrückte Leute und dann hast du eine Explosion. Die offizielle serbische Politik wollte ein Großserbien machen, und wenn du eine Art von wirklich fragiler Balance hast von sechs Republiken und dann steht eine abseits und crasht diese Balance, hast du sehr schnell ein Desaster. Slowenien war nur zehn Tage im Krieg, unsere Propaganda fing nicht einmal zu arbeiten an. Das passierte alles sehr plötzlich, und dann war es schon vorbei. Die Propaganda um die Rolle des männlichen Kämpfers, des männlichen Helden, der nie vergessen sein wird, war in Kroatien viel stärker und tiefer als in Slowenien, ich denke, es wird zumindest ein bis zwei Generationen brauchen, um diese Geschichten zu überwinden.

In Slowenien gab es viele Deserteure.

In dieser Zeit, als wir unabhängig wurden, verfügten wir über keine Armee, in Slowenien gab es nur eine halb militärische Gruppe, die Territorialverteidigung. Tatsächlich gingen nur ein paar Tage später, nachdem wir unsere Unabhängigkeit deklariert hatten, die Panzer aus den Armeebaracken rund um die Stadt Ljubljana in Position. Es gab eine Art von ziviler Verteidigung mit Lastwagen und Autobussen, mit denen sie Blockaden organisierten, so dass die Panzer durch diese Busse brachen. Das sah sehr spektakulär aus. Die Mehrheit der Männer wurde nicht einmal einberufen, um zu den Waffen zu greifen. Ich auch nicht, ich wurde bereits mit 18 Jahren aus dem Militär entlassen (lacht), ich konnte es nicht aushalten, also schickten sie mich nach Hause.

Der nackte Fußballstar

In Israel und Palästina siehst du viel Kunst zu Soldaten. Ich erinnere mich an ein Foto von schlafenden Soldaten in einem Bus in der Früh bei Sonnenaufgang (Untitled, the soldiers series, Adi Nes 2003). In der Ausstellung Gender Check gibt es nicht viel Kunst zu Soldaten. Der Krieg ist doch nicht so lange her, zehn Jahre?

In Israel gibt es seit Generationen Soldaten. Das Militär ist aktuelle lebenslange Realität für viele. Fußballspieler sind auch eine männliche Heldenrolle. Es gab bei uns einen Skandal über ein Bild eines männlichen nackten Körpers. In einer Zeitung erschien ein Foto von einem Fußballspieler, wie er nackt aus seinem Swimming-Pool kommt. In Gender Check gibt es nur den männlichen nackten Körper als Teil der Kunstwelt keinen Kontext des Alltags, keine sozialen Bedingungen. Das ist schade. Wenn in der Ausstellung diese Körper in einem abstrakten Raum unter abstrakten Bedingungen gezeigt werden, ist das sogar für mich schwer zu verstehen. Mit den Daten aus den 70er oder 80er Jahren kann ich mir ungefähr etwas vorstellen, aber wie die Situation in Bulgarien oder Weißrussland war, überhaupt nicht. Ich vermisse den Kontext.

Es gibt diese sozialistischen Bilder mit den Arbeitern, dann hast du Körper-Kunst, dazwischen fehlt mir als Missing Link der Krieg. In Wien leben noch immer viele Flüchtlinge, die wegen des Kriegs gekommen sind.

Ich denke, es ist zu früh. Für Kroatien, Serbien oder Bosnien ist es zu früh. Wir brauchen noch einmal zehn Jahre, denke ich. Es ist zu hart. Es war zu schrecklich, und das Leben im Alltag veränderte sich nicht so sehr. Es gab hohe Erwartungen nach den Friedensabkommen, aber zumindest weiß ich von den Bosniern, dass sich nicht viel verändert hat. Es herrscht überall diese eingefrorene Situation vor. Es wird länger brauchen, denke ich, dann können wir auch diese Bilder von Soldaten sehen.



Mir als Außenseiterin kommt es so vor, als ob niemand diese Pseudo-Ruhe stören will, jeder trinkt weiter Kaffe, raucht seine Zigaretten und verhält sich so, als ob alles ganz normal wäre. Wir sind noch dieselben auch nach dem Krieg. Die Frage bleibt offen, wer eigentlich für den Krieg verantwortlich ist.

Ich hörte aus Sarajevo, das ja eines der schrecklichsten Beispiele für den Krieg ist, dass die gleichen Leute, die Verbrechen begangen, weiterhin Nachbarn sind. Sie wissen voneinander und übereinander, dieser tötete meinen Onkel oder meinen Bruder, und du gehst in sein Geschäft und kaufst Brot von ihm. Du weißt es, und es gibt keinen Ausweg, und du kannst dieser Situation nicht entfliehen. Nirgendwohin. Also ist das irgendwie dein Schicksal, und du musst überleben. Das ist viel härter als alles andere.


Wer baut die meisten Kirchen?

Ich machte damals Interviews mit Frauen, die vergewaltigt wurden und nach Österreich flüchteten. Der gößte Schock war, dass der Täter ein Nachbar war oder jemand aus der Schule, Männer, die sie ihr ganzes Leben lang kannten. Wie können die Frauen den Männern vertrauen?

Das passiert überall, denke ich. Wenn man über häusliche Gewalt liest, passiert der Großteil der Gewalt zuhause zwischen den Familienmitgliedern. Für mich ist das auch schockierend. Die sind gegen dich, die wirklich wissen, wie sie dich verletzen können.

Die Militarisierung der Männer hatte nichts mit Nationalismus zu tun. Denn die Ehefrauen der Soldaten in Zagreb oder Belgrad wussten auch, dass ihr Mann mit einer Pistole unter dem Kopfkissen schläft.

Deswegen litten die Bosnier am meisten, denn die waren das Hauptthema bei den gemischten Nationalitäten. Bosnien ist eine Mischung von Nationen, mit der größten Zahl an gemischten Ehen und Religionen. Ich konnte mir auch nie vorstellen, dass 2009 die verschiedenen Kirchen eine Konkurrenz starten würden, welche Religion die meisten Kirchen baut. Es gab nie so eine Unmenge an verrückten Kriegs-Denkmälern wie jetzt. Niemals zuvor. Auf einer Konferenz erfuhr ich, dass diese Ästhetik der Denkmäler auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückgeht. Sie nahmen eine Kitschästhetik aus dem 19. Jahrhundert auf, es ist unglaublich. Prämodern.



Wie schauen die aus?

Das sind Skulpturen aus dem 19. Jahrhundert mit Kitsch-Realismus, kombiniert mit katholischer Ikonografie, wie ein gefallener Soldat mit Flügeln, wie ein Engel und so ein Mist. Man kann das nicht glauben. Diese Verschiebung zum Kapitalismus löste keine Probleme, sondern verursachte ein anderes Bündel Probleme. Erst die Teilung in diese Länder, die der Europäischen Union beitreten können, und diejenigen, die nicht dürfen. Immer neue Trennungen, Teilungen, Eifersucht, böse Emotionen. Und jetzt einen sehr wilden Status des Kapitalismus mit allen möglichen verrückten Sachen, die in Osteuropa wie in Südamerika passieren. Bei uns herrscht diese frühe wilde Phase des Kapitalismus, in der die Marktökonomie verändert wird: Erst einmal müssen alle lokalen Initiativen zusammenbrechen du demolierst alle lokalen Geschäfte und dann führst du große internationale Firmen ein.

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