Großmütter, die regieren, und Kärntner, die helfenArtistin

Véro La Reine vereint traditionelle Bikutsi-Musik mit der Moderne ihrer Erfahrungen

Bikutsi-Musik diente den Frauen in Kamerun früher als Möglichkeit, Sorgen auszutauschen und sich Tipps und Ratschläge zu holen. In der Öffentlichkeit zu sprechen statt Probleme zu schlucken. Die hart arbeitende Musikerin Véro La Reine will diese Tradition weiterführen.Ob sie nun aus Solidaritätsgründen auf der Kundgebung zum «Internationalen Hurentag» in langem Rock und hohem Turban herumstiefelt und Scherze reißt, während sie von den Passant_innen angestarrt wird, oder ob sie mitten in der Ausstellung «Fluchtlinien. Kunst und Trauma» direkt vor den gemalten Bildern von Holocaust-Überlebenden Bikutsi spielt und alle Anwesenden zu einer heilsamen Polonaise bringt, schwarze und weiße Menschen in einer langen Schlange vereinigt – die Sängerin Véro La Reine hat nie aufgegeben, ein gewisses musikalisches, aber auch inhaltliches Erbe weiterzuvermitteln. Gewisse Werte von Gemeinschaft, aber auch von Stärke und Solidarität unter Frauen bzw. Menschen überhaupt sind ihr wichtig. Ohne Ehrgefühl, Respekt und Würde geht nichts. Véro La Reine ist eine Feministin aus Kamerun, die auch noch eine «Königin» ist – laut ihrem Künstlerinnennamen. Die alten jüdischen Menschen, die als Kinder die Shoah überlebt hatten, freuten sich über ihr Fluchtlinien-Konzert, und die heutigen Flüchtlinge fühlten sich geehrt. Der Percussionist Ibou, der im Wiener AKH nach seiner Flucht fast an Lungenentzündung eingegangen wäre, spielte ebenfalls begeistert mit.

Kühler Regenurwald


Zum Interview in der rosaroten Aida in der Wiener Neubaugasse trägt Véro schon wieder eine neue Frisur, lange rotorangene Zöpfchen. «Das ist Absicht. Ich spiele mit Celia Mara auf dem Frauenmusik-Festival in Frankfurt, ich muss wie eine echte Afrikanerin ausschauen», lacht sie. «Béti Héritage. Bikutsi du Cameroun» heißt ihre neue CD, die bald auf ihrem Label «Ebele» (Name des «Lebensbaums» im Regenwald) erscheinen wird. «Die Béti sind mein Volk. Ich komme aus dem Regenwald in Kamerun, also einem Urwald, in dem es viel regnet. Es ist immer kühl da. Liegt etwas oberhalb vom Äquator.» Die Musikerin überrascht alle mit ihren flotten Sprüchen, achtzehn Jahre Kärnten, als einzige Afrikanerin in Villach, haben ihre Spuren hinterlassen. Der Name «La Reine» ist von ihrem Kärntner Ehemann mit Nachnamen «Lamreiner» abgeleitet.

Das erste Lied auf der CD, «Nlan Bikutsi», handelt von der Kommunikation in der Partnerschaft. «Die Frau sagt dem Partner, was sie sich wünscht, sie teilt ihre Gefühle durch die Musik mit, das war in der Geschichte immer so. Auf diese Weise haben die Männer zugehört», erklärt Vero. «Immerhin besser als zu streiten oder zu sagen, du, mach‘ das nicht!»

Bikutsi ist traditionell Frauenmusik, durch die Lieder übergeben ältere Frauen den jungen ihre Erfahrungen und Ideen. Heutzutage gibt es aber auch ein paar seltsame, kommerzielle, pornografische Ausprägungen davon im Internet. Die Musik bedeutete aber eigentlich etwas ganz anderes.

Véro suchte im Kamerun alte Sängerinnen und Sänger auf, um die traditionellen Bikutsi-Stücke aufzunehmen. Ihr zweiter Song wurde von dem berühmten Bikutsi-Musiker Messi Martin mitkomponiert. «Er ist der Papa des modernen Bikutsi. Er baute selber eine passende Gitarre, ohne ihn würden wir immer noch Balaphon spielen. So wollte ich dieses Album haben, afrikanische Tradition und modernes Europa, eine schöne Mischung mit dem immer lieben Mamadou Diabate am Balaphon, Pascale Lebongo, Gitarrist aus dem Kongo, dem Kärntner Akkordeonisten Martin Sadovnik und dem alten Schlagzeuger von Hubert Goisern, Bernd Bechthoff. Der Chor wurde in Kamerun aufgenommen.»

Brunnenbau-Schule


Véro stieß mitten im Regenwald auf ein Problem: Die Frau, die für ihre Musiker_innengruppe kochte, verstarb an einer Krankheit, die von schlechtem Wasser ausgelöst war. «Sie hatte schon Würmer im Arm. Es war schrecklich. So eine liebe Frau, mit vier Kindern. Ich wollte das erst gar nicht machen, denn ich war im Regenwald, um einen Film mit der alten Bikutsi-Musikerin Anne-Marie Nzié zu machen, aber ich startete dann ein Projekt, in dem Jugendliche lernen, selber Brunnen zu bauen. Ich suchte mir einfach ein Dorf mit Stroh- und Blechhütten aus, in dem die Lage am schlimmsten war. 500 Einwohner. Die Kärntner Brunnenbaufirma «Leben braucht Wasser» unterstützte mit Ausbildung vor Ort. Ich träume von einer Brunnenbau-Schule, wo die Menschen lernen, selber Brunnen zu graben.»

Auf der CD findet sich auch ein altes Lied, das Großmütter für die Kinder singen, in dem sie über Gesang eine Geschichte erzählen. Véro kennt es schon seit ihrer Kindheit im Dorf. Sie singt «Bikoko Biyoko» mit einem ganz schönen, langgezogenen Unterton in der Stimme. Wunderschön der Chor dazu. Ein Reggae-Bikutsi. «Das Wasser aus dem Brunnen trinken jetzt auch die Leute, die mit dem Auto vorbeifahren. Sie kommen extra kilometerweit her, um Wasser zu holen. Ich sah alte Leute, die weinten vor Freude. Das ist Hilfe zur Selbsthilfe.»

Bei den Afrika-Tagen im August auf der Wiener Donauinsel wird die CD das erste Mal präsentiert werden, denn es tut Véro leid, dass Bikutsi in Europa nicht bekannt ist; nur Paul Simon in Frankreich spielte die Rhythmen. «Früher war die Situation besser für Frauen, weil Frauen das Sagen hatten, mein Großvater zum Besipiel war König, aber meine Großmutter hat regiert. Durch die Modernität bekamen Frauen die Füße nicht mehr auf den Boden. Männer wollten aus der Tradition nur das mitnehmen, was für sie super war. Aber man kann jemanden, der so hart arbeitet, nicht ignorieren.»

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Wasserprojekt

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