«Hallo, hier spricht die Mafia, machen Sie mit uns Musik?»Artistin

Musikalische Geschichtsvermittlung: Esther Bejarano und die Microphone Mafia

Esther Bejarano, 89, hat das Konzentrationslager Auschwitz als Mitglied des «Mädchenorchesters» überlebt. Musik war ihr Überleben und Musik ist ihr Leben. Heute tritt sie gemeinsam mit der Kölner Hiphop-Kombo Microphone Mafia auf. Zur antifaschistischen Demonstration in Braunau am 19. April gaben sie das Abschlusskonzert.In Braunau steht ein Haus, von dem jede_r weiß. Vor 125 Jahren wurde dort ein Kind geboren, das sich zum nazistischen Massenmörder entwickelte. Das «schwere Erbe», wie es gern genannt wird, treibt die Braunauer_innen um. Was können sie dafür, dass Adolf Hitler ausgerechnet in diesem pittoresken Städtchen am Inn das Licht der Welt erblickte? Richtig, nichts. Und dennoch heißt’s einen Umgang mit der Geschichte finden. Nicht nur als historische, sondern auch als aktuelle Fragestellung: Das sogenannte Hitler-Geburtshaus steht mitten in Braunau. Salzburger Vorstadt 15 ist die Adresse, aber der Name täuscht, tatsächlich handelt es sich um eine, wie es in der Sprache des Immobilienmarkts so schön heißt, Toplage in der Braunauer Innenstadt. Jahrzehnte lang wurde das Haus von der Lebenshilfe genützt, Behindertenwerkstätten befanden sich darin. Eine «elegante Lösung», wie Astrid Hainz es nennt – sie ist in Braunau groß geworden, in der kommunistischen Jugend politisiert und «dadurch, dass Braunau relativ symbolträchtig ist, haben wir als Jugendbewegung immer schon antifaschistische Aktionen gemacht.» Heute lebt Astrid Hainz in Salzburg, studiert dort und kommt zur jährlichen Demonstration zurück.

Verschiedenerlei Gedenkkultur

Auch wenn die Belegschaft der jugendlichen «Antifa» schrumpft, scheint ihre Demonstration, die seit 2001 rund um den 20. April, den Geburtstag von Adolf Hitler, organisiert wird, mittlerweile ein fester Bestandteil der Braunauer Mahn- und Gedenkkultur zu sein. Einige hundert, Altersdurchschnitt eher jugendlich, kommen mit Zug und Bus angefahren, um vom Braunauer Bahnhof durch die Innenstadt zu demonstrieren. Die roten Falken, die kommunistische Jugend, ein Black Block bestehend aus jungen Punks vom «Infoladen Wels». Rote und schwarze Fahnen werden geschwungen, Brechtzitate sind auf Transparenten zu lesen, nur einzelne lehnen sich mit ihrer Kreativität ein bisschen aus dem orthodoxen Fenster: Ein junger Demonstrant etwa trägt ein Schild mit der medial berühmten «grumpy cat» und dem simplen Schriftzug: «Hitler’s dead? Good.»

Dabei soll die ganze Sache auf breitere Bündnisfüße gestellt werden, findet Robert Krotzer, der schon seit Beginn dabei ist. Immerhin: Die Gewerkschaft mobilisiert, vereinzelt ist jemand mit dem Parteioutfit der Grünen unterwegs, Bürgermeister Waidbacher hat einen der Demo-Organisator_innen als Sprecher zur heurigen offiziellen Mahnstunde am 9. Mai eingeladen. Gegenseitige Annäherung «unterschiedlicher kultureller Bilder», wie der Historiker und ehemalige Braunauer Schuldirektor Florian Kotanko den culture gap in der Gedenkpolitik nennt.

Rap gegen Rechtsrock

Heuer ist den Organisator_innen der Demo ein besonderer Clou gelungen: Für das Abschlusskonzert konnte Esther Bejarano gewonnen werden. Bis sie tatsächlich auf der Bühne steht – ein LKW wurde quer über die Fahrbahn der «Salzburger Vorstadt» gestellt -, vergeht noch ein Weilchen. Die Fahrt vom Flughafen dauert länger als geplant, Kutlu Yurtseven von der Microphone Mafia muss die kleine Menge allein unterhalten.

Mit Gründungsjahr 1989 ist die Microphone Mafia einer der am längsten aktiven Hiphop-Acts in Deutschland. «Wir waren lange Zeit keine politische Band. Klar, wir haben über Rassismus gerappt, Mölln, Solingen, aber im gleichen Atemzug haben wir Dinge wie «Schwuchtel MC» oder «In dein‘ Arsch, dummer Junge» gesagt – in unserer Gegend war das normal.» Die Politisierung setzte in den 2000ern ein. Nach einem Konzert bei «Beats against Fascism» kam ein Genosse von Kanak Atak mit einem Freund im Schlepptau zu ihnen. «Er sagte, hier, das ist der Klaus, und lasst uns mal unterhalten. Und dann meinte der, Jungs, was ihr als Bestrafung seht, ist für mich Liebe. Dann haben wir uns echt lang mit ihm unterhalten, und dann haben wir den Text geändert.» Oder ein Auftritt im Autonomen Zentrum in der Kölner Weinstraße: «Die Punker haben uns angekuckt: Was ist das denn, die kommen mit’m BMW-Mietwagen vor’s AZ?! Aber es hat funktioniert. Und da haben wir gemerkt: Okay, es geht alles.»

Zu «allem», was geht, gehört auch die Zusammenarbeit mit Edna, Joram und Esther Bejarano. Mit der gemeinsamen Musik haben die Bejaranos und die Mafiosis sozusagen in der Not begonnen. Weil Neonazis und andere Rechtsradikale in Deutschland auf Schulhöfen CDs mit Rechtsrock verteilten, wollte die Microphone Mafia ein Gegenprojekt starten: mit Musik Geschichte vermitteln – ernsthaft, aber so, dass es Spaß macht. Ein Mittel zum Zweck? «Nein», sagt Esther Bejarano, «eine große Hilfe». «Doch», widerpsricht Kutlu, «es war ja nicht so, dass wir eine Band gründen wollten. Die Microphone Mafia hatte die Ambition, solche Texte zu rappen; und Esther hatte die Ambition, ihre Botschaft an Jugendliche zu vermitteln. Da waren wir beide erst einmal Mittel zum Zweck: Aber eben ein positives Mittel und ein positiver Zweck.»

«Warum ruft die Mafia bei mir an?»

Von Anfang an: Lehrer Kutlu, der mit seinen Schüler_innen auch Schiller und Brecht rappte, dachte daran, sich zur Geschichtsvermittlung auf musikalischem Weg autobiographischen Notizen von Häftlingen aus NS-Konzentrationslagern und Ghettos zu nähern. «Das Problem war nur, mit solchen Texten kann man natürlich Menschen weh tun – mit Schiller und Brecht nicht.» Also suchte die Microphone Mafia nach musikalischen Verbündeten, «die mir sagen, das kann man machen, und das kann man nicht machen.»

Die Bejaranos kamen ins Spiel. Der Erstkontakt war Joram, der Kutlus Hiphop zwar nicht begeistert umarmte, aber sich doch mutig darauf einließ. Als beide den Eindruck hatten, daraus könnte was werden, bekam Kultu den Auftrag, Esther anzurufen. «Und ich habe sie angerufen mit dem legendären Satz: Hier ist der Kutlu von der Microphone Mafia. Die Antwort war noch legendärer: Warum ruft die Mafia bei mir an? Daraufhin hab ich gesagt, nein, wir sind doch eine Rap-Band, und sie meinte: Was ist das für ein bekloppter Bandname?» Kutlu machte sich also auf nach Hamburg, um die damals 85-Jährige zu treffen: «Und ich dachte: Was für eine krasse Frau. Ja, so hab ich damals noch geredet!»

Als die Bejaranos die Bühne erklimmen, gibt’s Applaus und freudiges Gegröle. «Toll, Esther», sagt Kutlu lachend, «kaum bist du da, stiehlst du mir die Show.» Die eigentliche Show ist aber die Kombination der drei Musiker_innen. Der große, breite Kutlu, die schmale, kleine Esther und der unprätentiös musizierende Joram – ein Dreamteam.

Nach Auschwitz muss man Musik machen

Esther Bejarano hat eine lange Musikgeschichte. Aufgewachsen als Tochter eines Kantors und Opernsängers, war Musik Teil ihres Alltags. Als junges Mädchen wurde sie von den Nazis nach Auschwitz verschleppt. Aus Ihrer Familie überlebte nur sie den Holocaust. Und das, so sagt Bejarano, verdankt sie auch der Musik: «Wir haben zu Hause immer Musik gemacht, und das hat mir im KZ sehr geholfen: dass ich Lieder von Mozart, von Schubert, die ich bei meinen Eltern gelernt habe, benutzen konnte, um noch ein Stückchen Brot mehr zu kriegen. Die Blockältesten haben immer von mir verlangt, Lieder für sie zu singen. Und wenn ich das gemacht habe, hab ich ein Stück Brot oder ein Stück Margarine oder ein Stück Wurst gekriegt.» Der schweren körperlichen Zwangsarbeit konnte Bejarano entgehen, indem sie sich ins «Mädchenorchester Auschwitz» hineinreklamierte. Alles andere als eine schöne Art, Musik zu machen. Die Jugendlichen wurden gezwungen, ihre Orchestermusik erklingen zu lassen, wenn Züge mit Menschen ankamen, die in die Gaskammern getrieben wurde.

Ist einer die Musik da nicht für den Rest des Lebens verleidet? «Nein, absolut nicht.», sagt Esther Bejarano. «Ich stehe nicht auf dem Standpunkt, nach Auschwitz könne man keine Musik mehr machen, keine Gedichte, keine Bücher mehr schreiben, keine Bilder mehr malen. Ich sage, gerade weil ich in Auschwitz war, muss ich doch meine Musik, die ich ja schon früher immer gemacht habe, benutzen, um die Menschen zu erreichen und um ihnen beizubringen, was dort alles geschehen ist. Und was die Nazis heute schon wieder anstellen.»

Mit diesem Ziel geht Esther Bejarano mit ihrer neu gewonnenen Musikfamilie in Schulen. Esther Bejarano würde Rap zwar nicht als ihre Lieblingsmusik bezeichnen, aber sie hat sich damit angefreundet. Manches an der Rap-Kultur bleibt ihr fremd – etwa wenn die Mafiosi die Bühne stürmen und erst einmal laut nachfragen, ob alle da sind. «Ich hab gedacht, sag‘ mal ist der bekloppt oder was, der sieht doch, dass die da sitzen, und dann fragt er: Seid ihr alle da?» Aber all diese Anekdoten sind gezeichnet von gegenseitigem Respekt und professioneller Bewunderung. Und dem Publikum ist die Rollenverteilung ohnehin egal: «Es geht schon so weit, dass in den Schulen die Kinder ganz aufgeregt fragen: Wo ist denn nun die Rap-Oma?» – und darüber kann Esther Bejarano mit 89 nur fröhlich lachen.

Fotos: Carolina Frank