Irgendeine Identität zu haben ist üblich: als Türke, als Mann…Artistin

Ein Mann hat wie ein Mann zu sein

Seine Gastarbeiterji-Fotos stellt er in der Türkei aus, die Bilder, die er im Zeitraum von 20 Jahren in seinem türkischen Dorf machte, in Österreich. Der Künstler und Sozialarbeiter Mehmet Emir, der mit einem Kunst-Studium an der Akademie begann, zum Thema Männlichkeit in drei Generationen.

Wie würdest du türkischen Humor definieren? Gibt es nicht eine bestimmte Art gelassene oder philosophische Witze zu machen?

Die türkische Sprache ist sehr blumig und voll der Nuancen, man kann sehr viele Andeutungen machen. Es steckt auch eine gewisse Lebenseinstellung dahinter, aus deren Sicht sich der Humor ergibt. Bei der deutschen Sprache habe ich eher das Gefühl, wenn man mit Hilfe des Alkohols ein bisschen angeheitert ist, kann man die Sprache als solche verwenden oder den Humor hervor heben, aber ansonsten ist man ein bissl steif. Ich kann es mir nur so erklären, dass türkische Leute sehr viel zusammen sind. Die Österreicher sind meistens alleine, dadurch tun die nur mit sich selber reden, die denken viel nach, tun sehr viel lesen, vieles machen sie irgendwie alleine. Ich denke mir, Humor, humoristisch zu sein, hat einfach mit anderen zu tun. Der entwickelt sich durch die anderen. Ich alleine mit mir kann nicht lustig sein – dann werde ich deppat. Die Sprache hat im Türkischen auch nicht so etwas Hartes an sich, sie ist nicht nur ein Werkzeug, um die Grundbedürfnisse des menschlichen Wesens von sich abzugeben. Wenn man in ein Kaffeehaus geht, schön und gut, dass die Zeitungen da liegen, dass man an Melange, Bier oder einem Glaserl Wein hängt und die ganzen Zeitungen in sich aufnimmt und alles aufsaugt – aber ist man dann glücklich? Hilft das einem, das Gelernte im täglichen Leben humoristisch darzustellen? Da hat man Angst, jemanden anzusprechen, man muss Alkohohl zu sich nehmen, damit man sich traut, diese Grenzen zu überschreiten. Einen Schritt auf den anderen zuzugehen. Man tut nur so schauen.

Im Zusammenhang mit den Briefen an deinen Vater, die du regelmäßig im Augustin veröffentlichst, interessiert mich dein Männerbild. In Österreich gibt es das Vorurteil, dass bei den Türken die Männer total wichtig sind, wobei es doch einen ganz großen Sprung zwischen den Generationen gegeben hat. Wie würdest du die Vor- und Nachteile jeder Generation in Bezug auf ihr Mannsein beschreiben?

Ich gehöre zur zweiten Generation, kam 1981 nach Wien und lebte bis zum Alter von 16 Jahren ohne den Vater. Er arbeitete in Wien bei einer Baufirma. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich dieses fiktive, nahe Männerbild überhaupt nicht habe – wie ein Mann zu sein hat, wie man einer sein soll, was einen Mann ausmacht. Dass ich nur biologisch einer bin und mich dieser Umstand mit all seinen Mustern zum Mann macht. Ich imitiere meinen Vater nicht, aber ich schaue mir gerne dieses Selbstbewusste auf seinen Fotos an, das ein bisschen Dominante. Er ist sich seiner Männlichkeit bewusst, er hat es zu etwas gebracht, er kann nur aufgrund seines Mannseins so posieren. Ich spüre dieses Gefühl in mir selber überhaupt nicht. Meine Mutter war Mutter und Vater zugleich, sie zog alleine acht Kinder groß und arbeitete in der Landwirtschaft. Sie übernahm zwei Rollen gleichzeitig, das wirkte sich auf mich so aus, dass ich sehr viel von meiner Mutter habe, die weibliche Seite kommt bei mir stark zum Vorschein. Ich bin sehr weich, ich habe nicht diese Härte. Dass bedeutet nicht, dass jeder Mann eine gewisse Härte haben muss oder ausstrahlt. In Beziehungen habe ich damit immer wieder Schwierigkeiten, denn es geht ja nicht nur um mich, wie ich mich als männlicher Teil der Beziehung verhalte, sondern es wird ja auch vom anderen Geschlecht Männlichkeit erwartet, es gibt gewisse Muster, die von mir ausgeübt werden müssen. Ich bin ein Teil der Vorstellungen von anderen, von den Frauen, die eben doch mit einem Mann zusammen sein wollen, weil sie das so gelernt haben. Ein Mann hat wie ein Mann zu sein.

Und die nächste Generation, die Jungen? Ich habe oft den Eindruck, die sind noch mehr in dieses Männliche gekippt.

Ich arbeite in einem Jugendzentrum, da merke ich, dass es in Richtung traditionelles Männerbild geht. Bei den Migranten aus der Türkei betrifft das zum Teil auch klassenspezifische Unterschiede, ob das ein Kind aus einer reichen, akademischen Familie oder einer Arbeiterfamilie stammt. Die Religion spielt ebenfalls eine große Rolle. Das Einschlagen dieser Richtung ist aber ein normaler Prozess, denn warum sollte es eine Entwicklung zum Besseren geben? In den 14 Jahren, in denen ich viel mit Kindern und Jugendlichen arbeite, merke ich, dass die Leute sich wieder mehr zu ihren traditionellen Ansichten bekennen, dass sie in der österreichischen Gesellschaft konservativer werden. Die Migrationspolitik, diese Integrationspolitik, die betrieben wurde, führte zu dem Hang zu mehr Religiosität, zu den Schutzmechanismen, die sie brauchen. Alle diese Entwicklungen wirken sich auf die Verhaltensweisen der Heranwachsenden aus, sie übernehmen Rollen und Bilder ihrer Väter, aber auch vermehrt die Mädchen die Rollen ihrer Mütter. Natürlich ist die Männerdominanz in diesen Gesellschaften sehr groß. Aber Mannsbilder entstehen nicht unbedingt durch die Präsenz eines Mannes, in dessen Nähe sich die Jungen befinden, sondern gleichzeitig gibt es medial nicht greifbare Männerbilder, mit denen sie sich identifizieren wollen. Sie besitzen ihre Heroes, ihre Stars. Weil es eine tiefe Schlucht zwischen den Jugendlichen und ihren Vätern gibt, eignen sie sich vermehrt das Männerbild über die Medien an. In der Kleidung, in ihrer Art von Musik, in vieler Hinsicht, aber sie werden in eine Passivität als Konsumenten gedrängt. Die befinden sich, was Medien und Kommunikation betrifft, in der Türkei – nur der Ort ist Österreich. In der Türkei gibt es gewisse Entwicklungen, aber die hier sind in so einer passiven Rolle, dass sie zusammen rücken, viel mehr bei sich bleiben wollen. Die sind nicht unbedingt in einer sehr guten Lage. Wenn ich mir die ganzen Scheidungen anschaue, so fühlen sich Jugendliche zwar traditionell zur Ehe hingezogen, aber wenn es um die Realität geht, flüchten sie und wollen dem nicht unbedingt zugehören. Es ist das gleiche, wenn sie sagen, wir sind Türken, aber wenn du sie in der Türkei zurücklassen würdest, sind die verloren. Die können gar nicht dort sein. Irgendeine Identität haben zu müssen, ist üblich, auch wenn es nur ein Strohhalm ist, oder ein seidener Faden, der ihnen ein bisschen Sicherheit gibt. Das sind für mich die Zeichen, wo ich merke, wie soll etwas Gesundes entstehen? Bei der jetzigen Generation auch nicht, das ist meine Meinung.

Siehst du noch Chancen gegen die Ghettoisierung? Für die Kommunikation zwischen Österreichern und Türken?

In Österreich ist es nicht so weit gekommen wie in Frankreich, es gibt schon Kommunikation zwischen der zweiten und dritten Generation und den Österreichern, aber die erste Generation ist verloren. Von denen haben viele nicht einmal Grundschulausbildung, die kamen aus Mittelanatolien ohne das städtische Leben durch gemacht zu haben, sie landeten aus den Dörfern mit ihren Traditionen in einer Kulturmetropole. Es ging ja auch nie darum, dass man sie hierher bringt, damit sie kommunizieren, sie sollten einfach billig Tätigkeiten verrichten, die die Österreicher nicht gemocht haben. Aber jetzt, wo sich das alles verändert hat und man diese billigen Arbeitskräfte nicht mehr braucht, kommen diese Leute zum Handkuss. Und dann ist groß die Rede von Integration. Das können die Österreicher doch gar nicht. Wie können sie solche Menschen, die schon alle über 50 sind, integrieren? Wie sollen diese Leute so eine schwierige Sprache wie die deutsche lernen, wenn sie nicht einmal in der eigenen Sprache lesen und schreiben können? Also bleibt das eine gewisse Utopie. Ich empfinde die angebliche Integration als ein Schönreden durch die Politiker. Die Migranten sind eine dankbare Kompensation für die politischen Parteien, weil sie zum Wahlkampfthema gemacht werden, ein Potential, das man in gewisser Weise für sich ausnutzen kann, obwohl sie immer als Last dargestellt werden.

Mit Mehmet Emir sprach Kerstin Kellermann