Jemand, der die Dose beherrschtArtistin

Streetart: Kleine Einführung in Sprache und Lebensgefühl der SprayerInnen

Die durchschnittliche Augustin-Leserin wird die massive Besprayung freier vertikaler Flächen in unserer Stadt nicht als jugendlichen Vandalismus verurteilen; vielleicht würdigt der eine oder die andere die Graffiti sogar als eine aus den großen Städten nicht mehr zu verbannende freie Kunst. Auch den liberalen Gönnerinnen und Gönnern dieser Street Art ist freilich die Welt der SprayerInnen verschlossen geblieben nicht nur ein generationelles Problem. Nachhilfeunterricht kommt aus dem Jugend- und Stadtteilzentrum Margareten. Graffiti-Künstler Rasmus, 17 Jahre alt, ist am Wort:Eine kalte Winternacht, der Atem kommt wie Rauch aus seinem Mund, wird erleuchtet von dem grellen Scheinwerferlicht. Er geht zügig, das Klimpern seiner Cans (Anm.: Can ist in der SprayerInnen-Sprache die Sprühdose) im Rucksack ist sein Begleiter. Vor einer Wand bleibt er stehen, um ihn herum keine Menschenseele Mit zwei schnellen Handgriffen öffnet er den Reißverschluss und holt sein Werkzeug heraus, er greift sich die erste Dose, das kalte Metall auf seinen Händen lässt ihn spüren, dass er Großes vollbringen wird. Er schaut die Wand noch ein letztes Mal in seinem Originalzustand an und vollzieht den ersten Strich

Das ist Graffiti, Kunst auf urbanem Raum, die Verschönerung und Nutzung von Wänden, Fassaden etc. Doch so einfach ist es nicht, denn viele Menschen sehen es nicht als Kunst, sondern als Vandalismus. Leider vertritt diese Meinung auch das Gesetz. Graffiti wird als Vandalismus bestraft und kann zu hohen Geldstrafen führen. Trotzdem geben sich viele Sprayer der Street Art hin, man braucht sich nur umzuschauen in Wien, überall trifft man auf Graffiti; auf Bussen, Zügen, Wänden, Plakaten, Bänken – einfach alles kann für diese dynamische und sehr kreative Kunstform verwendet werden.

Am häufigsten begegnet man auf den Straßen den sogenannten Tags. Der Begriff kommt aus dem Englischen (to tag) und bedeutet etwas beschriften, und so bestehen auch die Tags aus Buchstaben, die meistens den Namen des Künstlers (natürlich nicht den echten;)) oder der Crew der Gruppe des Malers – wiedergeben. Getagt wird alles, was lang genug still bleibt mit dem Ziel Fame zu erlangen. Fame oder Berühmtheit macht einen guten Sprayer aus. Jeder kennt deinen Namen aber nur die wenigsten dich, das Tag ist unauffällig im Entstehen, versteckt im Hintergrund und dann kommt es und SLAP! watscht dir ins Gesicht. Es geht darum sein Merkmal zu hinterlassen, das sagt: hier war ich und ihr könnt nichts dagegen machen! Klar ist es Vandalismus laut dem Gesetz – aber das kümmert den Sprayer nicht, es reizt ihn erwischt zu werden und die Regeln zu brechen die ihn einschränken wollen.

Die Freiheit ist ein zentraler Beweggrund des Graffitis, die Freiheit einfach das zu machen, was man will. Die Freiheit, seine Kreativität auszuleben. Manche Kritiker sagen dann einfach: warum bemalst du nicht eine Leinwand? Warum meine Fassade? Darauf kann man nur antworten, dass Graffiti auf der Straße geboren wurde. Als Galerien nur Bilder von Monet, Schiele oder Roy Lichtenstein ausstellten, war Graffiti auf den Zügen und Häusern der Stadt, für jeden Frei zu betrachten und zu haben. Zusätzlich gibt es auch Künstler die auf Leinwand malen, im Inoperable in Wien werden immer Werke von Street Art-Künstlern ausgestellt. Der Geist von Graffiti lebt aber trotz allem auf der Straße, und die Krönung der Kunst, das Meisterwerk, ist das Piece: ein metergroßes Kunstwerk, kompliziert oder einfach, bunt oder einfärbig, eckig oder rund, Buchstaben oder Figuren der Kreativität steht nichts im Wege. Vollbracht wird das Kunstwerk mit dem vielleicht flexibelsten Medium der Welt: der Spraydose. Alles kann mit dem Farblack bemalt werden, großflächiges Ausmalen oder zentimeterdünne Striche, beides ist möglich. Jemand, der die Dose beherrscht, kann dies alles möglich machen, und so heißt es im Graffiti-Jargon: coming to a wall near you!

Info:

Eine Partnerschaft mit dem Jugend- und Stadtteilzentrum Margareten, in bequemer räumlicher Nähe zur Augustin-Redaktion gelegen, beschert uns eine Gruppe neuer journalistischer MitarbeiterInnen in ungewöhnlichem Alter, in der Regel unter 18. Die meisten von ihnen stammen aus Zuwandererfamilien.