Jung, verwundet, auf SeeArtistin

Musikarbeiter unterwegs … mit Engagement und Zufriedenheit

Laura Rafetseder veröffentlicht Ende Oktober mit «Swimmers In The Arctic Sea» ein neues Album. Berührende Songs, die Persönliches und Politisches zusammensingen. Von Rainer Krispel.

Foto: Mario Lang

Ich muss, im Moment, «Some Things» von Firehose hören. Die Platte ist im Haus, doch kein funktionierender Plattenspieler. Das Internet hilft. Ed Crawford, George Hurley, Mike Watt spielen ein Lied, dessen Aufnahme vor 27 Jahren erschien. Ich höre es ganz glücklich, bin wieder in einem Auto, fahre mit Freund_innen zum Proben, das Firehose-Tape verlässt das Tapedeck nie. Ich bin im Linzer Posthof – wann? – vor der Bühne, die Tar Babies, Dynamo Urfahr und dann Firehose. Der instrumentale Zwischenteil des Songs eine Offenbarung, im Konzert singe ich «Some things really need change» mit, statt «Some things can really seem strange», der Schluss mit «Dreams break chains» bis heute Seelenhonig. Am 21. Oktober 2016 spielen Mike Watt & Il Sogno Del Marinaio im Fluc, Destroyed But Not Defeated eröffnen. Eine Konzertempfehlung! Der Musik aus dem Internet wird Einhalt geboten, «Swimmer In The Arctic Sea» von Laura Rafetseder in den Rechner geschoben, im Kopfhörer schon wieder Seelenhonig. «Love is a fairytale/recounted in record sales», singt die Musikerin und Songwriterin in «Blues In Your Lover’s Eyes», dem zweiten von 11 Liedern ihres zweiten Soloalbums.

 

A Woman’s Heart Is Never Hers

Während das Album läuft, ein kleiner Rückgriff auf den letzten Musikarbeiter. Das Voodoo-Jürgens-Album finde ich noch immer … nicht. Aber ich wünsche David Öllerer, dem Darsteller dieser Figur, (natürlich) alles Gute. Gerhard Stöger vom «Falter» ist für mich jemand, dessen exakt und engagiert tätigen Glauben an die Relevanz und das aufklärerische Potenzial von Print-(Musik-)Journalismus ich bewundere.

«We are blind dancers in an alley», hat die 36-Jährige gerade gesungen, ihr Album mit dem Neuen von Fräulein Hona, «Of Circles And Waves», ganz oben auf einer kurzen Playlist von Musik, die ich um mich haben mag. «We Were Young And Wounded», eines der Highlights der Liedersammlung und yeah, ich erinnere mich, Henry Miller schießt mir ein, der in einem Interview im hohen Alter sinngemäß äußerte: «Das Geheimnis ist, immer verwundbarer zu werden.» Wenn diese Musik und ihre Schöpferin verwundet sind, dann sind sie gleichzeitig sehr stark, weil die Wärme und ja, der Humanismus dieser Musik, sich wie ein zu umarmender Baum, eine zum Anlehnen angebotene Schulter, wie ein plötzlich aufgetauchter Tanzpartner, wo wir gerade noch als entsetzte Mauerblümchen fassungslos auf der Festung Europa standen, recht unmittelbar und ungeschützt anbieten. Als wir telefonieren, um über «Swimmers In The Arctic Sea» zu sprechen, höre ich im Hintergrund das Kind der Alleinerzieherin, so wie Laura womöglich meinen Sohn hören kann. Vor einigen Jahren haben wir uns getroffen, damals in einem Park, um über «The Minor Key Club» zu reden, ihr erstes Solo-Album (2012) nach den beiden von ihr als solche definierten Band-Alben «Creating Memories» (2010) und «Make Me Whole Again» (2006). Ihre Lebensumstände sind 2016 äußerlich unverändert, Fulltime-Job, das Leben mit dem Kind, ein von der Mutter freigespielter Tag pro Woche für (auch) die Musik, deren Machen Laura Rafetseder als politischen Akt versteht und lebt. Im von der Künstlerin Angela Dorrer mit Cover und Handwriting versehenen CD-Booklet werden André Breton und Leo Trotzki zitiert: «The independence of art – for the revolution! The revolution – for the complete liberation of art!» Laura Rafetseder selbst nimmt im Lauf unseres Gesprächs das Wort «reif» im Zusammenhang mit dem neuen Album in den Mund, was gerade im Bewusstsein der Produktionsbedingungen – «Oft schreibe ich nach 22 Uhr in der Nacht schnell noch ein paar Zeilen hin» – ein wenig erstaunen mag, so sehr wirkt diese Musik aber, Folk im eigentlichen Sinne, wie in sich ruhend und aus sich selbst Kraft schöpfend. Fünf Tage wurde konzentriert in Wien aufgenommen, Stephan «Stoney» Steiner spielte seine Fiddle, wie er es bei der bevorstehenden Livepräsentation tun wird, und half mit den Arrangements, Marc Bruckner nahm auf, mischte und editierte neben seinen instrumentalen Beiträgen, Markus Brandstetter, Gernot Feldner und Patrizia Sieweck sind ebenso zu hören.

Das ganze Album ist eines, wo mensch hörend den Eindruck gewinnt, alles ist so, wie es sein soll, die Balance des Politischen und Persönlichen, von Form und Inhalt, nahezu perfekt. Das Herausheben einzelner Songs wie der Single «Breathing Hearts» fast irreführend. Dazu lernen wir ganz im Sinne von Musik als Erwachsenen(herzens)bildung von der Insel «Einsamkeit» und ihrer Lage in der Karasee, Teil des titelgebenden Nordpolarmeers.

Nicht zuletzt kartographiert Laura Rafetseder persönliche Entwicklung: «I once was a lady/I once was a girl/I am mostly me these days/and I like who I’ve become.»