(Kein) Platz für KunstArtistin

Leerstand und Zwischennutzung in Wien

Was in der innerstädtischen Baulücke, die sie auf dem Cover dieser Ausgabe sehen, entstehen wird? Wir wissen es nicht, aber ein autonomes, nicht-kommerzielles, inklusives Kulturzentrum vermutlich nicht. Schön wär’s. Wie es um die freie Kulturszene und ihren Bedarf an Räumen steht, hat Ruth Weismann recherchiert.

Wien schreibt sich Kunst und Kultur gerne in seine touristischen Folder, und will auch, was zeitgenössische Kulturproduktion betrifft, international punkten. Abseits von großen Häusern und Festivals ist die sogenannte freie Szene durchaus sehr lebendig. Dennoch: «… bei 2,5 % Fördermittelanteil vom Kulturbudget für die freie und autonome Kunst- und Kulturszene und den hohen Lebenshaltungskosten in der Metropole Wien kann sich kaum ein freies autonomes Projekt eine marktübliche Miete leisten», stellt die IG Kultur Wien in einem Positionspapier zu Leerstand und Zwischennutzung, das Ende September bei einer Pressekonferenz präsentiert wurde, fest.

Sonnenland, Blumenhof, Creau – was wie die Wohnorte von Regina Regenbogen oder einer anderen Kindergeschichten-Figur klingt, sind die Namen dreier Kultur-Orte in Wien, die derzeit hoch im Kurs stehen und auf unterschiedliche Weise von verschiedenen kleinen Initiativen bespielt werden. Über kurz oder lang werden diese Orte, bzw. deren Verwendungszweck, aber vermutlich verschwinden. Immobilienfirmen seien froh, wenn etwas passiere, was der Aufwertung diene, aber vielen sei es auch zu mühsam, ihre Top-Objekte, oft historische Bausubstanz, für Kultur herzugeben, hört man von Insider_innen. Man warte halt, bis es sich auszahle, zu verkaufen oder etwas daraus zu machen, meist Büros und (schicke, teure) Wohnungen. Dass die Objekte für kulturelle Zwischennutzung freigegeben würden, bedeute oft schon viel Überzeugungsarbeit, aber dass eine Firma ein Objekt billig und dauerhaft für die freie Szene zur Verfügung stelle, komme nicht vor.

Zauberwort Zwischennutzung.

Das Areal der Creau, bei der Trabrennbahn im zweiten Bezirk gelegen, wurde von der Stadt unter viel Kritik an eine Immobilienentwicklungsfirma verkauft, die sich von der Vergabe an Kreative, die hier etwas aufziehen, eine Aufwertung des Viertels erhofft. «Es wäre schön, wenn das hier ein Museumsquartier im Grünen werden würde», wird die zuständige Eventmanagerin im «Standard» zitiert (online: 6. Oktober). Ab 2018 werden dort allerdings Hochhäuser gebaut.

«Zwischennutzung wird derzeit als Allheilmittel für alles verstanden», sagt Fanja Haybach von der IG Kultur Wien. «Es gilt als Win-win-Situation für Eigentümer_innen und Kulturarbeiter_innen. Was allerdings fehlt, sind langfristig benutzbare und leistbare Räume», so Haybach. Im Regierungsübereinkommen 2015 hielt die rot-grüne Stadtregierung fest: «Wien hat Kultur: für alle, mit allen.» Und: «Die Stadt hat offene, für alle zugängliche, inklusive Kulturräume und -angebote.» Tatsächlich aber gibt es nur ein paar solcher Orte, die dauerhaft bestehen – WUK, Arena und Amerlinghaus etwa –, von denen aber zumindest das Amerlinghaus sich seit Jahren über zu geringe Grundkostenförderung beklagt und ständig in prekärer Situation arbeiten muss.

Wie viel Leerstand in der Stadt vorhanden ist, ist schwer zu erfassen, 2015 stellt eine Studie der Wiener Wohnbauforschung fest, dass rund 10.000 Wohnungen langfristig leerstehen. Aber wie viele Ladenlokale, alte Hallen und andere Gebäude, die gut für langfristige kulturelle Zwecke nutzbar wären, stehen leer? Fanja Haybach fände eine verpflichtende Meldung von Leerstand und eine gesamtstädtische Perspektive, die alle Interessensgruppen miteinschließt, sinnvoll. Denn wofür Zwischennutzung häufig steht, ist: Revitalisierung von Grätzln, Aufwertung und damit steigende Mietpreise und Verdrängung einkommenschwächerer Schichten – Stichwort: Gentrifizierung.

Win-win-Situation?

Mit «Kreative Räume Wien», eine Agentur für Zwischennutzung, die als Vermittlungsplattform dient, hat die Stadt auf die Nachfrage reagiert. Dass dabei bestimmte «kreative Hotspots» wie die Praterstraße und die Hernalser Hauptstraße von der Agentur identifiziert und bevorzugt werden, sieht die IG Kultur kritisch, denn dies fördere Verdrängungsprozessen und sei keine breite Infrastrukturförderung.

Von einem solchen Verdrängungsprozess kann Alisa Beck ein Lied singen. Sie ist Mitglied jenes Vereins, der mit dem mo.ë ab 2010 in der Telemanngasse 4 im 17. Bezirk einen nicht-kommerziellen Ort für experimentelle Formen von Kunst, Musik und Performance aufzog, der nicht nur als leistbarer Möglicheitsraum für die freie Szene und alle Stadtbewohner_innen funktionierte, sondern sich auch in die Gentrifizierungsdebatte einmischte. Denn der geplante Rauswurf von Seiten der Immobilienfirma, der das ganze Gebäude gehörte, betraf nicht nur den Kunstort, sondern auch Hausbewohner_innen. Klagen und langwierige Gerichtsverfahren später musste klein beigegeben werden, was unter anderem an fehlenden finanziellen Mitteln für die Gerichts-Prozesse lag. Strahlende Gewinnerin: die Immobilienfirma.

Spekulationen, Verkäufe, Luxuslofts … was sind historisch-architektonisch wertvolle Räumlichkeiten und Menschen, die ein Grätzl nachhaltig beleben, dagegen schon wert? Was Alisa Beck ärgert: «Wir hätten uns Unterstützung von der Stadt gegenüber der Immobilienfirma gewünscht. Aber der Kommentar von Mailath-Pokorny war, dass das eine private Angelegenheit sei.» Nicht einmal zu einem Gespräch seien sie eingeladen worden, während die Immo-Firma dem mo.ë mitgeteilt hätte, eh schon mit der Stadt gesprochen zu haben. Von wegen Win-win-Situation also.

Wunschzettel.

Was wünscht sich die freie Szene also konkret? Zuerst einmal weg vom Fokus auf Zwischennutzung – ein Begriff, der mit Flexibilität, sprühenden Ideen und Bewegung assoziiert ist und damit einen neoliberalen Kurs bedient, der Kreativität als Motor für kommerzielle Interessen sieht.

«Wir sind ja nicht dagegen, dass Leerstand auch temporär genutzt wird, aber es muss beides geben», sagt Fanja Haybach. Theaterkompanien wie das theatercombinat, das das alte Zollamt bespielte, Musikfestivals wie das unsafe + sounds, das heuer im Blumenhof im zweiten Bezirk stattfand, oder die alternative Kunstmesse Parallel Vienna in der alten Sigmund Freud Uni, genauso wie nomadische Ausstellungsprojekte, punkten gerade damit, stets unterschiedliche Räume zu öffnen. Ulrike Kuner, Geschäftsführerin der IG Freie Theaterarbeit sieht allerdings auch bei Zwischennutzungen die Stadt mehr in der Pflicht, denn um all die Auflagen bezüglich Notausgängen, technischen Voraussetzungen und Ähnlichem zu erfüllen, bedürfe es des Know-hows und der finanziellen Mittel. «Für freie Gruppen ist es deshalb sehr schwierig, freie Räume zu bespielen», meint sie. Sie wünscht sich Unterstützung in Form von (technischer) Expertise und extra Förder-Geld, das nicht für die künstlerische Arbeit an sich verwendet werden muss.

Daneben aber muss es vor allem langfristige Strategien geben, um dezentrale Stadt- und Kulturarbeit sicherzustellen. Dazu braucht es, wie in der Studie «Perspektive Leerstand» zu lesen ist, die die IG Kultur in Auftrag gab, eine «Verbindung von Kulturpolitik und Raumbewirtschaftung», die vom Prinzip Bottom-up statt Top-down ausgeht. Kultur- und Raumagenden der Stadt sollten sich vernetzen und kooperieren. Weiters nötig: ausreichend Fördermittel für gemeinnützige, nicht-kommerzielle Kulturangebote, nicht nur für Leuchtturmprojekte. Außerdem: eine Besteuerung von Leerstand, ein Leerstandsmeldesystem, die Bereitstellung von stadteigenen Immobilien zur langfristigen Nutzung sowie Unterstützung bei Verhandlungen mit Immobilienentwickler_innen.

Dem politisch-neoliberalen Zeitgeist gefällt Flexibilität und Dynamik, aber was hinter den Schlagworten steckt, ist eine andere Frage. «Wir sind die, die altmodisch wirken, die bleiben wollen. Das klingt nicht so sexy», sagt Alisa Beck. Nun denn, ein bisschen altmodisch hat in Wien ja noch nie geschadet. Oder ist das Kunsthistorische Museum auch nur eine Zwischennutzung, wo bald teure Wohnungen entstehen? Wir bleiben dran.