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Wo Mozart aufhörte, beginnen wir. Ein Gespräch mit Peter Sellars (2.Teil)

Peter Sellars, der Ende dieses Jahres das Festival New Crowned Hope im Rahmen des Mozartjahres verwirklichen wird, sieht Mozarts Werke als Ansatzpunkte für ein sozialkritisches Statement in Form von zeitgenössischen Werken aus vielen Kunstsparten. Stattfinden wird das Festival nicht, wie üblich, nur in Hochkulturburgen, sondern auch im Integrationshaus oder an öffentlichen Plätzen. Dabei sollen soziale Randgruppen wie Flüchtlinge oder Obdachlose eingebunden werden.

­ Fühlen Sie sich nicht manchmal mehr als Sozialarbeiter denn als Künstler?



Ich fühle mich immer als Künstler und als Mensch. Oft müssen Sozialarbeiter unter fürchterlich rigiden Instruktionen arbeiten. Die Bedingungen machen sie oft unfähig, mit den menschlichsten Bedürfnissen ihrer Klienten adäquat umzugehen. Es sind Menschen, die schlechte Erfahrungen im Leben gemacht haben, ohne irgendeine Ahnung, was nachher sein wird. Ihre Fragen ans Leben sind bedeutend – und aus diesen Fragen kann Kunst entstehen. Die Antwort, die Sozialarbeiter geben können, hat meist eine kleine Antwort zu sein. In der Kunst ist die Antwort groß. In Sozialeinrichtungen bekommst du einen Ort zum Schlafen, zum Preis, dass dir ein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben wird. Und viele Leute verlassen ja das System, um sich solchen Normen nicht unterwerfen zu müssen. In der Kunst ist es möglich, ein flexibleres Umfeld zu schaffen als im Sozialbereich. Kunst ist einfach gut darin, ein System außerhalb des Systems zu schaffen, wo das Bedürfnis nach anderem Verhalten gestillt wird. Wenn du abgeschrieben bist, nicht mehr als Mensch giltst und jeder durch dich durchschaut, dann ist es das Wichtigste, gesehen und gehört zu werden. Manchmal sagt uns ein Sozialarbeiter: Arbeitet ja nicht mit dem, der ist unmöglich! Und dann stellt sich heraus, dass gerade der sich am besten entwickelt und Star des Projektes wird.

Ihre Arbeit als Opernregisseur und als Leiter diverser Kunstprojekte außerhalb traditioneller Betriebe mit direktem, sozialen Kontext wird in New Crowned Hope eigentlich verbunden.

Ja. Und man wird außerdem bemerken, wie ähnlich die Inhalte der Opern und der Projekte mit obdachlosen Frauen sind. Es geht eigentlich um dasselbe. Diese Person schaut anders aus als jene, aber eigentlich haben sie die gleichen Probleme im Leben. Es geht im 21.Jahrhundert darum, wegzukommen von Äußerlichkeiten wie der Herkunft, und in einen tieferen Dialog zu dringen.

Was wird während des Festivals konkret passieren?

Es ist noch zu früh, um das genau zu sagen. Die Projekte entwickeln sich auf sehr organische Weise mit Gruppen aus vielen Bereichen. Der Input von so verschiedenen Leuten ist für die Entwicklung des Projektes sehr wichtig und darf nicht unterbunden werden, im Gegenteil.

Räume schaffen, in denen zusammen kommt, wer sonst getrennt ist

Es ist ja extrem selten, dass Projekte mit solchen Inhalten groß herauskommen und so viel Geld bekommen.

Ich habe immer versucht, Dinge nicht auf Geldbasis zu entwickeln. Geld bringt ein Projekt meist schleichend durcheinander und die Menschen werden oft gedankenlos. Wir alle haben Erinnerungen an unvergessliche Ereignisse, für die kaum Geld da war, und sahen andererseits Produktionen, die total gut finanziert waren, aber total leer. Das ist eben so toll an Kunst: Du wirst daran erinnert, dass es wirklich um wichtigere Dinge geht als um Geld.

Bemerkenswert finde ich auch, dass Subkultur zur Hochkultur wird und man sie in großem Stil diskutiert.

Die Förderung von Communities, die kaum bemerkt werden, ist der wirklich wichtige Schritt. Und es werden, auch mit Hilfe des Augustin, viele gute Projekte mit Obdachlosen passieren. Wir werden vielleicht nicht weiß Gott was Neues schaffen, sondern an das anknüpfen, was es hier schon gibt. Wir schaffen in unseren Performances eine neue Dimension, indem alle Menschen in einem Raum zusammen kommen. Das ist für mich so unglaublich: Wenn du mit ihnen in einem Raum konfrontiert bist, kannst du nie wieder so über sie denken wie zuvor, als du sie aus der Distanz beobachtest hast. Wir können in diesem Festival ungewöhnliche Menschenräume kreieren, wo Menschen unverfälscht zusammenkommen, die normalerweise unter sich bleiben. Das ist die tiefgreifendste Leistung.



Mir gefällt die Vorstellung, dass das typische Wiener Festwochen-Publikum zu einer Vorstellung kommt und sich irritiert fragt: wo bin ich hier gelandet?

Ich war sehr bewegt, als ich hörte, dass in Wien 40.000 Leute pro Monat den Augustin kaufen (Anm. d. Red.: so viele kaufen den Augustin in 14 Tagen). Das ist fantastisch! Man macht sich Gedanken, engagiert sich. Als wir bei den Festwochen vor zwei Sommern The Children of Herakles im Parlament inszenierten, baten wir um Spenden für Flüchtlingskinder. Das Publikum spendete daraufhin 27.000 Euro!

Das ist eine Seite Wiens. Die andere wählt Strache. Das sind immerhin 15 Prozent!

Ja, davon habe ich gehört. Wir zeigen uns nun mal nicht immer von unserer besten Seite. Mein österreichischer Gouverneur, Mister Schwarzenegger, hat in der Woche, als er einen Schwarzen hinrichten ließ, sehr an Popularität gewonnen! Der französische Innenminister Sarkozy durfte die Widerständigen der Vororte Abschaum und Gesindel nennen. Er steigerte so seine Popularität um 10 Prozent und könnte sogar der nächste französische Premierminister werden. Wir leben in einer sehr unheimlichen und belastenden Zeit. Es geht sehr schnell vorwärts, die Menschen kriegen die Panik. Als Künstler müssen wir daher sehr aufpassen, wie wir Bilder und Sprache verwenden, weil heute die Gegenreaktion sehr beängstigend sein kann. Man muss sehr präzise arbeiten, um nicht von Opportunisten missbraucht zu werden. Menschen wählen Politiker, von denen sie glauben, dass sie die guten, alten Zeiten wiederherstellen können. Und natürlich können sie das nicht. Dieser rechte Flügel hat sich auf der ganzen Welt ausgebreitet, weil einfach so viele Wähler Angst haben, ihren Job zu verlieren. Die Politik gibt den Ausländern die Schuld, statt ihre Verantwortung wahrzunehmen, und füttert die Angststimmung noch. Wir leben in einer Zeit, in der wir Alternativen präsentieren müssen, ohne dass sich dabei jemanden bedroht fühlt.

Wie ist das Klima in den USA momentan? Ist man immer noch für Bush?

Ich würde sagen, dass die letzten Wahlen geschoben waren und George Bush nicht gewann. Sie machten im Prinzip dasselbe noch einmal, was sie schon bei der ersten Wahl geschafft hatten; nur, dass sie es ein bisschen geschickter vertuschten. Außerdem wählten bloß 16 Prozent den Gewinner! Die Demokraten haben es leider verabsäumt, eine Alternative anzubieten. Man weiß das schon von Michael Moore: Die meisten Amerikaner sind gegen den Irak-Krieg. John Kerry, der Gegenkandidat, war aber ebenfalls für den Krieg. Wen sollte man also wählen? In unserem Land existiert repräsentative Demokratie de facto nicht. Howard Dean wäre der geeignete Kandidat gewesen, aber man hat ihn kalt gestellt. Er machte diese große Kampagne im Internet und die großen Medien attackierten ihn.

Man kann schon depressiv werden, wenn man mit Politik dieser Art konfrontiert ist…

Das ist ja der Grund, warum man Kunst macht. Deshalb nenne ich dieses Festival New Crowned Hope (die von Mozart in den letzten Wochen seines Lebens mitbegründete Freimaurer-Loge Zur neu gekrönten Hoffnung hat dem Festival den Namen gegeben; die Red.). Ich bin diese schlechten Nachrichten wirklich leid und habe keine Lust mehr, immer wieder zu diskutieren, wo wir sind, anstatt zu schauen, wo wir in zehn Jahren sein werden. Ich will zeigen, dass es um eine Bewegung geht. Eine Bewegung, die die Verhältnisse real ändert.

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