Leben ins Gesicht geschriebenArtistin

Peter Turrini über die versteckten Kompetenzen des Augustin-Theaters

Den Mitwirkenden des 11% K-Theaters sei das Leben ins Gesicht geschrieben. Wenn solche Leute an sein Stück «Sauschlachten» herangehen, bleibe das Realistische seiner Dramen gerettet, das ansonsten auf «abg’schleckten Bühnen» vom Ästhetischen überrollt zu werden drohe, meint Autor Peter Turrini. Im Gespräch mit Christina Steinle (Augustin TV) und Andreas Hennefeld (Leiter der Theatergruppe) verrät er seine Pläne für unsere Theater-Crew.

Foto: AugustinTV

Steinle: Ich habe gehört, du willst das Stück, interpretiert vom Augustin-Theater, auf die Bühnen der Hochkultur bringen, etwa ins Burgtheater.

Turrini: Seit ich die Aufführung meines Stückes «Sauschlachten« durch das Augustin-Theater gesehen habe, bin ich totaler Fan dieser Gruppe. Seither versuch’ ich die neue Direktorin des Burgtheaters zur Aufführung dieses Stückes durch dieses Ensemble zu bewegen oder sie zumindest zu einem Besuch einer der Aufführungen zu überzeugen. Das ist schwieriger als man denkt. Zufällig traf ich gerade beim Einparken einen Dramaturgen des Burgtheaters. Ich arretierte ihn sofort und befahl ihm, sich das Stück anzuschauen. Ich gebe also nicht auf, diese Augustin-Produktion in größere Theater zu bringen.

Steinle: Was hat dir eigentlich an der Inszenierung und an den Persönlichkeiten des Ensembles so gut gefallen?

Turrini: «Sauschlachten» hat unter allen meinen rund 50 Stücken den größten Realismus-Gehalt, aus einem schlichten Grund: es beschreibt meine Kärntner Kindheit. Weil unser Vater, der Italiener war, also der «Verräter» schlechthin, nicht deutsch konnte, waren wir stigmatisiert und isoliert im Dorf. Natürlich beschreibe ich mein Autobiografisches in der zugespitzten Form einer dramatischen Handlung. Man darf es nicht zu theatralisch, zu virtuos spielen – das ginge zu Lasten des Realismus. Da die Augustin-Leute zwar künstlerisch gut sind, aber keine trainierten und abg’schleckten Schauspieler, bleibt der Realismusgrad erhalten, der im Falle von hochprofessionellen Schauspielern ins Abseits gegenüber dem Ästhetischen geraten würde. Jedem der Mitwirkenden ist auch das Leben ins Gesicht geschrieben. Für mich als Autor, der immer eine Brücke zwischen Leben und Kunst zu bauen versucht, war diese Tatsache das Faszinierende.

Hennefeld: Mir geht das Herz auf. Es ist das größte Kompliment, wenn der Autor des Stückes sich verstanden fühlt.

Turrini: Ein Dramatiker findet natürlich an seinen eigenen Stücken, wenn sie aufgeführt werden, immer was auszusetzen. Viele Menschen haben sich inzwischen das Stück auf ihre Art angeeignet, etwa indigene Theatergruppen in Lateinamerika, die daraus die Mechanismen der Ausgrenzung der Indios herauslesen. Dort wird mein Schluss verworfen, stattdessen endet das Stück mit einem Tanz der Befreiung. Das Stück funktioniert als Parabel der Unterdrückung und der Befreiung auch in anderen politischen und kulturellen Zusammenhängen – es freut mich, dass es gebraucht wird. Aber das war keineswegs geplant. Von den 50 Stücken haben 30 die Uraufführung nicht überlebt und sind im Literaturfriedhof verschwunden. Aber man kann das als Autor vorher nicht wissen.

Ich habe einen Spundus vor einem Happy End

Hennefeld: Die südamerikanische Inszenierung mit dem Indiotanz zum Schluss taugt mir, denn es gab ja nach unserer Premiere auch die Meinung, das Stück ende trostlos, keinerlei Hoffnung auf eine menschlichere Gesellschaft könne da aufkommen. Die Leute kommen mit hängenden Köpfen aus dem Theater heraus, irgendwie genauso handlungsunfähig wie vorher. Ich bin ja auch nicht dafür, dass die Stücke so enden wie die Hollywood-Filme, aber sollten die Leute den Saal nicht rebellischer verlassen als sie es beim Betreten des Theaters waren?

Turrini: Da ist eine grundsätzliche Frage angesprochen, die mein ganzes Leben begleitet. Ich habe «Rozznjogd» und «Sauschlachten» als Hilfsarbeiter geschrieben – in der Hoffnung, es werde im Leben nicht so schlimm werden, auch nicht in meinem. Die Kunst kann also als Methode eingesetzt werden, die eigenen Ängste zu bannen. Inzwischen habe ich ja Stücke mit ganz anderen, nicht so düsteren Ausgängen beschrieben, ich möchte ja, dass das Publikum mit Hoffnung auf eine gerechtere Welt nach Hause geht. Das geht nur bis zu einem gewissen Grad: Ich habe nämlich einen Spundus vor einem Happy End. Dieses ist die größte Lüge, die man sich ausdenken kann. Im Stück «Joseph und Maria» gibt´s für die beiden Protagonist_nnen zwar auch nicht gerade ein Happy End, aber es gibt Möglichkeitsformen der Freude, die Ahnung, sie könnten zum Schluss eine schöne Nacht verbringen, nach der Heiligen Nacht. Mein neues Stück über Finanzspekulanten, an dem ich jetzt arbeite, möchte ich als aberwitzige Komödie gestalten.

Hennefeld: Noch eine Frage zum Stück. Man kann den Eindruck gewinnnen, dass die Handelnden noch stark in der Kontinuität des Nationalsozialismus stehen. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Betrachter_inen des Stückes sagen: Geht mich nichts an – es geht ja dezidiert um eine Nazifamilie.

Turrini: Die Grundparabel ist, dass ein Außenseiter vernichtet wird. Wo die Naziideologie wenig Rolle spielt, sollten also die Regie und die Darsteller_innen das Stück entsprechend modifizieren. Überall ist die Frage zu stellen: Wer sind die Außenseiter, die bei uns bekämpft werden? Und welche Gruppen haben es auf ihre Vernichtung abgesehen? Im Gasthaus bei uns im Dorf sind die Bauern noch in den 50er Jahren mit ihren Wehrmachtsmedaillen gesessen. Darum bevölkern bei mir die mit Naziideologie Geimpften die Bühne. Andere Bühnen, andere Außenseiter … Nur die Parabel soll nicht zerstört werden.