Nicht viel mehr als noch lebenArtistin

«Flüchtlingsdrama» in der Burg

In «Die Schutzbefohlenen» spricht Elfriede Jelinek von den lokalen und den globalen Katastrophen im Leben von Flüchtlingen: vom Abgewiesenwerden, vom Aussortiertwerden, von der fehlenden Beweiskraft der Toten. Veronika Krenn ist ins große Theater der Hochkultur gegangen, um zu sehen, wie sich ein Flüchtlingsdrama auf der Bühne der Burg ausmacht.

Foto: Reinhard Werner

Mit ihrem aktuellen Theatertext bezieht sie sich auf «Die Schutzflehenden», eine antike Flüchtlingstragödie des griechischen Dichters Aischylos. Die kleine Änderung des Titels in «Die Schutzbefohlenen» hat großes politisches Gewicht. Wie so oft legt Jelinek, die 2004 mit dem Literaturnobelpreis gekrönt wurde, ihren literarischen Finger auf unrühmliche gegenwärtige und vergangene Ereignisse. In dem nun im Burgtheater aufgeführten Stück greift sie ein Ereignis aus dem Herbst 2012 auf: Eine Gruppe Asylwerbender protestiert gegen die österreichische Flüchtlingspolitik und macht die Wiener Votivkirche zu ihrem «Schutzraum».

Die schlechte Beweislage der Geköpften

Ein hell erleuchteter Durchlass in Form eines Kreuzes markiert den Eingang auf die sonst schwarz gehaltene Bühne des Burgtheaters. Maskierte stolpern in einen düsteren Innenraum einer Kirche. Bühnenbildner Olaf Altmann hat den Boden mit Wasser geflutet, als Symbol für die von Jelinek ebenfalls thematisierten Flüchtlingsdramen im Mittelmeer vor Lampedusa. Sieben Frauen und neun Männer straucheln, versinken, tauchen wieder auf und erheben ihre Stimme. Ein Chor formiert sich, er flüstert: «Wir leben. Wir leben. Hauptsache, wir leben noch, und viel mehr ist es auch nicht als leben». Jelineks beinahe 60-seitiger Text wurde von Klaus Missbach zu einer 90-minütigen Fassung verdichtet, in der auch Einzelne aus einem Chor von Flüchtlingen heraustreten und Anklage erheben.

«Ihr sagt uns einmal dies, und dann sagt ihr uns das, und nichts können wir gerecht werden, doch gerecht seid ihr ja auch nicht», heißt es etwa. Es wird von traumatisierenden Erlebnissen erzählt, denen die Behörden trotz Vorlage von Fotos oder Handyvideos keinen Glauben schenken wollen: «Schauen Sie, da werden zwei unserer Verwandten geköpft, danach waren noch einige übrig, fotografiert mit dem Handy, solange noch Zeit war, jetzt sind sie es nicht mehr, es gibt sie nicht mehr, es gibt nur noch mich», heißt es da, aber dieses Schicksal erlaubt noch kein Aufenthaltsrecht. Auch von Niederlassungsfreiheit ist die Rede, von der Asylsuchende allerdings ausgenommen sind. Jelineks intelligentes Spiel mit Sprache und Bedeutung durchzieht den Text: «Das Boot war voll, und dann haben wir mit ihm einen schnellen Abgang gemacht.»

Inszeniert wurde das Jelinek’sche Textkonvolut von Michael Thalheimer – «ein Spezialist für antike Projekte, für Stimme und Sprache», wie Klaus Missbach ihn bezeichnet. «Es ist nicht so, dass wir die Flüchtlinge spielen und alles besser wissen, sondern diese Stimme, die Jelinek den Flüchtlingen gegeben hat, die wollen wir zur Diskussion stellen», sagt Missbach in einem Gespräch in der Burgtheaterkantine einige Tage nach der Premiere. Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Autor_innenen, die den Fokus auf die Gesellschaft richten, ist etwas, wonach er am Theater stets sucht. «Ich finde, dass Jelinek der Schiller’schen Idee von Theater als moralische Anstalt schon sehr nahe kommt, nur sind ihre Texte von einer größeren Modernität und Durchlässigkeit», meint er. Für ihn ist «Die Schutzbefohlenen» deswegen ein bedeutender Theatertext, weil er wirklich etwas verhandelt, und zwar in einer Live-Begegnung mit einem Publikum, etwas, das so im Fernsehen und in der Presse nicht passieren würde.

Burgtheater feat. G4S

Eine Sängerin mit funkelndem Kleid und meterlanger Schleppe tritt in die Mitte der Aufführung und singt eine Arie. Sie hat eine Begabung, mit der sie sich einen Aufenthaltstitel quasi «ersingen» konnte. Jelinek bezieht sich dabei auf den Fall von Anna Netrebko. Ebenso ist von einer «Tochter» die Rede, die «durch Zahlung eingebürgert» wurde – Boris Jelzins Gschropp. Das Burgtheater, so Chefdramaturg Klaus Missbach, setze auf Publikumsdiskussionen nach den Aufführungen: «Weil uns natürlich interessiert, was die Leute davon halten.» Es gebe sicher einige, die per se nicht damit einverstanden sind und die eine andere Haltung zu dem Thema haben, als an dem Abend sichtbar wird: «Aber für uns ist wichtig, dass Leute diese Stimme der Flüchtlinge im Theater hören können. Kontrovers und politisch diskutieren kann man dann gerne. Wir möchten ja Themen zur Diskussion stellen und kein Akklamationsbetrieb sein.»

Das Burgtheater möchte zusätzlich zur künstlerischen Auseinandersetzung auf der Bühne auch einen kleinen Teil zur praktischen Hilfestellung für Asylwerber_innen beitragen: Auf der Homepage wird um Unterstützung bei der Quartiersuche für einige derer gebeten, die am Protestcamp beteiligt waren. Eine schiefe Optik bleibt bestehen, solange die private Sicherheitsfirma G4S für das Burgtheater den Publikumsdienst betreut. Die G4S ist nicht nur für die unsanfte Praxis ihrer Mitarbeiter_innen bekannt, sondern auch für ihre Aufträge in Gefängnissen und Schubhaftzentren. Letzes Jahr ist die Firma in Österreich dafür bekannt geworden, neben dem Burgtheater auch das Abschiebegefängnis im steirischen Vordernberg zu betreuen.

Nächste Spieltermine: 23., 27., 19. April