Renate Unger aus Taxi OrangeArtistin

Kein Fernsehen im Fernsehen

Wenn man der kritischen Öffentlichkeit glauben soll, ist dem ORF mit dem Reality-TV-Spektakel „Taxi Orange“ ein weiterer Schritt der Verweigerung des Bildungsauftrags einer öffentlich-rechtlichen Anstalt gelungen. Renate Unger, die vor geraumer Zeit aus dem Kutscherhof als Feministin hinauskomplimentiert wurde, sieht das naturgemäß anders. Für sie spielt sich in dieser Serie ein – allerdings geschönter – Mikrokosmos der harten gesellschaftlichen Wirklichkeit wider. Mit ihr sprach Gerald Grassl.Du bist als vierte Kandidatin aus dem Team von Taxi-Orange hinausgewählt worden. Du bist die Älteste der Gruppe, aber als Kellnerin quasi auch das „proletarisch Element“, denn die anderen kommen eher aus gutbürgerlichen Häusern.

Renate: Die Berufsbezeichnung „Kellnerin“ stimmt nicht ganz, und ärgert mich auch ein bißchen. Nachdem ich die Fremdenverkehrsakademie absolviert habe, leitete ich lange ein eigenes Lokal, mit dem ich aber dann pleite gemacht habe. Danach arbeitete ich in verschiedenen Lokalen als Kellnerin, um damit meine Schulden zu begleichen. Aber gleichzeitig absolvierte ich daneben eine Reihe von anderen Ausbildungen: Hypnose, habe den 1. Grad in Raiki gemacht (das ist eine Heilmethode durch die Energie der Hände), dann eine zweijährige Ausbildung in Atemtherapie und jetzt seit eineinhalb Jahren Schmananismus.

Wie bist du überhaupt in dieses Getriebe von Taxi Orange hineingekommen? Es gab ja etwa 3.500 Bewerber dafür.

Renate: Ich habe im Fernsehen davon erfahren und mich darum beworben, weil mich in diesem Vorhaben auch mein Astrologe ermutigt hat. Da habe ich Foto mit Lebenslauf hingeschickt. Danach wurde ich zu einem Kamera-Casting mit Pantomime eingeladen. Wenn man das positiv bestanden hat, kam man weiter zu einem psychologischen Test.

Was wollte man dabei testen?

Renate: Ob man psychisch stark genug ist. Dabei wurde der Kreis schon enger. Die nächste Aufgabe war der Taxiführerschein.

Man hatte dabei den Eindruck, dass ihr bei dieser Prüfung begünstigt worden seid?

Renate: Überhaupt nicht. Ich bin zum Beispiel einmal durchgefallen. Ich hatte sogar den Eindruck, dass man bei uns besonders streng war.

Aber was diese Leute als Taxler jetzt oft nicht wissen, ist teilweise eine Lachnummer.

Renate: Du mußt bedenken, dass viele von ihnen aus den Bundesländern kommen und sich in Wien nicht so auskennen. Wir mussten innerhalb kürzester Zeit sämtliche Straßen, Plätze, Gassen usw. auswendig lernen. Obwohl ich nun schon 16 Jahre lang in Wien lebe, habe ich mich da auch ziemlich schwer getan.

Und haben sich dann die, die zuletzt übrig geblieben sind, tatsächlich nicht von Vorher gekannt?

Renate: Nein. Wir haben uns alle im Kutscherhof erstmals gesehen und kennengelernt.

Der Sieger oder die Siegerin, also die letzte Person, die im Spiel übrig bleibt, wird als Preis eine Million Schilling erhalten. Bei „Big Brother“ war aber der große Sieger Zlatko, der zwar schon früher ausgeschieden war, aber dann eine CD aufgenommen hat, Filmrollen erhielt und ein Fitneß-Studio eröffnete. Hier habe ich auch das Gefühl, dass es vor allem darum geht, wie jeder seine Teilnahme für später am besten verwerten kann. Da entsteht plötzlich ein Ohrwurm mit dem Titel „Taxi Orange“, wo man schon den Eindruck hatte, das war nicht spontan, sondern gut vorbereitet.

Renate: Nein, das ist vom Max. Der ist so kreativ. Dem fallen ununterbrochen neue Lieder ein. Melodie und Refrain sind von ihm, das andere ist ein Gemeinschaftswerk. Und eine der Strophen von Taxi Orange habe zum Beispiel ich selbst gedichtet.

Aber es bleibt so, dass die Kandidaten hier die Chance haben sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, ob und wie sie danach – z.B. als Model – Karriere machen können?

Renate: Zum Teil ja, zum Teil geht diese Rechnung nicht auf. Man ist dort eingesperrt und andauernd beobachtet. Anfangs achtet man auf sein Verhalten, wie man denn für die Leute „draußen“ wirkt. Doch schon bald vergisst man das ganz einfach, und der ganz normale gruppendynamische Prozess beginnt. Dabei gibt es dann die dominanten und die weniger dominanten Leute. Klar, dass die dominanten Leute in der Öffentlichkeit mehr und besser wahrgenommen werden.

Beim Taxi Orange irritiert die Sprache der Yuppie-Generation. Alles ist Urcool, Megageil bis Scheiße. Wie ist es dir dabei ergangen?

Renate: Wie ich reingekommen bin, habe ich mich erst einmal hingesetzt und mir gedacht: Um Gottes Willen, was machst du da überhaupt? Ich schaute mir diese Leute an, und dachte mir, mit denen kann ich nie im Leben zusammen sein. Das ist eine ganz andere Welt als die meine. Aber das hat sich dann ganz anders entwickelt. Ich sah mich plötzlich die ersten zwei Wochen mit meiner eigenen Punk-Zeit konfrontiert. Ich fühlte mich wie in alten Zeiten, hätte eine Lederjacke anhaben können, auf der steht „Leckt mich am Arsch“. Trotzdem beschäftigte mich die Frage: Was irritiert dich hier eigentlich so? Und dann bin ich drauf gekommen, dass es natürlich die Strukturen sind, die sich hier widerspiegelten. Dass es hier genau so abläuft, wie „draußen“ auch. Bald hat sich eine Gruppe der „Starken“ herausgebildet, nämlich Max und die beiden Tiroler. Und komischerweise habe ich dazu recht bald den Gegenpol gebildet, um den sich der „Rest“ der Gruppe sammelte. Ich habe jetzt eine Woche lang Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, was sich da drinnen eigentlich wirklich abgespielt hat. Es haben sich recht bald zwei „Führerpersonen“ herausgebildet, die bestimmten, wer zu gehen hat, und sehr schnell haben sich die anderen dem untergeordnet. Ganz so, wie es in der Gesellschaft draußen auch abläuft. Wie ich nach einem Monat den Kutscherhof verlassen musste, hatte ich immer noch das Gefühl, drinnen zu sein. Denn plötzlich habe ich die Machtstrukturen drinnen, draußen wesentlich stärker wahrgenommen. Plötzlich sah ich im Kutscherhof nur mehr den Mikrokosmos der ganzen Gesellschaft, einem System der Angstgesellschaft, wo die Mächtigen diktieren und dir zu sagen haben ob du zu gehen hast oder bleiben darfst. Und deshalb mußt du dich dem anpassen, oder du bist draußen. Das war es, was mich so schockiert hat. Und da begann ich erst das Reality-TV zubegeifen. Die meisten glauben ja, dabei geht es nur darum, den Leuten bei Kaffeetrinken zuzuschauen, dabei geht es um die konzentrierte Form, wie das System funktioniert. Drinnen habe ich mir gedacht, ob ich versuchen soll, dieses System zu zerschlagen. Ich wusste, dass ich die Kraft dazu habe. Aber dann schaute ich, dass ich von meiner Aggression herunterkomme, und versuchte, es irgendwie zu akzeptieren. Wie ich dann rausgekommen bin, habe ich mir erst recht gedacht, dieses System gehört zerschlagen, denn ich kann in einem solchen System nicht leben. Ein System, wo niemand frei ist, wo jeder ducken muss, wo Individualität unerwünscht ist, und wenn man auf den Tisch haut, man sofort weg vom Fenster ist. Bisher wollte ich vor diesem System immer nur weglaufen. Aber nun begriff ich erst, wozu Reality-TV da ist. Damit wir uns mit der eigenen Realität konfrontieren. Sicher geschönt, aber doch auch sehen, wie wir wirklich leben, und dass es notwendig ist, dieses System zu kippen, zu brechen, umzudrehen. Im Schamanismus heißt es beispielsweise, dass dieses Zeitalter nun zu Ende geht. Ich glaube, das kann man an diesen Shows sehr gut beobachten.

Eva Rossmann schrieb im Standard, dass in dieser Sendung zwar die Ellbogengesellschaft vorgeführt werden soll, dass aber dann dennoch große Harmonie und Gemeinsamkeit gezeigt wird.

Renate: Eine Gemeinsamkeit, die aber keine echte ist.

Eva Rossmann meinte weiter, dass hier trotzdem wesentlich intensiver miteinander kommuniziert wird, als im normalen Leben. Und zwar deshalb, weil ein wesentlicher Störfaktor lebendigem Gespräches fehlt: Ein Fernsehapparat. Das ist das Paradoxe an der Situation: Das Fernsehen zeigt eine Pseudowelt ohne Fernsehen. Dadurch sind die Leute, die ursprünglich fast alle ziemlich oberflächlich wirkten, zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst, mit den anderen, mit der gesamten Situation geradezu gezwungen.

Renate: Genau. Ich finde es deshalb auch einen großen Fehler von den Linken, dass sie diese Sache völlig unkritisch ganz einfach ablehnen, ohne dass sie sich damit überhaupt auseinandergesetzt hätten. Gerade diese Leute müssten da eigentlich sogar ganz genau hinschauen, denn hier wird brutal das System gezeigt, in dem wir in Wirklichkeit leben. Deshalb finde ich es vom ORF sogar ziemlich mutig, dass er sich traut, das zu zeigen.

Andy Warhol arbeitete mit dieser Methode, doch da ist es Kunst. Es gibt einen Film „Ein Tag im Leben von Pablo Picasso“. Das ist Kunst. Die meisten „Sandler“ leben ihr Leben öffentlich.

Renate: Aber bei denen schaut man nicht hin, sondern weg.

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