Tanz die Prekarität!Artistin

Förderungen und Durststrecken in der Tanz- und Performance-Szene

Zum Verhungern zu viel, zum Tanzen zu wenig: Die Förderstrukturen für die freie Tanz- und Performanceszene empfinden viele Insider_innen als unbefriedigend. Veronika Krenn (Text) und Marion Wagner (Fotos) haben mit Tänzer_innen und Choreograf_innen über ihren prekären Tanz gesprochen.Wie reich das österreichischen Tanz- und Performanceschaffen ist, zeigen Tanzquartier und brut Wien von 24. bis 27. April in einem Festival: «Feedback 4th edition» ist auch ein Abschiedsgeschenk von Tanzquartier-Intendant Walter Heun, der 2018 von Tanzkuratorin Bettina Kogler abgelöst wird, an die freie Szene in Wien. Blickt man auf die Einkommenssituation der Tanzschaffenden, sieht das Bild weniger «reich» aus: Schon 2008 stellte eine vom damaligen Bundesministerium für Kunst und Kultur erstellte Studie zur sozialen Lage von Künstler_innen in Österreich eine dramatisch prekäre Situation fest. Seither, so Barbara Stüwe-Essl von der IG Freie Theaterarbeit, habe sich die Lage wohl noch verschlechtert: «Die Arbeitsverhältnisse im gesamten Bereich sind zunehmend prekär und entstehen sehr häufig im rechtlichen Graubereich.»

 

Dürfen Künstler_innen altern?

Die Choreografin und Tänzerin Milli Bitterli, die seit rund 20 Jahren in der freien Wiener Performanceszene präsent ist, hat vor sechs Jahren beschlossen, aus dem Fördersystem auszusteigen. «Ich hab immer Förderungen bekommen. Aber irgendwann habe ich keine Lust mehr gehabt, mich ständig Gremien zu stellen und durch eine Bewertung zu gehen.» Die Abhängigkeit freier Kunstschaffender vom Fördersystem findet sie schwierig: «Viele, die irgendeine Art von Beruf haben, bekommen ein fixes Einkommen und Absicherung, und das trifft für Künstler nicht zu.» Darum hat Bitterli nebenbei eine Ausbildung zur Volksschullehrerin gemacht. Jetzt kann sie budgetbedingt zwar nur noch Solos realisieren, ist aber dafür dem Produktionsdruck entkommen. «Alleine davon auszugehen, dass ein Künstler immer gleich kreativ ist, sein Leben lang, ist ein falscher Gedanke. Hier gibt es kein Absicherungsnetz, das einen auffängt.» Dieses Fördersystem passe gut für junge Leute, meint sie, aber sie sei älter geworden, habe Kinder bekommen und sei nicht mehr so flexibel. «Im Kulturbetrieb, beim Tanz ist nichts da, wo man sich überlegt hat: Was macht man jetzt mit den Künstlern, die man 20 Jahre gefördert hat? Was passiert, wenn sie älter werden? Es gibt ja keine finanzielle Vorsorge.» Dass hauptsächlich junge Menschen auf der Bühne stehen, findet sie schade. «Das sagt ja auch schon viel darüber aus, dass das eben nur bis zu einem gewissen Punkt gut geht. Es gibt viele Festivals für junge Leute, es gibt Förderungen für junge Künstler, das wird sehr unterstützt. Und dann ist man etabliert, und worum geht’s dann? Darum, Positionen zu halten.»

 

Zwischen interdisziplinären Stühlen sitzen

Die Situation von Paul Wenninger, Jahrgang 1966 und Vater von drei Töchtern, ist anders: Sein «Ausstieg» aus dem Fördersystem geschah unfreiwillig. Seit rund 20 Jahren ist er als Choreograf tätig, seine Projekte wurden lange von der Stadt Wien gefördert. Dann kamen neue für Tanz zuständige Kurator_innen, die seine Arbeit noch nicht kannten. Er hörte: «Wir schauen uns das nächste Stück an und entscheiden dann.» Etwas, das ihm nach der Dauer seines künstlerischen Schaffens in der Stadt als sehr kurzfristige Entscheidung vorkam. Ein anderes Argument lautete: «Du machst ja jetzt eh Film.» Wenninger hatte als Konsequenz aus einem choreografischen Projekt das Medium gewechselt. «Dann hab ich noch ein zweites Projekt gemacht, und die Filme waren recht erfolgreich. Das hat man damit bestraft, dass ich aus dem Bereich Tanz keine Förderung mehr bekomme.» Und das, so Wenninger, «obwohl es aus jeder Ecke – zumindest vom Kulturstadtrat – ‹medienübergreifend› und ‹interdisziplinär› pfeift. Wenn du es aber konkret machst, wirst du bestraft. Ich habe mein Studio aufgeben müssen. Und im Film bin ich ja auch nicht zuhause. Ich sitze jetzt zwischen den Stühlen.»

Wenninger stellt sich die Frage, ob Wien es sich leisten könne, Jahre in Künstler_innen zu investieren und diese dann wegzuschmeißen. «Die soziale Lage von Kunstschaffenden ist grausam, da merkst du, wir haben den Status von Tagelöhnern, obwohl wir Steuern und SVA bezahlen.» Wenninger empfindet die Situation in der freien Szene als sehr prekär. «Es hat 2003 eine Theaterreform gegeben, die mehr oder weniger in den vergangenen zehn Jahren wieder zunichte gemacht worden ist. Was ich jetzt so sehe unter Kollegen meiner Altersklasse, um die 50, ist, dass es eine extreme Altersdiskriminierung gibt. Seitens der Förderer wird jetzt gerade Alt gegen Jung ausgespielt, Institutionen versus Künstler.»

Fragt man den Choreografen, ob er das Gefühl hat, dass Ausbeutung gefördert bzw. gefordert wird, lautet die Antwort: «Ja. Es passiert alles, was mit der Theaterreform zu verhindern versucht wurde. Es hat geheißen: weniger Projekte, dafür substanzieller, damit die Künstler_innen davon leben können und es auch Anstellungen gibt, denn das ist mit der Anstellungspflicht in die Illegalität gerutscht. Kein Mensch kann es sich mit den Subventionen, die wir bekommen, leisten, wen anzustellen. Die Honorarnoten-Praxis, wo jeder Künstler einer Produktion als eigener Unternehmer auftritt, ist illegal. Da droht jederzeit eine Anzeige. So werden die Leute in Ausbeutung getrieben.» Jetzt sieht er das Gießkannensystem wieder entstehen: «Jedem ein Tropferl hinhauen, also grade mal so viel, dass sie durchkommen. Wenn sie hungern, zerstreiten sie sich untereinander, dann sind sie leichter zu lenken.»

 

Durststrecken ohne Reserven

Walter Heun, langjähriger Leiter des Koproduktionshauses Tanzquartier und in zahlreichen europäischen Netzwerken tätig, sieht, dass in vielen Ländern die öffentliche Förderung rückläufig ist. Selbst in Belgien, wo die freie Szene noch besser gestellt ist als in anderen Ländern, ergab eine Studie, dass 75 Prozent der Künstler_innen nur ein Einkommen knapp an der Armutsgrenze beziehen. «An unserem Haus kann man das gut sehen», sagt Heun. «Unser Budget wurde nur einmal erhöht, und die Kostensituation steigt an. Was vom Subventionsanteil in die künstlerische Produktion fließt, ist heute ungefähr 40 Prozent weniger wert als 2001.» Kurator_innen müssten sich die Frage stellen, ob sie wenige Leute hoch oder mehrere Leute niedrig fördern sollen. «Es ist so ein bisschen dazwischengerutscht. Aber was ich viel fataler finde, ist der Trend, dass man die Künstler_innen in einem Jahr fördert, im nächsten Jahr nicht. Das wird die ganze Szene langfristig austrocknen, denn was soll man im Jahr dazwischen machen? Die Künstler_innen können garantiert keine Reserven aufbauen, um die Durststrecke zu überbrücken.» Heun wundert sich auch über die Begründungen der Förderabsagen, die manchmal schwer nachvollziehbar seien. «Dem einen wird gesagt, er agiert ja nur in Wien und nicht international, den anderen wird gesagt, sie sind zu international unterwegs, sie sind ja gar nicht mehr in Wien.»

Eine Förderentscheidung sei immer auch eine soziale Entscheidung. «Es gibt Künstler_innen, die deutlich unter die Armutsgrenze fielen, wenn sie nicht mehr gefördert wurden. Wie viele wurden schon aufgebaut als junge Choreografen, im Mittelbau noch mitgezogen, manche sind zum internationalen Durchbruch gekommen, andere haben das nicht geschafft.»

Potenzial sähe er in einem Fördermodell, das als zyklisches System funktioniert. Hier in Wien fehle auch noch Erfahrung im Umgang mit Künstler_innen, die aus dem Fördersystem fallen: «Man sollte viel proaktiver agieren und Umschulungen und Weiterbildungen finanzieren. In Deutschland gibt es ein Transition-Center, das vom Bund gefördert wird und mit den Arbeitsämtern zusammenarbeitet. So kann man schauen, dass die Künstler_innen, die sich jahrelang verdient gemacht haben, nicht zum Sozialfall werden.» Aus Sicht der IG Freie Theaterarbeit ist vor allem aber ein klares Bekenntnis zur zeitgenössischen freien darstellenden Kunst durch die österreichischen Förderinstanzen nötig. Ob das derzeit gegeben ist, ist mehr als fraglich.

 

Arbeiten von Milli Bitterli, Paul Wenninger u. a. Tanz- und Performanceschaffenden sind von 24. bis 27. April beim Festival Feedback 4th edition im Tanzquartier und im brut zu sehen.

Infos auf www.tqw.at / brut-wien.at