Vom arabischen Frühling zum bitterkalten WinterArtistin

Rapperin Medusa und der revolutionäre Hip-Hop in Tunesien

Eines ist dem tunesischen Hip-Hop, so wie allen progressiven Jugendbewegungen in Tunesien, zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicher: Die Repression der Regierungsislamisten folgt auf Schritt und Tritt. Lina Ben Mhenni, die mit ihrem Blog «a tunesian girl» weltweit Bekanntheit erlangte, fasst diesen Umstand in nüchterne Worte: Der arabische Frühling hat sich in einen bitterkalten Winter verwandelt. Dennoch lassen die Jugendlichen nicht locker und sprechen von der Notwendigkeit einer zweiten Revolution. So auch die Rapperin Boutheyna Alouadi, bekannt unter ihrem Künstlerinnennamen Medusa.Vor knapp drei Jahren wurde der autokratische Präsident Ben Ali, der Tunesien während Jahrzehnten den Status eines Polizeistaates aufgezwungen hatte, aus dem Amt gejagt. Niemand hatte wenige Monate zuvor damit gerechnet, dass ein Regime, das so fest im Sattel zu sitzen schien, weichen würde. Schon damals spielte der Hip-Hop eine entscheidende Rolle für den Elan der revolutionären Bewegungen. Legendär wurden die Rapper Klay BBJ und Weld 15. Doch nicht nur Männer rappen in Tunesien. Der 14. Jänner 2011 – der Tag, an dem Ben Ali fluchtartig das Land verließ – war auch der Tag einer feministischen Revolution, und so konnten sich in den letzten Jahren immer mehr Rapperinnen etablieren. Die wohl bekannteste unter ihnen ist Medusa. Wie alle Rapper_innen und Kulturschaffende in Tunesien hat sie aktuell mit der Repression zu kämpfen, die von der islamistischen Regierungspartei Ennahda ausgeübt wird. Denn die tunesische Revolution teilt das Schicksal so vieler anderer Revolutionen der Geschichte: Das, wofür man gekämpft hat, bekommt man nicht, und manchmal kommt es sogar noch schlimmer als zuvor.

Eine Bühne für die Frauenbefreiung

Künstlerische Freiheit, freie Meinungsäußerung, Frauenrechte und demokratische Kontrolle der politischen und ökonomischen Sphäre sind in weite Ferne gerückt. Stattdessen klammert sich eine neue Elite an die Macht, die ihre Legitimität mit einer ultra-konservativen Auslegung des Islam festigen will. Diejenigen, die ihre Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen und dabei die Regierung kritisieren oder gegen vermeintliche religiöse Normen verstoßen, werden unter fadenscheinigen Anschuldigungen ins Gefängnis gesteckt. Der Rapper Klay BBJ wurde im Sommer bei einem seiner Konzerte direkt von der Bühne weg verhaftet. Ein achtköpfiges Team von kritischen Filmemacher_innen und Musiker_innen wurde vor einigen Monaten nach einer nächtlichen Polizei-Razzia ins Gefängnis gesperrt – vier von ihnen sitzen noch immer. Zusätzlich zur politischen Repression durch die Regierungsislamisten um Ennahda haben Salafisten ihr Betätigungsfeld auf Tunesien ausgeweitet; diese werden von offizieller Seite stillschweigend toleriert und zum Teil sogar offen unterstützt. Medusa spricht diesbezüglich Klartext: «Es ist bereits vorgekommen, dass Salafisten mich physisch angreifen wollten. Das war bei einer Kundgebung vor einem Monat, bei der es um das Recht auf Abtreibung ging. Eine feministische Organisation hatte dazu aufgerufen, und ich rappte ein paar meiner Nummern. Selbst auf der Bühne fühle ich mich nicht wirklich sicher. Wenn ich auf der Straße unterwegs bin, und selbst in den Momenten, in denen ich performe, muss ich wachsam sein.»

Zum Zeitpunkt des Interviews kommt Medusa gerade von einer Tour durch Mauretanien, Marokko, Senegal, Ägypten und Libanon zurück. Das Internet sei bei der Verbreitung der Musik und der dazugehörigen Inhalte nicht zu ersetzen, meint Medusa. Und so eilte ihr Ruf ihr voraus, und die Kids in Marokko oder Senegal kannten bereits ihre Lieder. In den Ländern, die Medusa bei ihrer Tour bereiste, sind drei Jahre nach dem sogenannten arabischen Frühling ähnliche Probleme virulent: Überall geht es darum, patriarchale Strukturen zurückzudrängen, die durch die Internationalisierung des konservativen Islam an Auftrieb gewinnen: «Die Salafisten sind absolut gegen die Dinge, die ich in meinen Songs fördern will: Ich singe ja über den Freiheitskampf der Frauen, über Gleichheit, über das Recht auf Abtreibung. Die Salafisten hingegen wollen Frauen unterdrücken, sie zu Objekten ihrer sexuellen Begierde machen und sie zu Gebärmaschinen reduzieren, die nur dazu da sind, die Kinder großzuziehen. Ich verurteile in meinen Raps diese Haltung und spreche meine Meinung frei aus.»

Hoffnung trotz allem

Auch nach Europa hat Medusa bereits vielversprechende musikalische und politische Kontakte geknüpft: So berichtet die Rapperin von der Kooperation mit der großartigen schwedischen Band «The Knife» – im nächsten Jahr soll ein gemeinsamer Videoclip produziert werden.

Auch wenn sie Angst um die Zukunft hat, schöpft Medusa aus den letzten drei Jahren doch Hoffnung: «Ich habe festgestellt, dass es eine positive Trendwende gibt: Viele junge Frauen und auch die ältere Generation Frauen setzen sich für einen umfassenden Emanzipationsprozess ein.» Ennahda hat mittlerweile in weiten Teilen der Bevölkerung enorm an Popularität eingebüßt. Ein Anzeichen, dass die Forderungen der Revolution vielleicht doch noch umgesetzt werden – der feministische Hip-Hop wird dabei jedenfalls eine gewichtige Rolle spielen.

Foto: Tim Zülch

Alexander Behr und Tim Zülch sind im europäisch-afrikanischen Netzwerk «Afrique Europe Interact» aktiv. Sie waren im September 2013 in Tunesien, um für eine Radiosendung zum Blick von Jugendlichen auf die tunesische Revolution zu recherchieren, die Anfang 2014 auf SWR zu hören sein wird (www.swr.de/radio).

Weiterlesen, weiterhören:

Lina Ben Mhenni: «Vernetzt Euch!», Ullstein Verlag 2011

Lina Ben Mhennis Blog: http://atunisiangirl.blogspot.co.at

Suchbegriffe, um Medusas Musik im Internet zu hören: «Medusa Rap Tunisien»