Woher alles Böse kommtArtistin

Rita Monaldi, Francesco Sorti und die «Türken» vor Wien

Imprimatur, Secretum, Veritas und Das Mysterium der Zeit die Titel der nach zehnjähriger Recherche entstandenen Bücher des römischen Künstlerehepaars Rita Monaldi und Francesco Sorti verraten, dass es um Kirchengeschichte geht. Alle Personen, ob Abendlandverteidiger oder Morgenland-Protagonisten, scheinen ein düsteres Geheimnis zu hüten und in kontinentale Intrigenspiele integriert zu sein. Auch in Band 5 bis 7 wird es nicht anders sein. 7000 Seiten nach dem Bestsellermotto «Alles Böse kommt vom Vatikan», ätzte ein Gegner; dieser musste freilich einräumen, dass das Amtskirchen-Bashing «perfekt wie nie» mit ausgegrabenen Dokumenten der Realität legitimiert wird.Manche Fakten, von Monaldi und Sorti aus vielen Archiven geholt, will der Vatikan heute noch verschweigen. Er will nicht, dass Gottlose informiert werden, dass in der Barockzeit die Päpste zu den Gottlosesten zählten. Monaldi und Sorti lernten Zensur kennen. Die Umgebung des Papstes wollte so stark sein wie damals im Barock und torpedierte juristisch die Verbreitung des Romans in Italien. «Das hat uns an den Schafberg verschlagen, eine Flucht», grinst Francesco. Im Winter leben sie dennoch lieber in Rom.

Die Päpstin. Die Novizin. Die Pelzhändlerin. Die Äbtissin. Die Hure und der Mönch. Die Kardinälin. Die Jungfrau mit dem Bogen. Die stumme Reiterin. Die Kastratin. Hexe, Hure, Herzogin. Der Fluch der Heilerin. Die Madonna von Murano. Die Hexe. Die Dirne und der Bischof. Die Gefährtin des Medicus. Die Goldmacherin. Die Gottessucherin. Die Rebellinnen von Mallorca. Die hässliche Herzogin. Die Heilerin (Dutzende Varianten). Die Kastellanin. Die Königsdame. Die Lauscherin im Beichtstuhl. Die Mätresse des Kaisers. Die Pestärztin. Die Seherin von Avignon. Die Zeichenkünstlerin von Wien. Die Tochter der Wanderhure. Die Wanderhure. Die Todgeweihte. Die süße, sanfte Mörderin.

Die Buchmärkte, im Speziellen die Krimimärkte, noch spezieller das Genre des historischen Romans in unseren patriarchalen Gesellschaften punkten mit ihren titelrelevanten weiblichen Heldinnen, die den Mannsbildern als Projektionsfläche dienen, auch wenn sich durch fortgeschrittene Lektüre

herausstellen sollte, dass die Heldin keinerlei Fantasie anregt. Erstaunlich viele der hier aufgelisteten «Die»-Titel vermag Francesco Sorti im Augustingespräch aufzulisten; nicht, weil er sie alle gelesen hat, sondern weil ihn die Mechanismen von literarischem Erfolg und Misserfolg interessieren.

Selbst das Qualitäts-Branding rororo am Cover des dritten Buches der in sieben Bänden angelegten und sich in siebenhundert Geschichten verzweigenden Barock-Spionage-Dokumentations-Fiktion verhindert nicht, dass Freund_innen des literarischen Experiments, Gebildetere, Anspruchsvollere ein Regal, in dem das Design der trivialisierten Historienromane vorherrscht, nicht einmal ignorieren. Der Rowohlt Verlag hat sich für das von Anette Kopetzki ins Deutsche übersetzte Siebentel der sich verzettelnden Romangeschichte entgegen den Vorstellungen des Autor_innenpaars eine Ästhetik der Quotenjagd und eine Klappentexterei der Sensationsgeilheit zugelegt, als müsse er das literarisch-historische Großprojekt von Monaldi / Sorti abgrenzen gegenüber den formal weniger boulevardesken Büchern des Umberto Eco, dem der Carl Hanser Verlag die Peinlichkeit erspart hat, das Werk weit unter dem Wert zu designen.

Was das Verzwirbeln von Historie und Thriller betrifft, ist das Literatenehepaar Monaldi / Sorti immer wieder mit dem bekannteren Italiener verglichen worden («Der Name der Rose»), freilich in der Regel nicht ohne Wertung. Im deutschen Literaturblog Histo-Couch wird dem Paar unterstellt, nach dem «großen Vorbild Umberto Eco zu schielen», ohne aber jemals «die unnachahmliche Leichtigkeit, mit der Eco zwischen Wissenschaft und Unterhaltung wandelte», zu erreichen.

«Der Rowohlt Verlag erreicht durch diese Kommerzialisierung, dass genau solche Leute zum Kaufen verlockt werden, die dann bald enttäuscht das Buch für immer weglegen werden«, ärgert sich Rita Monaldi. Wie um sie zu bestätigen, schreibt Michael Drewniok im Histo-Couch-Blog über Band 1 (Titel: «Imprimatur»): Die «bemerkenswerte historische Recherchefähigkeit des Autorenduos» übertreffe leider weit seine Fähigkeit, eine spannende Story zu erzählen. Was sie zu sagen hätten, sei historisch interessant, jedoch trage ihr gemeinsames Wissen selbst kaum zu einer Handlung bei. Zumal dem eigentlichen Roman eine 50seitige wissenschaftliche Abhandlung folge, die das gerade Geschriebene noch einmal vertiefe. Auch Carsten Jaehner missversteht im selben Blog den Text des dritten Buches als einen, der einen unterhaltsamen und Gänsehaut erzeugenden Kampf des Guten mit dem Bösen (= den Päpsten) verspreche, aber das Versprechen nicht einhalte. Aber vielleicht wollen Monaldi und Sorti gar kein hollywoodreifes Drehbuch. Vielleicht reizt sie die Herausforderung, aus einem Krimi und einer Doktorarbeit ein gemeinsames Ganzes zu fabrizieren. Vielleicht haben die in Wien und Rom lebenden Ko-Autor_innen null Bock auf das Schema F in Sachen roter Faden. Vielleicht ist ihnen, wie mir, eine Selektion feiner Ideen in einem literarischen Werk wichtiger als das mit Höhepunkt und Happy End versehene Abenteuer.

Augustin-Leser_innen werden nun jedenfalls nicht mehr den Fehler begehen, sich etwa vom doofen rororo-Klappentext («Verrat, Mord, Intrige ein Meisterspion im Spiel der Mächte») täuschen zu lassen. Wenn sie noch dazu neugierige Wiener_innen sind, werden sie auf ihre Rechnung kommen, vor allem in «Veritas». Die osmanische Okkupation Europas, die Belagerung Wiens durch die osmanische Armee hat den Protestantismus vor dem Schicksal erspart, das die Katharer, die Albigenser; die diversen Ketzerbewegungen und die egalitären Bettelmönchzusammenhänge erlitten. Um diese Einsicht muss ich den Italo-Nachhilfelehrer_innen Monaldi und Sorti danken. Hätten «die Türken» damals, im 17. Jahrhundert, das Mögliche gemacht, nämlich die katholische Kirche zur Sekte verwandelt, wäre die erste große Vertreibung der Intelligenz aus Wien, die Vertreibung der reformatorisch Aktiven, unterblieben es wäre reizvoll, durchzuspielen, wie sich das auf jene Kräfteverhältnisse ausgewirkt hätte, die die nächste Vertreibung der Intelligenz möglich machten: 1938!