Augustin 281 - 09/2010

Antipsychiatrischer Drall

Oskar Panizza, seinerzeit der größte Querdenker deutscher Sprache, hat bereits 1898 die psychiatrische Wissenschaft» als entlarvt abgetan entlarvt als eine Fabrikationsstätte immer neuer Krankheiten und Diagnosen und als ein System, das weniger den vermeintlich Wahnsinnigen helfe, als vielmehr den Herstellern von Tabletten und den Bewahrern überkommener gesellschaftlicher Verhältnisse: Letzteren werde mit der Psychiatrie ein Instrument zur Kontrolle von Nichtangepassten in die Hand gegeben. Panizza hat sich einmal den Spaß erlaubt, mitzuspielen, und hat eine «neue Krankheitsform, die psychopatia criminalis, in das Lehrgebäude der Psychiatrie» eingeführt:

«Wenn man erwägt, zu welcher Wahnsinnshöhe ganze Völker damals (gemeint ist die Zeit der bürgerlichen Revolution, 1848) aufgestachelt waren, wie bis dahin vernünftige Bürger den verbrecherischen Versuch machten, die geheiligten Rechte der von Gott eingesetzten Fürsten zu schmälern», so schaudere man vor der Möglichkeit, dass sich sogar Deutschland in eine Republik hätte verwandeln können. «Ein bisschen Hyoscyamin und ein bisschen Bromkali» hätte man diesen nach Freiheit schreienden wild gewordenen Psychopathen verabreichen müssen, und schon hätte der Aufstand erstickt werden können.Als Laie auf diesem Gebiet kann ich hier bloß meine Intuition notieren: Panizzas Kritik, vor hundertzehn Jahren formuliert, klingt sehr seiner Zeit voraus. Genauso wie übrigens die Thesen einer von den Medien kaum beachteten Alternativveranstaltung zum großen Wiener Aids-Kongress. Demnach könne die «Konstruktion von Aids» vom wissenschaftlichen Gehalt her mit der Erfindung der psychopatia criminalis verglichen werden: In Afrika werde als aids-krank diagnostiziert, wer länger als einen Monat Durchfall, starke Gewichtsabnahme und generalisierten Husten habe. Die Nutznießer dieser Diagnostik seien die Aids-Medikamente produzierenden Konzerne und die korrupten Regierungen Afrikas. Die können jene Krankheiten, die in Wirklichkeit durch Hunger und verseuchtes Wasser entstehen, der Kondom-Müdigkeit sexuell Ausschweifender anlasten, eine sehr bequeme Art, sich um die Herausforderung der Versorgung der Bevölkerung mit risikolosem Wasser zu drücken. Uns AmateurInnen fällt da ein Widerspruch schwer.

Dilettantisch mag auch sein, dass die Beiträge für den inhaltlichen Schwerpunkt dieser Ausgabe einen Panizza-Drall aufweisen. Wir ersuchen um Verständnis. Das offizielle psychiatrische Diagnosesystem wird so «reformiert», dass nun auch die natürliche menschliche Trauer, wenn sie zu Schlafstörungen und Interesselosigkeit führt, zu den psychischen Krankheiten zählt (Seite 8); die gesammelten Krankengeschichten eines unserer Verkäufer erhärten den Verdacht, der beliebige Wechsel der Diagnosen diene der Legitimierung einer ebenso beliebigen Medikation (Seite 10); das Schicksal der in die Donau gegangenen Schriftstellerin Brigitte Schwaiger deutet auf einen strukturellen Zusammenhang von Armut und psychischer Krankheit hin (Seite 6).

Es ist schwer, angesichts solcher Phänomene dem Panizza-Wahnsinn n i c h t anheimzufallen.

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