Augustin 423 - 11/2016

Was wir mögen / nicht mögen

Bei Hemingway, Gesammelte Werke, Band 10, gibt’s eine schöne Liste zu entdecken. Es ist eine Liste der Dinge, die dem Schriftsteller für das gute Leben essenziell erscheinen:«Das Wirkliche besteht aus Kenntnis, Erfahrung, Wein, Öl, Salz, Essig, Bett, Morgendämmerungen, Nächten, Tagen, der See, Männern, Frauen, Hunden, Lieblingsautos, Fahrrädern und Tälern, dem Erscheinen und Verschwinden von Zügen auf geraden und krummen Strecken, dem Trommeln eines Schneehuhnmännchens auf einem hohlen Baumstamm, dem Geruch frischer Gräser und frischgegerbten Leders und Sizilien.» Ich glaube, der Text stammt aus den 1950er Jahren – die Lieblingsautos seien ihm also verziehen. Bei Friederike Mayröcker fällt die entsprechende Liste bescheidener aus: «du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus / keines für dich allein nur einen Winkel ein Dach / zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen /zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund / die Gestirne das Gras die Blume den Himmel.»

Aus dem Augustin, dem fälschlicherweise nachgesagt wird, nur schlechte Nachrichten zu verstreuen, kann Ausgabe für Ausgabe eine Liste von Dingen, die wir mögen, herausdestilliert werden; insgesamt ergeben sie einen Schatz, der ausreicht, diese Welt zu ertragen. In der vorliegenden Ausgabe können wir in dieser Hinsicht bieten: die obdachlosen Linzer Originale, die monatlich 40.000 Exemplare ihrer Straßenzeitung «Kupfermuckn» vertreiben (Seite 6); die 20.000 «Sechsundfünfziger», die nach ihrer Flucht aus Ungarn in Wien blieben und uns immer noch mit ihrem unausrottbaren pannonischen Akzent erfreuen (Seite 8); die melancholischen Anti-Liebeslieder der Frauenband «Fräulein Hona» (Seite 26); die Erinnerung an den bulgarischen Verteidiger Trifon Ivanov, der von dem am grimmigsten blickenden Fußballer Rapids zu einem Austrianer mutierte und beim Konkurrenzverein nichts von seiner Grimmigkeit verlor (Seite 20).

Die Frage ist, ob all das Schöne wirklich ausreicht, um uns vor Resignation zu bewahren, denn die Gegenliste der entbehrlichen Dinge und Angelegenheiten ist ebenso umfangreich: Niedrigstlöhne für ausländische Krauthappelerntehelfer_innen in Niederösterreich (Seite 10); die Abhängigkeit der Kunstschule Wien von der privaten US-Universität Webster (Seite 24); die künstlerische Avantgarde Österreichs, die alle Normen in Frage stellt, mit Ausnahme der drückendsten Herrschaftsnorm: «Die Frau soll schweigen» (Seite 30); der Schweizer Nestlé-Konzern, der sich in den Gebieten der First Nations Peoples aus dem Stamm der Cree die Wasserrechte unter den Nagel gerissen hat (Seite 36); internetfähige Dildos, die jede Menge Daten sammeln, etwa den Zeitpunkt der Verwendung (Seite 38).

Vielleicht ist das ein Blattmacher_innen-Geheimnis: für eine Ausgewogenheit der Wir-mögen-nicht- und der Wir-mögen-Liste zu sorgen. So gesehen erweist sich der alte Sponti-Spruch «Wir wollen alles – und das sofort!» als nicht sehr dienlich; besser wär es, sich auf das zu konzentrieren, was durchsetzbar ist – und das ist heutzutage leider nicht «alles». Übrigens, der Musiker Otto Lechner übertrug die 68er-Parole in sein Wienerisch: »I wü nix, owa net glei». Auf Anhieb hat diese Devise etwas Faszinierendes für mich; noch kann ich nicht erklären, weshalb …

eingSCHENKt: Neu! Besser! Billiger!

Alte Menschen pflegen, Flüchtlinge betreuen oder Kinder unterrichten: «soziale Innovation» ist mittlerweile unabdingbar – zumindest am Etikett. Liest man die Begründungen für Sozialpreise, vertieft man sich in die Managementliteratur, glaubt man den … weiterlesen

Wo Adler nie müde werden …! (Teil 2)

Jovana, meine Tochter, dieses Mädchen, schon mit 10 Jahre trägt sie einen schweren Rucksack – die jetzige Gesellschaft, Schulstress, Aussehen-Stress, Buben- und Kühl-sein-Stress, Konsum-Stress und vieles andere, das in diesem Zeitalter für Aufregung … weiterlesen

uhudlergedichte

uhudlerherbst

Goldsilberhellgrauviolettes meer von tausend lichterschwaden

Bringt mir die freiheit vom stürmischen sein

Der gleichenbergerkogel unter stillem grauviolettblauem wolkengetöse

Bis hinüber nach ungarn

Ein kroatisches käuzche… weiterlesen

Jackie Hookimaw

Cherchez la Femme

In einem Hotel an der Wienzeile treffe ich am Freitagnachmittag eine der wichtigsten Aktivistinnen der First Nations People aus dem Stamm der Cree, Jackie Hookimaw aus Attawapiskat, Ontario, Kanada.

© Jella Jost

Jackie beklagt sich nicht. Sie kons… weiterlesen

Kekse für die Kühe

Die Abenteuer des Herrn Hüseyn (67)

In diesem Bezirk der Stadt wohnten hauptsächlich Menschen aus Dersim/Tunçeli. Obwohl sie schon in der Stadt waren, herrschen aber in diesem Bezirk dörfliche Strukturen. Ein- oder zweistöckige Häuser. Viele hatten Hühner und Kühe. Nachbarn redeten mit… weiterlesen

Phettbergs Fisimatenten: Wie ein altes Pferd

Es ist heute so ein wunderbarer «Ö1»-Tag, zuerst von eins bis zwei liefen lauter «Kreislerianer»: 1. von Fritz Kreisler und 2. von Georg Kreisler. Dann begann um 14 Uhr ein Hörspiel über die Gattin von John F. Kennedy, Jackie Kennedy, eines der aller… weiterlesen

Als Ferry den Bertl gab

«Kupfermuckn»: Linzer Nachrichten von unten – seit 20 Jahren

Die Marienstraße in Linz versprüht italienischen Charme.  Kopfsteinpflaster, Häuser mit freundlichen Fassaden und wenig rollender Verkehr. Dafür sind viele Menschen zu Fuß unterwegs. Hier, im Haus mit der Nummer elf, ist sie untergebracht, die S… weiterlesen

Frau Mwangi zieht in den Gemeindebau

60 Jahre ’56: Ungarische Wiener_innen erzählen, Teil 2

Etwa 20.000 «56er» blieben nach ihrer Flucht aus Ungarn in Wien. Bei Anna Mwangi war es ein bisschen anders: Sie kam als Diplomatentochter und wurde erst Jahre später zum Flüchtling. Lisa Bolyos hat sich von ihr erzählen lassen, wie sie 1956 als Toch… weiterlesen

Niedrigstlöhne in der Krauthappelernte

Rumänische Erntehelfer_innen verklagen niederösterreichischen Bauern

Sieben Jahre lang hat Violeta Popa (Name geändert) auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Niederösterreich Kraut geerntet, Unkraut gejätet und bis zu 17 Stunden am Stück Landarbeit verrichtet: für einen Hungerlohn und mit windschiefer Anmeldung be… weiterlesen

Privatspital statt Wohnraum

100 Mieter_innen vom Rauswurf bedroht

Das vom Parlaments- und Ringstraßenarchitekten Theophil Hansen 1849 erbaute ehemalige «Grand Hotel National» soll abgerissen werden, um ein privates Krankenhaus zu erweitern. Otto Steiner über ein Monsterprojekt im historischen Stadtkern, privates ve… weiterlesen

Soros spielt Weltgewissen

Behinderte Kinder ohne Bildungszugang:

Viele Regierungen hätten zu wenig oder gar keine Budgetmittel für die Bedürfnisse behinderter Kinder bereitgestellt. Die Folge: Von den weltweit 65 Millionen behinderten Kindern im Schulalter hat zumindest die Hälfte aus diesem Grund keinen Zugang zu… weiterlesen

Dannebergpredigt: Kriege von A bis Z

Die feministische Tischgesellschaft der Plattform 20000frauen hatte vor Wochen die Kriegsschauplätze mit Kreide auf das Straßenpflaster geschrieben. An den Tischen nahmen Frauen Platz, die Schutz vor Gewalt gesucht hatten.Eine lange Todesliste – alph… weiterlesen

Draußen vor den Türen

Über das harte Pflaster von britischen Städten

Ausgehend von ihrer Erfahrung mit Obdachlosigkeit und Straßenzeitungsverkauf macht Bekki Perriman nun Kunst. Ein Bericht von der Insel von Erin Rodden, der von Sonja Rieder (Translators Without Borders) ins Deutsche übersetzt wurde.

Foto: Bekki Perr… weiterlesen

Botschaften auf Häusern

Ein Buch zur Geschichte und Ästhetik der Außenwerbung in Wien

Es ist kaum noch zu lesen: «Moderne Wohnkultur Franz Zand» steht auf der Feuermauer des Hauses Brünner Straße 116 in Floridsdorf geschrieben.

Foto: Daniel Gerersdorfer (gefunden in der Kreuzgasse, 1180 Wien)

Noch verblasster ist das Wort «Melkmas… weiterlesen

Traumstandort Matteottiplatz

Kunstschule Wien und die Privatuni Webster – ein Dilemma

Die Geschichte der Kunstschule Wien ist eine Geschichte des Kampfes gegen Bildungsprivilegien. In der Politik herrscht die Meinung vor, dieses Anliegen könne nun abgehakt werden. Die wiedergegründete Kunstschule Wien wird deshalb von den potenziellen… weiterlesen

Melancholische Anti-Liebeslieder

«Fräulein Hona» mit neuer CD

Aus «Lockerem Musizieren unter Freundinnen» wurde eine richtige Band: «Fräulein Hona» hat vor kurzem das zweite Album vorgestellt.  «Of Circles And Waves» präsentiert zehn sparsam instrumentierte Songs mit leicht melancholischem Einschlag abseit… weiterlesen

Kaisermühlener Aphrodisiaka

Ein Stück Boulevard im transdanubischen «Werkl»

Das «Werkl» im Goethehof verschreibt sich 2017 der hundertsten Wiederkehr der Oktoberrevolution. Vorher bietet es eine Premiere der boulevardesken Art. «Aphrodisiaka» von Achim Lenz, unter der Regie von Irene Lang und Mirza Prince. Ein Rollenspiel mi… weiterlesen

Endlich wieder Stimmgewitter!

Musikarbeiter unterwegs … mit dem Chor des Vertrauens

«Es tröpföt aum Asphoit» heißt eine neue CD des Stimmgewitter Augustin. Eine liebende Lobrede! Von Rainer Krispel.

Foto: Mario Lang

Am Cover des Tonträger-Kleinods, erschienen bei Lili Records (wie das absolut empfehlenswerte Debütalbum von The … weiterlesen

Echo vielfältiger Verwundungen

Galerie im Bezirksgericht: Bakos Tamás, der Verblüffer

«In den Bildern von Bakos Tamás ist das Echo vielfältiger Verwundungen sichtbar. Mit der Obsession einer heillosen Trauer malt er unentwegt das Unverdrängbare»,schreibt Ilija Trojanow über den autodidaktischen Künstler aus Ungarn, der 13 Jahre lang a… weiterlesen

Bibliotick: Wie ein schreiendes Tierchen im zahnlosen Mund

Kärntner Antipsychiatrie. «Ich habe gelacht. Es war ein blödes und sicher sehr widerliches Lachen und ich begreife, dass es nicht dazu beitrug, mich dem Kleinen sympathischer zu machen.»Der Kleine, das ist der Gerichtspsychiater, dem Christine Lavant… weiterlesen

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