8. Mai. Linz, WeltsensationDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen, 211. Folge

Der Dozent traf Groll im Linzer Hafen. Groll hatte seinen Freund dorthin bestellt, weil er ihm etwas Unglaubliches zeigen wollte. Zum vereinbarten Treffpunkt erschien der Dozent mit dem Rad.«Haben Sie den weiten Weg mit Ihrer Rennmaschine bewältigt?» Groll setzte den Rollstuhl in Bewegung.

«Wo denken Sie hin. Ein Freund hat mich mit seinem Wagen mitgenommen. Er hatte einen Termin in Salzburg.»

Groll schüttelt den Kopf. «Das muß ein besonderes Gefährt sein, das schnell ist wie der Blitz und Platz für ein italienisches Rennrad hat.»

«Ein Geländewagen mit zwölf Zylindern und sechshundert PS», sagte der Dozent, der mit dem Rad neben Groll herlief. Groll erkundigte sich, ob der Geländewagen ein deutsches Fabrikat aus Stuttgart-Zuffenhausen sei. Der Dozent nickte.

«Am Jahrestag der Kapitulation des Dritten Reiches mit einem Porsche Sportpanzer durch Österreich zu brausen, zeugt nicht von historischem Feingefühl», sagte Groll. «Achtundsechzig Jahre nach dem Krieg ist Deutschland stärker denn je und Porsche schwimmt im Geld. Hätte es nicht ein 500 PS Range Rover auch getan?»

«Diese Firma gehört längst einem indischen Konzern, wie Jaguar im übrigen», erwiderte der Dozent. Im übrigen halte er Grolls historische Reminiszenzen für verzichtbar.

«Was macht denn Ihr Freund mit dem Sportpanzer?» blieb Groll hartnäckig.

«Er ist Landesjägermeister und als solcher hat man auch Repräsentationspflichten zu erfüllen. Einen ukrainischen Jagdgast können Sie nicht in einem Kleinwagen zum angeschossenen Hirsch chauffieren.»

Während des Gesprächs waren sie am äußersten Hafenbecken angekommen. Durch eine kleine Öffnung passierten sie eine Schilfwand. Einen Augenblick später stand der Dozent still und erbleichte. «Oh!» sagte er. Und nach einer Weile wieder: «Oh!» Und schließlich: «Geschätzter Groll: Ich glaub‘ es nicht.»

«Ich habe auch einige Zeit gebraucht», tröstete Groll seinen Freund. «Was Sie hier sehen, verehrter Dozent, ist der größte Nachbau eines historischen Binnenfrachtschiffes in Europa. Schiffe dieser Art befuhren die Donau und ihre schiffbaren Nebenflüsse seit den Zeiten des Salzhandels zu Hunderten und Aberhunderten.» Er übertreibe nicht, fuhr Groll, dem die gerunzelte Stirn seines Freundes nicht entgangen war, fort. «Die Schiffe hielten nur ein paar Jahre, der permanente Schiffsneubau für das Transportieren von Salz, Holz, Marmor, Getreide und Wein führte zur Entstehung einer florierenden Schiffsbauindustrie am Inn und der oberen Donau. In den Aufzeichnungen des Braunauer Schiffsmeisters Fink sei die Welt der Schiffsmeister und Händler am Strom von Ulm bis Budapest eingefangen. *)

Er sei über die Maße des Schiffes bass erstaunt, sagte der Dozent.

«Sechsunddreißig Meter Länge, knapp sechs Meter Breite, einen Meter Tiefgang, eine Seitenhöhe von 1,70 und ein Fassungsvermögen – je nach Bestuhlung – von bis zu 150 Personen! Die zwanzig Meter langen Ruderbäume sind voll funktionsfähig», sprudelte es geradezu aus Groll heraus. «Doch verbirgt sich hinter dem hölzernen Anzug und der historischen Steueranlage ein moderner Stahlrumpf, leistungsfähige Schiffsdiesel und ein Bordbuffet.»

Der Dozent war tief beeindruckt. Wie denn das Schiff heiße?

«Siebnerin», antwortete Groll. «Der Name kommt aus dem Schiffsbau und bezeichnet ein Längenmaß von etwas mehr als sechs Meter langen Balken. Sieben dieser behauenen Hölzer ergeben die Länge der Schiffe von knapp 37 Metern. Und das Beste kommt zum Schluss: Das Schiff verfügt sogar über eine Behindertentoilette!»

«Die Flussschifffahrt ist mit der Zivilisation im Bund», stellte der Dozent fest. Groll antwortete nicht. Mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen ließ er seinen Blick über die «Siebnerin» schweifen.

*) Ich verdanke den Hinweis auf die «Siebnerin» und die Aufzeichnungen des Schiffsmeisters Michael Fink dem Schiffshistoriker Peter Visvader, der die «Siebnerin» auf Kiel legte und mit hohem persönlichen Aufwand bauen ließ. Näheres ist beim «Verein für Kultur und Schiffahrt im Donauraum», Industriezeile 47 a, zu erfahren. www.donauschiffer.at, 0664 340 64 84. Die «Siebnerin» kann für Veranstaltungen aller Art gechartert werden. (Siehe auch: Otto Meißinger. Die historische Donauschiffahrt, Spitz 1990)