Acht Särge lagern in SteinDichter Innenteil

Gedanken eines Langzeithäftlings über «lebenslänglich»

Für ein Medium wie den Augustin, das der Gefängnisstrafe sowohl die Fähigkeit zur Verbrechensprävention als auch die zur «Resozialisierung» abspricht, ist naturgemäß die lebenslange Haft doppelt sinnlos. Studien belegen ganz klar, dass «lebenslänglich» keine effiziente Abschreckung für Täter_innen bedeutet. Friedrich Olejak, nach 28 Gefängnisjahren nun in Freiheit, will draußen verstärkt fortsetzen, was er schon im Häfen begann: die Idee zu bekämpfen, hinter Gittern seien die Menschenrechte nicht gültig. Hier sein Beitrag über die lebenslängliche Haft.

Grafik: Karl Berger

Mit 10 Jahren bekam ich etliche Legobaukästen geschenkt und eine Platte mit eingezeichneten Straßen und Grundstücken. Ich baute neun Häuser drauf, und eines davon war wie selbstverständlich ein Gefängnis, wo ich die Männchen vom «Mensch-ärgere-dich-nicht» einsperrte. Gelbe, schwarze, rote und blaue Männchen, die später irgendwo am Dachboden vergessen wurden. Ich erzähle das, um zu zeigen, dass man in unserer Gesellschaft schon aufwächst mit der Vorstellung, das Einsperren und Strafen gehöre zum Leben. Darum regt sich die Mehrheit in unserem Lande über das lebenslange Wegsperren von Delinquent_innen nicht auf.

Juan Carlos Bresofsky-Chmelir, bald 67 Jahre alt, ist mit 37 Jahren Häfen am Stück der aktuelle Längsteinsitzende in der heimischen Gefängniswelt, die aus 27 Gefängnissen besteht. Den Rekord in Österreich, mit 41 Jahren am Stück, hält Josef Weinwurm, der 1963 in der Oper das 11-jährige Ballettmädchen Dagmar Fuhrich ermordet hat und 2004 in der JA Stein verstarb. 

Natürlich hatte Weinwurm keinen Freund im Gefängnis und wurde schon bald seltsam. Ich kann mich noch daran erinnern, dass er als Schreiber in der sogenannten Malerei ein Aquarium mit zwei Goldfischen hatte. Einer davon konnte keine Nahrung aufnehmen, weshalb Weinwurm über Monate hinweg zur Futterzeit seine Hand ins Becken hielt und den Fisch, der wie dafür abgerichtet wirkte, aus dem Wasser nahm, um ihn mit einer Pinzette zu füttern. In den letzten 15 Jahren fütterte Weinwurm Tauben mit kübelweise eingeweichtem Brot. Die letzten 10 Jahre hat er nicht mehr um seine bedingte Entlassung angesucht. Leider hilft solch eine Buße nicht mehr seinem Opfer.

16 verschiedene Paragrafen stehen in Österreich zur Verfügung, nach denen man lebenslänglich verurteilt werden kann.  

Im internationalen Vergleich: Der längst einsitzende Mann in Frankreich hat zwei junge Mädchen ermordet und wurde nach 41 Jahren Haft entlassen. Den Weltrekord hält angeblich ein Japaner, der im Alter von 94 nach über 70 Jahren Haft entlassen wurde und damals noch mit einer Concorde nach Paris flog, um das Crazy Horse zu besuchen. In den meisten Staaten Europas wurde bei hohen Strafen eine Decke eingezogen, z. B. kann man in Spanien ohne weiteres 10.000 Jahre bekommen, muss aber nach 30 Jahren entlassen werden. Deshalb hatten die Norweger mit ihrem modernen Strafvollzug (am wenigsten Rückfall weltweit, dadurch weniger Taten) solche Schwierigkeiten mit dem 77-fachen Mörder Breivik, der 2012 dafür 21 Jahre bekam.  

Die Addition mehrerer Strafen für verschiedene Delikte ergibt noch höhere Zahlen. Bei den Frauen hält die «Königin der Taschendiebe» mit insgesamt 55 Jahren den Rekord – und das für eine lächerliche Beute von zusammengerechnet elftausend Schillingen. Erst zum Schluss ließ ein Richter sie begutachten, und sie kam als Kleptomanin in die Psychiatrie, wo sie verstarb. Ein Herr Oswald mit Pfeife im Gesicht erreichte mit Diebstählen 56 Jahre Häfen. 

Zurzeit führt Franz Schmied, der über 61 Jahre zusammengesammelt hat. Sein letztes «Lebenslang» sitzt er – nicht nur meiner Meinung nach – unschuldig.

Justizminister Broda ließ sich von seinem Freund Professor Federn von Schmieds Unschuld überzeugen und schrieb ihm persönlich, dass er offiziell als Justizminister in seinem Fall nicht eingreifen könne. Aber er überwies ihm aus eigener Tasche 100.000 Schilling für eine Wiederaufnahme seines Verfahrens. Minister Broda, eine Ausnahmeerscheinung unter den Justizministern der zweiten Republik, brachte besonders in seiner zweiten Amtszeit Menschlichkeit in unsere Gefängnisse und baute die damals hohe Gefängnispopulation kontinuierlich ab (wir rauften uns beim Einsperren in den 60er-Jahren mit der Türkei um den ersten Platz in Europa).

Die Hälfte der «Lebenslangen» wird in der Haft sterben 

Früher gab es beim Eintreffen im Strafhaus für den Lebenslangen eine Kopftafel, wo seine Strafe draufstand. Bei Strafende stand da bei ihm Tod. Heute gibt’s keine Tafel mehr, dafür an der Zellentüre «LBLG» und im Computer «99 Jahre». Derzeit haben wir 168 zu «lebenslang» Verurteilte im Strafvollzug. Von der Statistik her wissen wir, dass die Hälfte von ihnen tatsächlich in Haft stirbt und der Rest derzeit durchschnittlich mit 22 Jahren und 6 Monaten bedingt entlassen wird  (mit einer zehnjährigen Bewährungspflicht).

Seit 1975 kam im Gesetzbuch noch der § 21/1 und 21/2, die sogenannte «Maßnahme» als fragwürdige Vermischung von Strafe und Therapie (als ob man in einem Gefängnis psychiatrisch therapiert werden könnte) dazu. Die «21/2er» sitzen in verschiedenen Gefängnissen wie JA Mittersteig, JA Schwarzau, JA Garsten, JA Karlau oder JA Stein. Diese ca. 800 Gefangenen dürfen wir nicht übersehen, denn diese «Maßnahme» kann auch «lebenslänglich» bedeuten. So kann schon ein 14-Jähriger in Österreich zu «lebenslang» verurteilt werden. Sie kennen diese Urteile, haben sie schon öfter in Zeitungen gelesen: «… und wird zusätzlich in eine Anstalt für abnorme Täter eingewiesen». 

Bei diversen Diskussionen hörte ich doch einige Besserwisser sagen, dass man von einer lebenslänglichen Strafe im Fall der «Maßnahme» nicht reden dürfe, weil sie ja auf den Abbau der Gefährlichkeit abziele und der Gefangene mit einem positiven Gutachten schon wesentlich früher entlassen werden kann. Papperlapapp … ich habe haufenweise Menschen kennen gelernt, die wie Nowak mit zwölf Jahren strafgerichtlicher Haftzeit und zusätzlich der Dauer der «Maßnahme» nach 31 Jahren Gesamthaft in der JA Stein verstarben. Ich kenne viele Leute mit 30, 25, 20 Jahren Haft – und de facto kommt diese Strafe dem Urteil «lebenslänglich» gleich. Übrigens braucht ein solcher Täter niemanden getötet zu haben, fast die Hälfte von ihnen wurden wegen gefährlicher Drohung oder Nötigung verurteilt. Natürlich gibt es unter ihnen auch Mörder wie den Amstettner F., der das reguläre «Lebenslang» plus die lebenslängliche «Maßnahme» bekam und fast mit Sicherheit das Gefängnis nur in einem der acht in der JA Stein lagernden Särge verlassen wird. 

Beim Häftling L., der 1984 20 Jahre plus den «21/2er» bekam und inzwischen fast 33 Jahre sitzt, ist ein Ende nicht absehbar, er ist für eine Entlassung anscheinend zu jung und/oder zu gefährlich. Auch er könnte, wie Juan Carlos Bresofsky-Chmelir, den Rekord von Weinwurm brechen. 

Mit den insgesamt rund 1000 Lebenslangen – oder im Fall der §-21-Insassen potenziell Lebenslangen – in unseren Gefängnissen befinden wir uns, gemessen an der Bevölkerungszahl, mit an der Spitze der Welt, vereint mit China und den USA.

 

Anmerkung der Redaktion: Angaben ohne Gewähr; der Text wurde uns ohne Quellenangaben übermittelt. Friedrich Olejak legt Wert auf die Feststellung, dass seine Texte nicht akademischer, sondern journalistisch-literarischer Natur seien.