Der Teufel als Verfasser des Wörterbuchs?Dichter Innenteil

In der nächsten Augustin-Ausgabe wird Richard Schuberths Aphorismenserie Das Neue Wörterbuch des Teufels starten. Diesmal beschäftigt sich der Autor aber noch mit dem bärbeißigen Schriftsteller und Journalisten Ambrose Bierce (18421914), dem Verfasser des alten satanischen Lexikons, seiner angeblichen Boshaftigkeit und den Parallelen zu Karl Kraus.Anders als Kraus, der sich mit der Fackel einen Artillerieposten außerhalb des Systems geschaffen hatte, kritisierte Ambrose Bierce dieses durch dessen gleichsam verhasste Medien und musste sich folglich wie die aufziehbare Provokationspuppe seines Vorgesetzten, des Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst, gefühlt haben. Man fahndet nach den Gründen seiner Verbitterung in einer unglücklichen Kindheit, andere glauben sie schon empathischer im Erlebnis der Gräuel des Amerikanischen Bürgerkriegs zu finden, doch niemand vermutet sie im Leiden an diesem Widerspruch, an dem nur einer leiden kann, der genug Geist besitzt, um zu spüren, dass Medien und Kulturindustrie ihn korrumpieren.

Dennoch teilt sich Bierce mit Karl Kraus die Ehre, einer der meistgefürchteten und -gehassten Männer seiner Zeit gewesen zu sein. Seine Allegorien waren vernichtend. Rühmte er zum Beispiel den außerordentlich flüssigen Stil eines Dichters, so verglich er ihn im nächsten Satz garantiert mit einer Schlafzimmergarnitur, die im Sturzbach die Treppe herunterpoltert. Leider erweckt Bierce oft den Eindruck, nur um der Beleidigung und ihrer pointierten Form willen zu beleidigen, ein Vorwurf, den Karl Kraus meistens widerlegen konnte. Über den berühmten kalifornischen Winzer Arpad Haraszthy schrieb Bierce: Sein Wein besitzt ein ganz eigenes Bouquet. Er kitzelt den Gaumen und gluckert, wenn er durch die Kehle rinnt. Er erwärmt das Herz und verbrennt die Magenschleimhaut. Der prompten Klage des Winzers auf Widerruf kam Bierce wie folgt nach: Arpad Haraszthys Wein besitzt kein ganz eigenes Bouquet. Er kitzelt nicht den Gaumen und gluckert nicht, wenn er durch die Kehle rinnt. Er wärmt nicht das Herz, er verbrennt nicht einmal die Magenschleimhaut.

Bierces beherzter Kampf gegen den Eisenbahnmagnaten Collis Huntington spannte seinen Witz wieder vor eine Sache und erinnert an Kraus Kampagne gegen den Medientycoon Imre Békessy. Huntington war gerade dabei, im Kongress ein Gesetz durchzupauken, das ihm 75 Millionen Dollar Schulden erlassen sollte, die er nebenbei mit seiner Southern Pacific Railroad angehäuft hatte. Nun verzichtete Bierce auf seine zynische Eleganz und schrieb Klartext im Vigilantenton: Unter den vierzig größten Dieben unserer Tage gebührt Mr. Huntington der Platz der ersten sechsunddreißig. Er verdient es, an jedem Ast eines jeden Baumes in jedem Staat und in jeder Gegend aufgeknüpft zu werden, in die seine Gleise vorgedrungen sind, mit Ausnahme von Nevada, wo es bekanntlich keine Bäume gibt. Dass kein Kritiker mit Berlusconi oder den Finanzverbrechern unserer Tage so umspringt, mag dem gesegneten Einfluss einer gewissen Zivilisierung des öffentlichen Diskurses geschuldet sein, vielleicht auch Feigheit und einem besseren Rechtsschutz der Beleidigten. Bierces Worte mögen populistisch sein, bildhafte Kraft kann man ihnen allemal nicht absprechen. Die Lex Huntington wurde anschließend eingestampft.

Bierces vielleicht größtes Verdienst aber ist seine Kriegsliteratur. Texte wie die Bürgerkriegsreminiszenz Was ich von Shiloh sah schildern das Schlachten erstmals mit unerträglichem Realismus, die Kampfansage des dekorierten Kriegshelden an die offizielle US-Geschichtsschreibung mit ihrem Pathos von Heroismus und Abenteuerlichkeit. Konsequenterweise fehlten diese Storys, die ihn zum Ahnvater der modernen Anti-Kriegs-Literatur machten, in den Schulbüchern.

Bitter Bierce wie böse darf man sein?


Das Devils Dictionary schied und scheidet heute noch die Geister, oft aus fraglichen Gründen. Viele seiner Bewunderer feierten in Bierces Aphorismen kathartische Negativität und zynischen Tabubruch (ähnlich wie die Motherfuckers unserer Tage, die sich bemüht politically uncorrect geben), und naivere Gemüter dialektischen Denkspielen abhold und jedes Wort glaubend, wie es geschrieben steht wollten darin nur Misanthropie und Pessimismus sehen.

Natürlich ist Bierces konsequenter Negativismus satirische Methode. Rückschlüsse auf Wesen und Charakter des Autors können, müssen aber nicht stimmen, lenken hingegen vom Erkenntniswert des Werks ab zu Psychologie und biografischem Tratsch und gehören somit zum Tagwerk der Lumpen. Die Rolle des bissigen Grantscherbens, der an der Welt kein gutes Haar lässt, wirkt wie ein dämonischer Zerrspiegel, der versteckte, verdrängte Wahrheit entblößt. Negativität funktioniert dabei wie ein chemischer Katalysator, der aus dem vorgeblich Positiven die Schlacken der Naivität und Heuchelei extrahiert. Oder wie Kraus sagte: Und die Säure will den Glanz und der Rost sagt, sie sei nur zersetzend.

Der zynische Pessimismus des Wörterbuchs mag auf Dauer stereotyp wirken und bei oberflächlichem Lesen könnte durchaus der Eindruck entstehen, das ganze Buch sei wie die exemplarische Definition des Wortes November gestrickt: das elfte Zwölftel eines Überdrusses oder die Definition von schwarz: nämlich weiß. Doch der permanent schnoddrig-negative Ton wäre nichts als leere, ermüdende Geste, handelte es sich dabei nicht um die absichtliche Bassstimme zu mitunter brillanter Gesellschaftskritik und raffinierter Sprachkomposition. Formal und inhaltlich leuchten Bierces böse Definitionen in allen Spektralfarben. Auswahlbücher geben zumeist seine kurzen, prägnanten Paragrafen wieder und vermitteln das Bild eines schnörkellosen amerikanischen Modernisten. Doch auch seine metaphernreichen und längeren Definitionen (mitunter in Gedichtform) seien empfohlen, weil sie mehr Mitdenken erfordern, die volle Eleganz seines Stils offenbaren und mit geheimen Schätzen belohnen. Neben witzigen Albernheiten (Fliegendreck: die Urform der Zeichensetzung) schwingt sich Bierce immer wieder zu melancholischem Tiefsinn auf (Gegenwart: jener Teil der Ewigkeit, der den Bereich der Enttäuschung von jenem der Hoffnung scheidet.) und elementarer Verachtung des Unmenschlichen (Abendland: Jener Teil der Welt, der westlich (bzw. östlich) des Morgenlandes liegt. Größtenteils bewohnt von Christen, einem mächtigen Unterstamm der Hypokriten, dessen wichtigste Gewerbe Mord und Betrug sind, von ihnen gern Krieg und Handel genannt. Dies sind auch die wichtigsten Gewerbe des Morgenlands.).

Ambrose Bierces zutiefst moralistische Ideologiekritik steht auf zwei Pfeilern, einer Kritik des abstrakten Einzelmenschen und einer der Gesellschaft, zum einen der Eitelkeit, als Triebfeder von individueller Dummheit und Missgunst, zum anderen von Kapital, Kirche und Staat als übergeordneten Institutionen des Betrugs und der Täuschung. Jeder dieser Pfeiler allein würde ein schweres Gebäude wie das der anspruchsvollen Gesellschaftskritik nicht tragen, es bedarf, aufeinander verweisend, beider. Manchen mögen diese einfachen Grundmuster naiv, überholt und dogmatisch erscheinen was sich daraus in Werken wie dem Devils Dictionary für künstlerische Blüten treiben lässt, besitzt jedenfalls mehr Erkenntniswert als vieles der bürgerlichen Entfremdungsprosa und des wütenden Provokationstheaters, das das letzte Jahrhundert zu bieten hatte und denen es oft einer immer selteneren Fähigkeit namens Witz (wit) ermangelte, dessen wahrhaften Vertreter Bierce zufolge ein nie erlahmendes Bewusstsein bräuchten, dass dies eine Welt der Narren und Schurken ist, blind vor Aberglaube, gequält von Neid, verzehrt von Eitelkeit, selbstsüchtig, falsch, grausam, geplagt von Illusionen schäumend vor Wahnsinn! Er muss sowohl Sünder wie Heiliger sein, ein Held und ein Lump.

Aus Ambrose Bierces Wörterbuch des Teufels

Arbeit

Eines der Verfahren, durch die A Eigentum für B erwirbt.

Armut

Beißerchen für die Zähne von Reformratten. Die Anzahl von Plänen zu ihrer Abschaffung ist gleich der Menge von Reformern, die an ihr leiden, plus der Menge von Philosophen, die nichts von ihr wissen.

Beten

Darum bitten, dass die Gesetze des Alls aufgehoben werden zugunsten eines einzelnen Bittstellers, der bekennt, unwürdig zu sein.

Eile

Die Tüchtigkeit von Stümpern.

Faulheit

Unverantwortliche Gelassenheit eines Menschen niederen Standes.

Freizeit

Eine Erfindung zur Förderung des Trübsinns. Behutsame Einübung geistiger Verblödung.

Gratulation

Die Höflichkeit des Neides.

Igel

Der Kaktus des Tierreichs.

Kilt

Eine Tracht, die manchmal von Schotten in Amerika und von Amerikanern in Schottland getragen wird.

Lobreden

Das Preisen eines Menschen, der den Vorzug des Reichtums oder der Macht besitzt oder die Freundlichkeit, tot zu sein.

Patriotismus

Brennbarer Plunder, der auf die Fackel eines Ehrgeizlings wartet, welcher seinen Namen in Festbeleuchtung sehen möchte. In Dr. Johnsons berühmtem Wörterbuch wird Patriotismus als letzte Zuflucht eines Schurken definiert. Bei aller gebührenden Achtung vor einem aufgeklärten, aber zweitrangigen Wörterbuchverfasser möchte ich zu bedenken geben, dass Patriotismus eines Schurken erste Zuflucht ist.

Telefon

Eine Erfindung des Teufels, die die erfreuliche Möglichkeit, sich einen lästigen Menschen vom Leibe halten zu können, teilweise wieder zunichte macht.

Ungläubiger

In New York: jemand, der nicht an die christliche Religion glaubt; in Istanbul: jemand, der an sie glaubt.

Unsinn

Die Einwände, die gegen dieses ausgezeichnete Wörterbuch erhoben werden.

Wirkung

Die zweite von zwei Erscheinungen, die immer in derselben Aufeinanderfolge vorkommen. Von der ersten, Ursache genannt, sagt man, sie bringt die zweite hervor was nicht vernünftiger ist, als würde jemand ein Kaninchen für die Ursache eines Hundes halten, nur weil er noch nie einen Hund anders als bei der Verfolgung eines Kaninchens gesehen hatte.

Wissen

nennen wir jenen kleinen Teil unserer Unwissenheit, den wir geordnet und klassifiziert haben.

Zukunft

Jene Zeit, in der unsere Geschäfte gut gehen, unsere Freunde treu sind und unser Glück gesichert ist.