Der TraumDichter Innenteil

«Hallo Peter»

«Hallo Vera»

«Peter, ich hatte gestern einen Traum, ein Mann vom Finanzamt kam zu dir und rief: ‹Herr D., Sie sind ihre Steuerschulden los, Sie müssen eine Million Schilling nicht mehr zurückzahlen.› Peter, das war ein prophetischer Traum, du wirst wirklich frei, Gott hat beschlossen dich von langer Qual zu befreien. Nächstes Mal, wenn ich an deiner Türe läute, musst du keine Angst mehr haben. Halleluja!», rief ich erfreut ins Telefon.

Grafik: Karl Berger

Er lächelte leicht verunsichert und hoffte, dass dies eine Lösung sein werde, bevor der Teufel seine Seele holt. In letzter Zeit kreisten seltsame Gedanke um sein Haupt. «Ich werde dieses Geld nie zurückgeben können», rief er oft verzweifelt, um dann seine dünnen Finger mit den abgeknabberten Nägeln über sein hageres und blasses Gesicht zu legen, den knochigen Rücken zu verkrümmen, wie ein verletztes Tier, das in sich Schutz sucht.

Jetzt wo seine Filmfirma zu Grunde ging.

So süß wie sein einst Traum begann vom kleinen Hollywood in Wien, so tragisch nahm der Albtraum seinen Lauf: Tequila, Marihuana, Frauen und Freunde konnten Peter doch nicht aus der tiefschwarzen Grube ziehen.

Es müsste ein Wunder geschehen!

So startete der Himmlische Vater eine Krisengipfel-Konferenz, und was dabei herauskam, war diese Traumvoraussage, zumindest erhoffte ich es sehnsüchtig. Peter schlief wenig, und deshalb träumte er kaum, und weil Jesus sonst niemanden wusste, der Peter persönlich kennt, kündigte er sein Vorhaben mir an. Sowohl der Himmel als auch ich und ein paar andere Bekannte von Peter waren besorgt um Peters ärmliche, verängstigte Seele.

Schließlich war dieses Geschöpf ein herzensguter Mensch, zwar ein Choleriker vor allem, wenn er Hunger hatte, wenn Freunde und Bekannte ihn stundenlang fürs Briefeschreiben oder Sonstiges beanspruchten und sein Magenknurren überhörten. Für seine Hilfsbereitschaft bekam er nicht einmal eine Salzstange, die er so liebte. Schließlich war er nicht nur gütig, er besaß auch eine überdurchschnittliche Intelligenz. Wer will nicht mit so jemandem befreundet sein, vor allem, wenn die Anwälte so teuer wie im damaligen Wien waren, und bei ihm gab es Tipps for free.

Oft fragte ich mich, ob Peter überhaupt wirkliche Freunde hatte.

Sofija, die nicht ahnte, was Steuerschulden sind

Jetzt stand er da mit seinem kleinen Mädchen Sofija, das gerade sieben Jahre alt würde, das kleine Wesen, das nicht einmal ahnte, was Steuerschulden sind.

Nur wenn es an der Tür klingelte, musste sie jedes Mal erleben, wie Papas vertrautes Gesicht blass und fremd wurde, wie die starken und großzügigen Hände zittrig klein und schwach wurden, wie der Körper steif erstarrte wie eine Statue. Wie der leicht bräunlich von Tabak verfärbte Zeigefinger sich verängstigt und kraftlos auf seinen rissigen und bläulichen Mund legte, während aus seinen Händen kalte Nässe hinausströmte, um die zierlichen Hände aufzusuchen. Dann bewegte er sich auf leisen Sohlen Richtung hinterstes Zimmer.

Wieder stand jemand vor der Türe mit dieser todernsten Miene, kein Kaugummi für das süße kleine Geschöpf, nicht einmal zur Begrüßung ein leichtes Mundwinkel-Verziehen. Ihre herzlichen Lachgrübchen blieben dann meistens in den blassen Wangen versteckt, immer, wenn dieses Mannsbild mit seinen heruntergezogenen Mundwinkeln, Stirnfalten wie eine Ziehharmonika, Augen wie bei den vielen Fischen unten in der weißen, großen Kühlbox, die im türkischen Geschäft lagen, aufpassten, dieses fremde, furchterregende Gestalt. Vor diesem Blick hatten sie und ihr Papa ein ganz unwohles und seltsames Gefühl im Bauch.

Diese zwei ärmlichen Seelen. Die hohen Wände in 170 Quaratmetern im Botschafter-Viertel, die ihnen ein protziges Leben versprachen, winkten ihnen jetzt unverschämt mit Erlagscheinen, die seit Monaten auf einen roten Stempel warteten.

Die vielen teuren Barbiepuppen, die überall verstreut waren, in kleinen Stücken, und die jetzt wie auf einem Plastik-Friedhof hausten, schienen ein kleines Mädchen nicht mehr froh zu stimmen .

Der Glanz des noblen Parkettbodens verwandelte sich in viele schwarze Flecken, das einzige, was Peter dabei störte, war, wenn der kostbare Schaum von Cola verschwendet würde, das Kleben an den Fußsohlen schien niemand zu stören, auch das kribblige Geräusch, warum auch – in der feinen Gesellschaft trägt jeder Absätze. Sofijas nackte Füßchen – sie bevorzugten warme, schaumige Badewannen vor dem Treten über den kostbaren «Cola-Teer», und die wertvollen Kunstgemälde fühlten sich auch wohl unter dem dicken Staubmantel. Mir erschien diese Wohnung oft wie eine Zelle des Chaos, der Verzweiflung und der Einsamkeit. Jedes Mal, wenn ich hinausging aus diesem Anblick, spürte ich einen tiefen Schmerz in meiner Seele, viele Tränen flossen über mein Gesicht, vor allem das kleine Mädchen bedauerte ich sehr, das immer allein spielte in der Badewanne, wo das Wasser immer kälter wurde und der zierliche Körper immer bläulicher. Der Vater aber verzweifelt an seinem Arbeitstisch, überladen mit vielen Bücher und Akten, versucht zwanghaft ein paar Schillinge von irgendwo noch für diesen Tag zu bekommen, und dabei vergisst er den linken Wasserhahn zuzudrehen.

Schätze der Verstorbenen

Ich und mein Häufchen Elend konnten für diese zwei armen Geschöpfe nichts anderes tun, als ab und zu ein paar Hofer-Dosen und Brotscheiben vorbeizubringen …

Die wenigen Jobs, die ihm sein Bruder Karli in Verlassenschaften verschaffte, von denen bekam Peter eher Gastritis als den Eiskasten voll, nicht genug, um Miete und Wasserrechnung zu bezahlen oder neue Strumpfhosen für Sofija. Immer, wenn er sein Geld abholen wollte, hieß es: warten. Dafür durfte er weiter mit seinem sechsten Sinn Schätze der Verstorbenen aufspüren. Meistens fand er sie sehr schnell, das machte Karli sehr froh. Nie würde es Peter einfallen seinen Bruder zu hintergehen, dafür war seine Seele viel zu fein. Während sein Bruder Karli ein paar große Häuser besaß, mit einigen Antiquitäten-Geschäften protzte, sich mehrere Eigentumswohnungen überschrieb, konnte Peter nur mit der Millionen-Steuerschuld angeben. Wer hat denn schon so viel Geld um die Stadt Wien zu beschenken …

Gegen die ehemaligen Angestellten, die sein Firmengeld veruntreuten, unternahm er nichts. Vermutlich hatte er kein Beweismaterial, kein Geld für die Wiener Anwälte, keine Zeit und keine Energie.

Das war seine erste Firma und bedauernswerterweise die letzte.

Irgendwie zwei seltsame Wege, zwei Brüder aus dem gleichen Bauch, doch jeder unter seinem Stern geboren, wobei Karli einen sehr günstigen Stern erwischt hatte, oder er besaß mehrere Schichten über seiner Blutpumpe.

Peter hatte etwas, was Karli nie besaß: dieses kleine Geschöpf, das ihn über alles liebte, und seinen majestätischen, tugendhaften Geist. Sein Reichtum waren die Stunden, die er an andere verschenkte, und seine Liebe zu dem kleinen Wesen, das er über alles erhob, nur dieses ist der Grund, wofür für sich lohnte, weiter zu atmen. Im Vergleich zu Karlis irdischen Haufen war das eine winzige Bauernstube. Peters Häuser waren so hoch wie die Zwillingstürme in der ersten Ausgabe. Doch um sie zu sehen, müsste man Herzen-Brillen tragen.

Der leere Eiskasten brummte

Und trotzdem es die Realität war, dass kleine Löcher in Sofijas Strumpfhosen immer größer wurden und der leere Eiskasten immer lauter brummte. Dass sie kurz vor der Obdachlosigkeit standen und abermals in der Winterjacke schlafen mussten, die Badewanne trocken blieb und das Finanzamt hinter jeden seiner Groschen her war.

Das Einzige, was an dieser trostlosen Situation angenehm war, war, dass jetzt die vielen Freunde nicht mehr an der Tür gongten.

Peters sehnsüchtiger Gourmet-Magen hätte jetzt so viel Zeit und Ruhe, sich zu verköstigen, vergeblich – das Knurren nahm weiter seinen Lauf. Doch dieses Mal störten ihn nicht mehr dieses Geräusch und das Zwicken in seinem Bauch, eher der Blick von zwei kleinen blauen Augen gegenüber.

Und genau deshalb hat der Himmelvater beschlossen, ein Wunder zur tun.

«Dieser Traum muss in Erfüllung gehen», dachte ich mit großer Zuversicht.

«Das wäre schön», rief er mit seiner etwas hohen Stimme, erfüllt von Traurigkeit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Trotz der melancholischen Klänge, die sich in seiner Kehle seit Jahren eingenistet hatten, ahnte Peter, dass ihn und sein kleines Mädchen jemand von oben beobachtete, mit ihnen Mitleid hatte und sie liebte. Nur dieses überirdische Wesen könnte jetzt sein mühseliges Leben verändern.

Einige Tage später erfüllte sich dieser Traum …