Die KirchgängerinDichter Innenteil

Ich joggte die schmale Gasse hinunter, an der Kapelle vorbei bis zum Kai, und schon versagte mein Atem. Ich ging bis zur Ampel und wartete lange, denn der Verkehr hat Vorrang vor dem Langsamen.In der Angst, die nicht in die Außenwelt findet, drückt diese auf den Körper bis in die Beine. Also ging ich zögerlich und schwankte. Ging mutwillig an Passanten vorbei, die mit Kinderwägen aus dem Park kamen, und bis zur Kirche, die erhaben und weiß mit ihrem spitzen Turm einlud, zu rasten. Es fand eine Messe statt. Blumen waren zu Kränzen an der Seite der hohen Kniebänke befestigt und der Pfarrer in seinem golddurchwirkten Ornat vor dem goldenen Altar vermischte sich mit dem Geruch von Weihrauch und der tragenden Stimme aus dem Mikrophon. Ich durfte abseits stehen und war nicht eingeschlossen. Ich lächelte, weil die Angst mich freundlicher machte vor dem großen Herrn. Ich sah, dass fast alle Reihen besetzt waren von gut gekleideten Menschen, die sich dem Priester zuwandten oder einfach nach vorne sahen. Neben mir hielt eine Südländerin ihren Kinderwagen und wartete. Sie sprach eine Frau an, die ihre Tasche hob und wieder senkte, die sagte, sie gehe in die Kirche, und würde ihr nachher fünf Euro geben. Vom Rahmen des Kinderwagens hing ein Stoff herab, der das Gesicht des Säuglings verdeckte. Ich traute der Sache nicht. Das Gesicht einer Zigeunerin, dachte ich. Die liefern das Geld ab für die Männer der Sippe. Und Zorn stieg auf. Der Kinderwagen würde nichts enthalten. Ich redete die Frau an, ist es ein Mädchen oder ein Bub und zog die große Windel vom Rahmen, um die Lüge zu entlarven. Ein Winzling lag da. Lieb, sagte ich. Haben sie mehrere? Drei sagt sie und lächelt. Ich frage nach ihrer Familie und der Grundsicherung, ob sie die nicht bekomme. Geschlossene Tür, sagt sie, die Kirche schicke sie zur Caritas, die geben alte Zwiebel und Kartoffel, ab und zu Windeln. Haben Sie keinen Mann? Verdient 500 Euro und Miete 370. Und Kinder brauchen. Sie hat trübe Augen jetzt und wie verschleiert. Ein Blick, der abhält von etwas, das nicht bewältigt werden könne, etwas, das auch uns abhält und das wir Verschleierung nennen, der sich öffnet, als ich in das Loch ihrer Geldbörse sinke, in die Vergeblichkeit des Bemühens, durchzukommen, und doch weiterzuleben, in die Angst beim Aufwachen, und nichts als der Gedanke im Kopf und die Jungschnäbel, die hungernd aus dem Nest schreien. Das Leben ist so anstrengend, sagt sie, manchmal möchte ich nicht mehr. Bewegt schaue ich in ihre Augen, die klarer werden, mit einer wärmenden Schicht überzogen. Die Leute geben nicht viel, sage ich. Sie reichen den Opferteller herum und sehen uns nicht, sagt sie. Wahnsinn, sagt sie, als ich heftig bejahe. Lächerlich, sage ich, sie spenden Cents und tragen Goldketten. Das Gold, das mich immer gestört hat am Ort der Läuterung. Nun fängt es an zu glänzen und zu blenden. Ich sehe den Messbecher aus Gold und den Kirchendiener mit dem gesenkten Kopf das Tablett für Spenden tragen. Ich sehe Jahrhunderte aus Geldscheinen und Goldhaufen. Ich habe leider kein Geld da, sage ich, bin selbst krank und verdiene wenig. Tut mir leid. Bin nur zum Joggen unterwegs. Ich werde jetzt weitergehen. Da schlägt die Stimme der Frau um. Du geben, sagt sie. Ich habe nur einen Schein, sage ich, den brauche ich selbst. Du wiederkommen, bringen mir Sachen, bringen mir Hilfe. Brauchst du Putzfrau? Sie hat vorher artikulierter gesprochen, denke ich, fast wie eine Einheimische. Nun bricht die Angst durch oder die Routine. Ich möchte ihr helfen, schlage vor, einen Sonntag vorbeizukommen, wenn sie da ist, vielleicht könne ich etwas finden für sie. Du geben, sagt sie mehrmals, du gleich wiederkommen. Biete, biete, helfen! Unentwegt drückt der Ton auf die erste Silbe zum nachfolgend langen Pedalhalten, es ist wie der Kraftakt eines Kletterers, der keine Stufe auslassen darf. Die Augen haben einen dringlichen Blick, die Stimme wie ein Band, das mich heranziehen will, ein Kaugummi, der festklebt. Ich verlasse hastig die Kirche, gehe über den Platz, in der kühlen Luft fühle ich mich schwach. Mit jedem Schritt zieht das Band, das mich zurückhält. Brauche ich den Schein? Da beginnt das Gold des Himmels zu wirken, das mich beglückt. Ist es die Verbindung, die meine Vereinzelung aufgehoben, mich geläutert und getröstet hat? Ist es Hartherzigkeit, die ich beanstandet habe? Ich möchte fliehen und gehe zurück, halte mit einer Kraft, die aus der Brust kommt, den herausgezogenen Schein hin. Macht nichts, sage ich, brauch kein Brot. Sie steht vor der Kirche, ist mir nachgeeilt. Danke, sagt sie, bitte denken Sie an mich. Kommen Sie wieder. Nächsten Sonntag, muss ich versprechen, um loszukommen von ihr.