Erfahrungen und Vorschläge einer Ex-AMS-KundinDichter Innenteil

In der letzten Ausgabe des Augustin (250) forderte ein AMS-Berater, unter dem Pseudonym Gustav gAMS, auf, alternative Konzepte zu den oft als AMS-Zwangskurse bezeichneten Schulungen zu entwerfen. Darüber hinaus freue er sich auf einen regen Erfahrungsaustausch, ließ er die Augustin-LeserInnen wissen. Prompt erhielt die Augustin-Redaktion eine ausführliche und facettenreiche Replik einer Leserin:Hallo Gustav gAMS!

Es wurde nach Gegenvorschlägen gefragt, dazu dann etwas später, weil vorab der Ist-Zustand noch kurz angerissen wird, aus meiner Sicht als Ex-Kundin“.

1. Der vorherrschende Ton seitens des AMS-Personals ist gelinde gesagt entwürdigend, entmündigend und demütigend. Mit dieser Maßnahme sollen die Kunden zu Kuschern gemacht werden. Außerdem werden die Kunden auch noch wegen jeder Kleinigkeit auf das Unflätigste bedroht und erpresst! Beispielsweise mit dem Entzug der Notstandshilfe wie der Name schon sagt, erhält mensch dieses Geld, wenn mensch in NOT gerät. Und was ist es anderes, einem Menschen in NOT etwas wegzunehmen, als Bedrohung und Erpressung? Wobei angeblich nicht gebrachte, zur Erlangung der Notstandshilfe notwendige Unterlagen zumeist als Grund für außerordentlich rüden Ton und Nachfristsetzung mit Hinweis auf widrigenfalls Streichung der Bezüge herhielten.

2. Gegenüber den derzeit knapp über 300.000 Erwerbsarbeitslosen stehen seit Mitte der 1990er-Jahre beinahe unverändert etwa 20.000 freie, zu besetzende Arbeitsplätze. Gretchenfrage: Wie wollt ihr ALLE diese Erwerbsarbeitslosen auf die Menge freier Arbeitsplätze unterbringen? Eine Antwort würde mich brennend interessieren!

3. Aktion come back: Als in den frühen 1990er-Jahren diese an sich nicht unvernünftige Maßnahme für über 50-Jährige eingeführt wurde, galt sie für zwei Jahre, und das Arbeitsamt finanzierte Arbeitgeber- und -nehmeranteil zu 100 Prozent.

Unternehmen, die diese Maßnahme für sich in Anspruch nahmen, behielten allerdings keine Sekunde länger die auf diese Art erhaltenen Gratisarbeitskräfte.

Auch seitens des Arbeitsamtes, und später des AMS, wurde nie auch eine Sekunde länger eine Behaltefrist von den Unternehmen gefordert. In Folge wurde die Maßnahme auf ein Jahr gekürzt, auch für jüngere Erwerbsarbeitslose eingeführt, und der Anteil der vom AMS getragenen Kosten auch etwas gestutzt. Ebenfalls ohne Mindestbehaltefrist.

4. Schulungen welcher Art auch immer: Coaching-, Bewerbungs- und Lebenslauf-Schreibkurse: Persönlich hatte ich das dubiose Vergnügen, zwei solcher Maßnahmen zu besuchen. Wohlgemerkt: zwangsweise. Ansonsten hätte ich die Notstandshilfe verloren.

Die erste Maßnahme dauerte von 10. Mai bis 5. August 2000. An den ersten beiden Tagen standen uns noch zwei echte Profis zur Verfügung, die in dem, was sie uns beibringen sollten, wirklich gut waren. Ganz davon abgesehen, dass wir (25 bis 30 Personen) die letzen zwölf Tage jeweils einmal pro Woche instruiert wurden, ist allerdings wesentlich wichtiger, von wem wir instruiert wurden. Nämlich: einem zehn Jahre erwerbsarbeitslosen Friseurmeister, dessen Gattin all diese Jahre ein eigenes Geschäft unterhielt, sowie einer frisch geschiedenen, etwa 30 Jahre alten ebenfalls Friseurmeisterin aus Wr. Neustadt, die ihre beiden unter 10-jährigen Kinder unbeaufsichtigt daheim lassen musste und mit den Öffis nach Wien fuhr und wieder retour. Diese Frau war ein einziges Wrack, ein Nerverl, weil zur Existenzangst auch noch die Angst um ihre Kinder dazukam sowie die Konsequenzen daraus, weil was passiert, wenn etwas passiert und sie ihre Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen hat …

Ach ja, was uns dieser Kurs hätte vermitteln sollen, blieb auch nach dessen Beendigung nicht nur mir ein Rätsel …

So, der zweite Kurs im Jahre 2001. Wiederum war das auch so eine Maßnahme, mit der mensch lediglich entmündigt wurde und die Segnungen der Fremdbestimmung so richtig auskosten konnte. Quintessenz dieser Maßnahme war am Montag die Frage, ob wir an die 30 Personen auch die Wochenend-Zeitungen wie irr nach individuell geeigneten Inseraten durchgeackert hätten, und des Freitags die Hausaufgabe“, genau dies übers Wochenende zu tun. Bei einem Durchschnittsalter von 40 plus Jahren hätte keiner von uns diese Maßnahme gebraucht, zumal wir durch die Bank der Generation angehörten, die sowieso aus eigenem Interesse auf ernsthafter Arbeitssuche war.

Seit etwa 1996 litt ich endgültig am Burn-out, was aber vom AMS völlig ignoriert wurde. Vielmehr wurde ich vollkommen allein gelassen mit meinen Problemen, dafür allerdings sehr oft bedroht! Schlussendlich habe ich selbst herausgefunden, wie das mit Gesprächstherapien auf Krankenkassenkosten funktioniert, Musik- und Bachblütentherapie auf eigene Kosten gemacht und auch sonst einiges unternommen, weil durch meinen Zustand meine sozialen Kontakte ausblieben und ich der fast vollkommenen Vereinsamung anheimfiel. Danke AMS-Berater!

Am 1. Februar 2005 erhielt ich von meinem damaligen Berater das Formular für den Pensionsantrag wegen Berufsunfähigkeit mit den Worten: Sowas wia Ihna kemma do net brauchn.

5. Die Summen, die als Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe ausbezahlt werden, haben Generationen von unselbständig Erwerbstätigen und auch teilweise die Betroffenen selbst jahrelang in den Gemeinschaftstopf eingezahlt. Dass ein Großteil dieser Rücklagen schlussendlich dem FLAF (Familienlastenausgleichsfonds, Anm. d. Red.) überantwortet wurde, ist eine vollidiotische politische Entscheidung gewesen, wofür keine/r der Betroffenen etwas kann. Aber die alle dürfen es ausbaden und sich gefallen lassen, wie Bettler behandelt zu werden!

Gegenvorschläge:

1. Hört endlich auf, Erwerbsarbeitslose wie Idioten, die nicht fähig sind, ihr eigenes Leben zu organisieren, zu behandeln!

Hört endlich damit auf, Erwerbsarbeitslose durch Berater zu schikanieren, die selbst am Burn-out leiden, Existenzängste haben, aber auch Ängste, wenn sie nicht spuren, selbst in die Mühlen und Räder des Brötchengebers zu gelangen.

Sollte Gustav gAMS nicht zu diesem Personenkreis gehören, kann er sich außerordentlich glücklich schätzen, um nicht zu sagen, vom Schicksal sehr wohlwollend behandelt worden zu sein.

2. Gib dem Menschen das Lebensnotwendigste, und du machst ihn zum Tier. Also, Notstandshilfe bei 55 Prozent des letzten Gehaltes oder noch weniger wie der Sozialhilfesatz! kann wirklich nicht als allzu üppig bezeichnet werden. Mitunter: zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel … Deshalb: her mit der sofortigen, bedingungslosen Grundsicherung! Anhebung des Arbeitslosengeldes und erst recht der Notstandshilfe auf ein lebenswürdiges und ausreichendes Niveau!

3. Es gibt auch zweifelsohne hoffnungslose Fälle, wie ich einer war! Aber bitte hört endlich damit auf, diesen Menschen ihr marginales Selbstwertgefühl auch noch zu vernichten! Im neuntreichsten Land der Erde wird es doch kein Problem sein, auf Menschen, die nicht mehr arbeiten können oder auch wollen! getrost zu verzichten. Dazu Werner Schneyder: Österreich kann auch sie sich leisten!

Von einer Vollbeschäftigung wie zu Kreiskys Zeiten, die es auch damals nicht so gab, wie man sie heute noch gerne schönredet, zu träumen, ist schlichtweg Utopie und jenseits aller Realität!

4. Umdenken:

Wer eine Weile aus dem Berufsleben aussteigen will, etwas anderes lernen, woanders leben, neue Kulturen kennen lernen, soll diese Möglichkeit erhalten!

Das AMS, das das S so gerne für Service benutzt, allerdings nur ein Verwalter der Erwerbsarbeitslosen ist, sollte sich in erster Linie darum kümmern und seine besten (gibt es die?) Köpfe darauf einschwören, für eine generelle, markante Arbeitszeitverkürzung zu kämpfen, damit zumindest einige aus dem derzeitigen Arbeitslosenheer einen Arbeitsplatz finden.

5. Weiterbildung: aber bitte nicht auf dem Niveau des 16 Wochen dauernden, kolportierte 4600 Euro kostenden Durchpeitsch-Kurs für Lohnverrechnung und Buchhaltung, bei dem die SAP-Praxis von einem SAP-Programmierer durchgeführt wurde, der von der praktischen Anwendung nicht den leisesten Schimmer hatte.

So, und jetzt reichts mir! Warum soll ich euch alles sagen, wenn es eh logisch ist! Denkt doch mal nach, verlasst endlich eingetretene Trampelpfade, habt Mut für neue Ideen!

Redet endlich mit den Betroffenen über ihre Bedürfnisse, ihre Ängste; die wenigsten können etwas dafür, arbeitslos zu sein, wenn hoch dotierten Managementberatern nichts anderes zur Sanierung pseudomaroder Unternehmen einfällt als Massenentlassungen! Und nehmt endlich hoch dotierte Firmenherunterwirtschafter und Managementberater einmal in die Pflicht! Schreit auf, wenn Multikonzernen Steuererleichterungen in den Hintern geschoben werden und unselbständig Erwerbstätige das Nachsehen haben!

Ich hoffe für den Anfang, dass Sie dieses etwas zum Nachdenken bringt und dass dabei auch was rauskommt. Und Sie in einer Position sind, die wirklich etwas bewegen kann …

Mit freundlichen Grüßen

M. H.

(Name der Redaktion bekannt)