Im postfaktischen ZeitalterDichter Innenteil

Gottfrieds Tagebuch

10. 11.

In dem ganzen Tohuwabohu rund um den überraschenden, erschreckenden, verstörenden und was weiß ich noch Wahlsieg von Donald Trump habe ich doch glatt darauf vergessen, dass sofort nach Bekanntgabe des Selbigen die Homepage der kanadischen Einwanderungsbehörde zusammenbrach.

Ob man das jetzt lustig, traurig oder beängstigend finden soll, vermag ich nicht zu kommentieren. Aber falls die gesammelte geistige Elite den USA entflöhe, dann bliebe nur mehr das eine Prozent Superreiche, ihre Freunde vom Establishment, die allerdings laut Wahlversprechen des Herrn Trump auf Schärfste von ihm bekämpft werden (woran wir auch alle ganz fest glauben) und last but not least die zum Opfer der Globalisierung gewordene Restbevölkerung. Wie heißt es in der amerikanischen Hymne? «Home of the brave!» Schau ma amoi!

12. 11.

Manchmal haben meine Gehörgänge Schluckauf. Auslöser ist in der vorliegenden Causa wieder einmal der sofort verständliche Hinweis eines bundesdeutschen Sportkommentators, der mir und auch vielen anderen aufgrund seiner Aussage Verwirrten erklären will, wo auf der Tribüne der eine oder andere mehr oder weniger bekannte Ex-Sportler Platz gefunden hat. Der durchaus wenig hilfreiche Text lautete, wie folgt: «Man sieht ihn hier zur Rechten, auf der linken Seite.» ??? Es mag sein, dass ich mich da jetzt in einen Wirbel hineingehört habe, aber ich schwöre, dass dieser Satz so gefallen ist. Ich bin wie üblich über eine solche Banalität verwirrt, aber ich hatte ohnehin im Moment nichts anderes vor.

14. 11.

Wie ich seit dem US-Wahlkampf weiß, leben wir inzwischen im postfaktischen Zeitalter. «Das hätte es früher nicht gegeben!», hätte es der diensthabende alte Mann formuliert, den die meisten Familien irgendwo lagernd haben. Es wird immer moderner, dass maximal noch die Überschriften der «Österreich», «Heute» gelesen werden und ansonsten etwaige Internet-News. In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass sich das Grauen in der Nachrichtenwelt am 26. 9. dieses Jahres vermehrt hat. «oe24.tv» ging auf Sendung. HILFE!!! Da gibt es unter anderem sogenannte «Youtube-News». Womit wir mitten im postfaktischen Zeitalter angelangt wären. Fakten zählen nicht mehr wirklich. Da werden Nachrichten eins zu eins übernommen, ohne auch nur irgendwie ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Na ja, der TV-Sender der österreichischen «BILD» eben. «Ganz Österreich liest ÖSTERREICH!» Am liebsten würde ich sie verklagen, also echt, aufregen könnte ich mich!!! Ich lese meiner mentalen Gesundheit zuliebe nur mehr die Überschriften dieser F…-Postille, über etwaige interessante Artikel erfahre ich ja alles Konkrete in der U-Bahn.

16. 11.

Heute war ich besonders unartig. Wenn ich jetzt auch noch verrate, inwiefern ich das war, werden jüngere Menschen umgehend ohnmächtig darniedersinken. ICH WAR OHNE SMARTPHONE IN FREIER WILDBAHN UNTERWEGS! Ja, ich weiß, das ist schockierend. Wie soll ich denn da erfolgreich eines Burn-outs habhaft werden? Oder andere Menschen treffen? Man glaubt es kaum, dass so was auch ohne mobile Buschtrommel funktioniert. Meiner bescheidenen Erfahrung nach reagieren Fremdlinge durchaus interessiert auf eine freundliche Anrede, die nicht aus einem Lautsprecher an ihr Ohr dringt. Und wie ich ebenfalls feststellen konnte, bin ich offenbar nicht der einzige Mensch, der sich nicht zu einem elektronischen Sklaven machen lassen möchte. Mein Rat zu dieser Thematik: «Versucht doch einfach einen Tag in der Woche ohne Smartphone zu überstehen!» Sucht das persönliche Gespräch mit Familie, Freunden und nächstgelegenen Fremden. Zur Abwechslung Sozialleben – statt digitalen Dahinvegetierens.

22. 11.

«qcqcqcqc!» Seine katerliche Hoheit beliebt zu randalieren. Denn heute sah er Schockierendes im TV. Zur Abwechslung einmal aus den USA. «rnrnrnrn!» Es beruhigt sich nicht das Getier und das zu Recht! Ein gewisser Richard Spencer von der Partei «alternativ-right» beschließt eine Rede vor großem Publikum mit «Heil Trump!» und dem Hitlergruß, der von Teilen des Auditoriums erwidert wird. Der Twitterkönig Trump findet keinen Anlass, sich hierzu auch nur irgendwie zu äußern. Langsam aber sicher wird Kater und Untermieter mehr und mehr übel.

26. 11.

Ich suche krampfhaft nach lustigen Dingen, Geschichten und Geschehnissen. Fröhliche Nachrichten kämen einem Jackpot gleich. Da kann er lange suchen, der alte Depp! Und als wäre das noch nicht schlimm genug, erklärt mir ein deutscher Kommentar in einer historischen Dokumentation, dass die Leute gerne in «den»? Pub gegangen seien. Banal, aber trotzdem seltsam. Der Pub?! Der Gasthaus?! Der Restaurant?! Der Spelunke?! Das Thema Bildungsmisere greift um sich! Und das im Bildungsfernsehen …

1. 12.

Irgendjemand hat bei meinem Adventkalender die Tür mit der Nummer 1 entwendet. Wenn ich den erwische! Dann ändert sich wahrscheinlich auch nichts Wesentliches. Was mich jetzt vollends verwirrt, ist der Spruch, der meinen Ganglien entflieht: «Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» Das hat er klug gebrüllt, «der kleine Prinz».