Karl Kraus und die Frauen IIDichter Innenteil

Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus, Teil 9

Der Hass gegen die Frau ist immer nur noch nicht überwundener Hass gegen die eigene Sexualität.

Otto Weininger

Prostitution nenne ich den Zustand, der den Menschen innen und außen als Zubehör des Händlers erscheinen lässt, Kunst als das Mittel seiner Reklame, den Künstler als seinen Sandwichman. Prostitution ist eine Lebensauffassung, nach der zwar nicht mehr den Göttern der Kaufmann gehört, aber diesem die Menschheit, die sich als dienendes Glied seinem Ganzen anzuschließen hat, erschaffen, den Schneider zu kleiden und den Gastwirt zu nähren. () Prostitution ist so ziemlich alles, was die Repräsentanten dieser bürgerlichen Welt unternehmen.

Karl Kraus

    

Warum sich die bürgerliche Welt um 1900 gerade an den Verkäuferinnen der Lust stößt, dieser verdächtigen Fährte spürt Karl Kraus nach, verlässt dabei die vertrauten Gefilde der bloßen Polemik gegen Heuchelei und Doppelmoral und dringt in den philosophischen Molekularkern abendländisch-kapitalistischer Ideologie ein.

Nicht nur dass sich die männlichen Naturbeherrscher der Moderne, verkörpert im Wissenschaftler, der die Elle an die Welt legt und mit seinen Kategorien vereinheitlicht, und dem Kapitalisten, der diese unermüdlich in Waren verwandelt, der Lust versagen müssen so weit gehen die linken Theorien des Triebverzichts auch. Karl Kraus abstrahiert eine Stufe weiter und erkennt in der Lustfeindlichkeit vor allem in der Aversion gegen weibliche Lust die elementare Angst vor dem Zwecklosen, Rauschhaften, nicht Messbaren, vor dem lockenden Sirenengeheul der Natur, vor welchem sich der Bürger hinter seinen Kategorien und Warenlagern verschanzt. Die Conquista der Nutzbarmachung lässt nicht auf sich warten. Die Bürger dämmen die Wildströme der Sinnlichkeit ein, deren smarte Magierinnen die Frauen Kraus zufolge sind, er reißt die Staudämme triumphierend wieder ein. Das ist wörtlich und allegorisch zu nehmen. Im Gedicht Vor einem Springbrunnen, das Kraus seiner Geliebten Sidonie Nádherný schenkte, feiert er diese nasse Gotteswelt als zwecklos wie am ersten Tag/bloß ihrer Lust genügen mag/und von dem holden Überfluss/an keine Pflicht verstatten muss. In einer weiteren Strophe stellt er die Zwecklosigkeit dieses Überflusses der Funktionalität der Welt entgegen, die ihre Lust zum Zweck verdarb, /bis alles Licht des Lebens starb. Doch weder Geist noch Sinnlichkeit, die sich aus nie versiegenden Quellen speisen, lassen sich umbringen, darin bleibt Kraus Optimist: Noch fließt ein Quell, noch flammt ein Licht, /noch streben beide zum Gedicht. () noch wär ich auf dem Regenbogen/beinah mit dir dort eingezogen, / dass nie verrinne Lust und Zeit./ O schöne Überflüssigkeit.

Dort wo Ratio zur Rationalisierung verkommt und die Vernunft zum Kalkül, bekräftigt Karl Kraus aufs Neue den Pakt zwischen Geist und Sinnlichkeit und verkündet: Das Chaos sei willkommen denn die Ordnung hat versagt.

Kraus Vorstellung der Weiblichkeit, der Dualität von männlichem und weiblichem Prinzip speist sich aus mythischen Urbildern eines Goldenen Zeitalters, die im 19. Jahrhundert durch Schriften wie Bachofens Mutterrecht wissenschaftlich wiederbelebt wurden. Als Verächter der Verwertungslogik sehnt er sich jedoch nicht nach einer idealen Vergangenheit, sondern nach einer idealen Zukunft, die aus dem Quell des Archaischen stets neue Kraft schöpft, zum Beispiel aus dem sich Fallenlassen in eine unberechenbare Lust.

Karl Kraus wurde oft vorgeworfen, er propagiere eine entindividualisierte, rein körperliche Lust, u. a. von Alfred Pfabigan, der das groteske Kunststück fertig brachte, ihn gleich auch zum lustfeindlichen Verteidiger der Askese zu machen. In der Tat, markige Sprüche wie Eine Frau ist hin und wieder ein ganz praktischer Ersatz fürs Masturbieren lassen sich leicht als amüsanter Chauvinismus missverstehen, wenn man sich der Leidenschaftlichkeit verschließt, mit der Kraus die männliche Verfügungsgewalt über den weiblichen Körper geißelte. Die Frau darf nur, was der Mann will, aber nur, wenn sie selbst nicht will. Und wehe, wenn das schwächere Gefäß der Sittlichkeit unsanftester Berührung nicht Stand hält! Ist es zierlich, greift man gern danach und wirfts, wenn man sich satt geschlürft, verächtlich in die Ecke

Auch Kraus Apologie der prallen körperlichen Sinnlichkeit will provozieren: und zwar den grassierenden Romantikkitsch, hinter dem sich Lustfeindlichkeit mit Eskapismus vermählt. So wie er die Ranken des Jugendstilornaments stutzt, um den verhassten Zeitgeist darunter zu entblößen, entkleidet er den Zwangscharakter des Monogamiekäfigs seiner schönen Robe. Kraus kontert der Vergeistigung des Sexus mit einer Sexualisierung des Geistes und spätestens da hört sich die Sphärentrennung auf.

Der letzte, untilgbare Unterschied

Als Privatmensch behält sich Kraus vor, ein zart fühlender ritterlicher Romantiker alten, aber feinen Zuschnitts zu bleiben. Das zeigt sich bei den zwei Frauen seines Lebens, der Schauspielerin Annie Kalmar, deren frühen Tod er nie verwand und deren Grab in Hamburg er bis an sein Lebensende pflegte, und Sidonie Nádherný von Borutin. Für sie ist er sogar bereit, einen seiner ehernen Grundsätze zu opfern Familienleben als Eingriff ins Privatleben und macht ihr einen Heiratsantrag.

Rainer Maria Rilke intrigiert gegen den Nebenbuhler Kraus, indem er Sidonie Nádherný in Briefen, nie explizit, nur in Andeutungen, auf den letzten, untilgbaren Unterschied zwischen ihr und Kraus hinweist. Gemeint ist dessen jüdische Herkunft. Und in der Tat, die Baronesse von Borutin verlässt Kraus und verlobt sich mit einem italienischen Grafen. Schwer getroffen schreibt der Dichter: Segen Deinem stolzen Schritt/In die fernste Richtung/Du nahmst meine Seele mit/Ich bewahr die Dichtung.

Reumütig kehrt sie jedoch zu Kraus zurück. Der verzeiht ihr und verbringt mit ihr noch viele schöne Stunden auf ihrem Gut Janovice mit seinem üppigen Park, wohin er flüchtet, um die Wunden zu kurieren, die er sich im ungleichen Kampf mit der Gesellschaft erworben hat zwischen einer fünfhundertjährigen Pappel und einer heute erblühten Glockenblume.

Es ist bezeichnend, dass der klarste Blick auf Kraus Verhältnis zum Weiblichen von Frauen stammt, von unaufgeregten Wissenschaftlerinnen wie Nike Wagner oder Irina Djassemy. Bei aller gebotenen Differenzierung analysieren und würdigen sie seine Verdienste um die Emanzipation der Frauen und ihrer Sexualität.

Vieles hat sich seit Kraus Zeiten zum Besseren gewendet, vieles nur in Nuancen gebessert, manches wendet sich wieder zum Schlechteren. Frauen haben den Männern ihren Platz in der Berufswelt abgerungen und das Recht, mit selben Maßstäben beurteilt zu werden. Z. B. im Journalismus, wo man ihnen so Kraus die verdiente Geringschätzung nicht mehr vorenthalten darf. Doch die patriarchale Macht kämpft um jeden Meter. Auffällig ist die vermehrte Dämonisierung weiblicher Sexualität in Filmen und die Darstellung von Männern als unschuldige Opfer weiblicher Ranküne und Wollust.

In einer gewissen Romantisierung der Huren liegt der tote Winkel im panoptischen System von Kraus sozialkritischer Wahrnehmung. Doch darin spiegelt sich nur sein Ideal der polyandrischen Frau, als deren Genießer, Diener, Beschützer und Konspirant er sich gefällt, die er nie als Objekt behandeln würde und folgende Eigenschaften in sich vereint: Treue im Unbestand, rücksichtslose Selbstbewahrung im Wegwurf, Unverkäuflichkeit in der Prostitution. Dass er diese Worte seinem toten Freund Peter Altenberg ins Grab mitgab, tut hier nichts zur Sache.

Kraus kritisiert nicht die Monogamie, sondern den institutionellen Zwang, der sie einfordert und ihren sittlichen Wert verdächtig macht.

Denn die Heiligkeit der Ehe würde, schreibt er, sobald sie aufhörte Rechtsgut zu sein, beträchtlich gemehrt werden. Sie wäre nicht mehr von jener unseligen Heuchelei beleidigt, unter der Menschen fortleben, die längst erkannt haben, dass sie, als sie in die Ehe traten, keinen andern Fehltritt mehr begehen konnten.

Kein Recht auf Eifersucht

Mit der festen Zweierbeziehung wollte eine liberalere Gesellschaft schließlich den heroischen Beweis erbringen, dass sich Monogamie auch bar ihres institutionellen Zwanges und ihrer soziokulturellen Funktionalität leben lasse, die Romantik also von ihren Fesseln befreien. Und siehe da: Die Romantik selbst erwies sich als die Masche, die die Fessel kleidsam machte. Doch als man diese löste, nahmen die Liebespartner voreinander Reißaus. Die Statistiken belegen das Scheitern der freiwilligen Monogamie. Und der bemitleidenswert jämmerliche, der Geschäfts- und Sportsphäre entlehnte und die Geschlechterbeziehung als einen egalitär gemanagten Kleinbetrieb suggerierende Begriff fester Partner für das, was einmal meine Frau oder mein Mann hieß verrät die Unschlüssigkeit der modernen Liebenden. Dass das Ideal des Lebens zu zweit am ehesten jenen gelingt, die sich aus Bequemlichkeit, Feigheit, Minderwertigkeitsgefühlen oder Zeitnot die Alternativen zum eigenen Partner versagen, ist ebenfalls kein Ehrenzeugnis. Die Freiheit ist halt ein Hund, von dem sich die gerade Befreiten nur zu gerne in den Käfig zurückbellen lassen.

Die Heiligkeit der festen Zweierbeziehung indes so ließe sich Kraus Ehekritik auf heutige Verhältnisse übertragen würde durch eine Wahl gemehrt, die tatsächlich eine freie wäre und dieser Beziehung den Ruch jener Erdhöhle nähme, in die sich die vom Erwerbszwang von früh bis spät Gedemütigten abends verkriechen, den Ruch jenes narzisstischen Arrangements, bei dem sie einander die synthetischen Substitute der Würde spritzen, die man von früh bis spät ihnen nimmt. Was aber zur Utopie verweist, kraft derer der Mensch über genug Zeit und Muße verfügt, zu wählen zu wählen aus Stärke, nicht aus Schwäche und sich vielleicht raffinierte Kriterien auszudenken, warum dieser Mensch für ihn weniger ersetzbar und folglich liebenswerter ist als ein anderer.

Wer solchen Konzepten den Verdacht der Heuchelei nehmen will, muss auch die letzte Schwäche seines patriarchalen Erbes opfern den alleinigen Anspruch auf Gefühle und Begehren eines Menschen. Selbst die größten Frauenversteher seiner Zeit, Schnitzler, Wedekind, Loos und Altenberg verrieten mit fürchterlichen Eifersuchtsszenen die Diskrepanz zwischen Wort und Tat. Nur Kraus leistete sich unter Seelenqualen auch darin Radikalität. Auf jegliches Anrecht verzichten, seine Eifersucht still ertragen, darin liege wirkliche Liebe beschlossen. Lieben, betrogen werden, eifersüchtig sein, schreibt Kraus, das trifft bald einer. Unbequemer ist der andere Weg: Eifersüchtig sein, betrogen werden und lieben. Wie viel Masochismus an solcher Praxis beteiligt ist, kann uns gestohlen bleiben. Es reicht schon, dass niemand die Mikroideologie der Eifersucht gewitzter formuliert haben dürfte als Kraus: Die wahre Eifersucht will nicht nur Treue, sondern den Beweis der Treue als eines vorstellbaren Zustands. Dem Eifersüchtigen genügt nicht, dass die Geliebte nicht untreu ist. Eben das, was sie nicht tut, lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Da es aber für Unterlassung keinen Beweis gibt und der Eifersüchtige auf einen Beweis dringt, so nimmt er schließlich auch mit dem Beweis der Untreue vorlieb.

Richard Schuberth

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