Keiner wollte nach WienDichter Innenteil

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (24)

Hüseyin ist seit langem in Wien. Die meisten seiner Generation sind in Deutschland gelandet. Eigentlich wollte keiner nach Wien kommen. Genauso wie viele der ersten Gastarbeiter. Sie wollten alle nach Deutschland. Wer es nicht geschafft hat über die Anwerbestellen nach Germanistan zu gelangen (die meisten, die es dorthin geschafft haben, waren qualifizierter), bekam die Chance, nach Österreich zu kommen.

Viele, die nach Österreich kamen, sind über Österreich wiederum nach Deutschland gegangen. Unser Hüseyin ist in Wien geblieben. Zwanzig Jahre lang fuhr er von Himberg über die Busstation Südtiroler Platz, mit der S-Bahn bis zum Prater, dann zu Fuß durch Wurstelprater – wie in den Zeiten der Monarchie stolzierend – zum Tanzsalon Oberbayern. Ob es der Baufirma, bei der er beschäftigt war, bewusst war, dass er für die anderen Türken und Kurden eine Integrationsfigur war, ist offen.

Nach Deutschland wollte er nicht. Er liebte die Hochkultur Wiens. Walzer, Johann Strauss, Mozart und die Mozart-Kugeln. Dreiviertel und Vierviertel-Rhythmen hielten unseren Hüseyin in Wien in Stimmung. Die Ruhe der Straßen und Gassen, auf denen er sich, den Rhythmus vor sich hin murmelnd, bewegt, gibt ihm das Gefühl der Heimat. Vor kurzem fuhr er nach Deutschland, um seinen krebskranken Großneffen zu besuchen. Dann bekommt er auch noch eine Hochzeits-Einladung von seinem Cousin, den er seit langem nicht gesehen hat. Die meisten Hochzeitgäste sind aus seinem Dorf und aus den Nachbardörfern in Kurdistan. Die Freude ist groß. Viele von denen, mit denen unser Hüseyin seine Kindheit verbracht hat, sind schon ältere Herrn. Zwar schaut sich Hüseyin auch jeden Tag im Spiegel an, aber er merkt diese Veränderungen nicht so stark, wie in diesen Momenten, als er seine Freunde auf dem Hochzeitsfest sieht. Man fragt sich wenig über die Jetztzeit. Es wird über das früher Erlebte im Dorf gesprochen. Sehr viele Geschichten, die neu aufgetischt werden. Die Live-Musik ist sehr laut. Viele der Frauen waren vorher beim Friseur. Der Auftritt der Frauen ist, ähnlich wie auf einer Filmgala. Am Anfang hat man auf den Tischen übliche nicht-alkoholische Getränke. Nachdem man die Hauptspeise zu sich genommen hat, wachsen auf den Tischen Whisky und Raki. Es darf getrunken werden. Meistens trinken die Männer. Die Frauen trinken wenig. In der Nacht fährt jeder in eine andere deutsche Stadt.

Das Treffen der Dorfleute ist für den Hüseyin zu kurz. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Das Sichverabschieden ist traurig. Hüseyin denkt sich, die nächste Zusammenkunft wird lang dauern. Ihm wird angeboten bei einem im Ruhrgebiet Wohnenden zu übernachten. Aber er muss sich mit seinem Freund, dessen Kindern und dessen polnischer Frau in Richtung Frankfurt begeben. Durch die nebelige Nacht fahren sie drei Stunden lang. Nach ein paar Stunden Schlaf wird er zum Flughafen Frankfurt gebracht. Der Abschied ist melancholisch. Es wird lange Zeit vergehen, bis sie sich wieder treffen werden. Zwar haben die Freunde die Möglichkeiten über die neuen Kommunikationsmöglichkeiten zu kommunizieren, aber jeder wird seinen eigenen Weg im Leben gehen. Ihr Traum ist im Dorf ein Haus aus Stein zu bauen. Herr Hüseyin darf jedes Jahr ins Dorf fahren, sein Freund darf aus politischen Gründen seit 25 Jahren die Türkei nicht betreten.

Herr Hüseyin freut sich auf das kleine Land Österreich. Obwohl gar nicht groß, aber trotzdem so wichtig! Der Hüseyin nimmt alles sehr ernst in seiner neuen Heimat, die von weitem sehr klein ausschaut. Der Punsch ist heuer sehr süß.

Frohe Weihnachten wünscht Ihnen Ihr Hüseyin!