Kosmischer NihilismusDichter Innenteil

Oft habe ich mir gedacht, dass die Bereitschaft der Menschen zur Kälte, Unbeugsamkeit und Böswilligkeit anderen gegenüber daher stamme, dass der Himmel und die Sterne nie auf Leid antworten.Von weitem hört sich ein Lagerfeuergesang an wie ein aberwitziger Versuch, der Stille der Nacht und ihrer Einsamkeit zu trotzen. Das lautstarke Schluchzen einer trauernden Person, die in ihrem Zimmer oder auf einer Sitzbank dem Wirbelsturm der Gefühle unbarmherzig ausgeliefert ist, klingt keinesfalls weniger hilflos. Auch die pompösesten Zusammenkünfte, von Rockkonzerten über Sportmeisterschaften bis zu den Kriegsparaden, selbst all diese sehen am Tag danach aus wie ein eitles Brüllen und Trommeln, höchstens wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Welt, die Zeit, der insgesamte Kosmos sind unempfindsam und stur in dieser Hinsicht. Und dies kann sozusagen nicht anders sein. Der Mensch, der Interessierte und Bewegte also, bekommt im Lichte seiner Vergänglichkeit, welche sich bewusst nur erbärmlich anzufühlen weiß, keine explizite Antwort. Aus jener Ecke schleicht sich die Verhärtung und Grobheit als brütende Beklemmnis und zeitweilig als blinde Wut in den menschlichen Geist. Schon Sperber hat darauf «bestanden, dass das meistverbreitete Geheimnis der Menschen die Tatsache ist, dass sie in Wahrheit keines haben». Das schrille Klirren aus der abseits gelegenen Fabrikshalle, das fade Rauschen eines Zuges, der durch einen Tunnel fährt, das verzweifelte Beten in der hallenden Kirche, das Geklimper nebenbei, wenn man am Straßenmusiker vorbeizieht, alles erinnert daran: Die Welt ist unbeteiligt, vergänglich, beides auf einmal. Familie Freundschaft, Liebe, Ideale, durchlöchert wie Schweizer Käse von jener dumpfen Ahnung, haben deshalb stets ihre eigenen kalten, unbeugsamen und böswilligen Anwandlungen. Dabei scheint ohnehin alles noch gut, solange die Sonne und der Mond weiter aufgehen und das Gestirn am Himmel nicht plötzlich surrt und zittert. Die Sache stünde in so einem Fall viel schlimmer. Also waltet die gedämpfte Freude unter den Menschen, zwar ein Augenzwinkern in der Ewigkeit darzustellen, aber dafür ein sich selbst wichtiges. Doch der verschüttete Zorn verbleibt, und er wird auch nach außen getragen, als eine Art von Daseinspanik. In der natürlichen Ohnmacht, trotzdem ein Spielball mehrerer Kräfte zu sein, die uns formen, ohne zu erwidern, verletzen wir einander, erstarren innerlich, behandeln uns schlecht und setzen ungewollt das Leid in die Welt. Die Beklemmung, vielleicht eigentlich bloß ein aufgeblasenes Nichts zu sein, wird somit gedrosselt und verdrängt. Manche sagen Sünde dazu, andere Todestrieb sicher ist, dass dieses ganze Wüten und sinnlose Ärgern über sich selbst und das Umfeld durchaus existiert. Es lebt durch uns, gehalten in seelischer Geiselhaft. «Den bängsten Traum begleitet ein unheimlich Gefühl, dass alles nichts bedeutet, und wär uns noch so schwül», schreibt Hebbel in einem Gedicht. Das ist keine plakative Schwarzmalerei, im Gegenteil. Die unangenehmen Worte, ob gereimt oder nicht, zeugen von einem tiefen Empfinden, das sich an die Beschaffenheit der Wirklichkeit poetisch heranzutasten wagt, dort wo es um Erlebnisstrom und Innenleben geht. Klarerweise wird hierbei der unsentimentale Ton die meisten Ohren vertreiben, denn über den Nutzen der Bewusstheit lässt sich manchmal streiten; bewölkte Gedanken werfen keine wärmenden Strahlen, sondern nur didaktische Schatten. Dennoch ist der Mensch dazu verdammt, immer und wieder die Frage aufzuwerfen, warum er sich selbst und die anderen bekämpft und vereitelt, sogar in den schönsten Gefühlen und in den besten Absichten. Geworfenheit drückt als Begriff das Verhexte unserer Verhältnisse nicht einmal treffend genug aus, am allerwenigsten den Umstand, gewisser Maßen sich selbst überlassen und auch jenem Wahnsinn der anderen ausgesetzt zu sein, bedingungslos. Da hat Kohelet sehr recht mit seiner Anschuldigung an die große Welt: Sie kümmere sich kaum um unsere Sorgen, und wir nehmen uns in unserer falschen Eitelkeit allzu ernst. Dazwischen tritt zur Abwechslung Freud und Leid aufeinander, sich mischend, uns ablenkend. Die Lagerfeuerstelle, das Liebeskummerzimmer, die Veranstaltungshalle, der Aufmarschboulevard, sie sind sich jedenfalls ähnlich, indem sie ihre Machtlosigkeit und Gebundenheit zwischen die Zeilen schreiben. Ich weiß in diesem Sinne nicht ganz, wie mit einem solchen Projektionsgesetz umgegangen werden soll, wenn es doch zu den Spielregeln des Daseins gehört. Anders formuliert, ich passe; sonst müsste ich verzweifeln.