Öffis in NicaraguaDichter Innenteil

Aus einem Reisetagebuch

Was man während so einer Busfahrt alles sieht/riecht/hört/erlebt/bemerkt während einem – ein fremdes Kind am schoß sitzend und die Mutter dazu auf meinen Zehen stehend – die einzelnen Wirbel durch die Schlaglöcher neu sortiert werden, man sehnsüchtig auf die nächste Klo-Pause wartet und dabei die nicaraguanische Landschaft an einem vorbeizieht (bzw. ein Teil davon beim Fenster hereingeblasen wird)

Foto: Gerhard Rainer

Zum Start: Busse bringen einen (fast) immer überall hin, sind immer knallevoll und im Vergleich zu Privatautos ziemlich billig – vor allem, wenn man mal richtig viel Zeugs transportieren möchte. Die Fahrzeuge selbst sind alte Blue-Bird-Busse aus den USA. Man kennt diese Busse aus US-Filmen, in denen sie als Schulbusse über die Leinwand tuckern. Genau die wurden offenbar vor Jahren ausgemustert und fahren seither in Mittelamerika durch die Gegend.

Die Busse haben meist einen fixen Start- und Zielort. Dazwischen wird ca. 10.000 Mal angehalten, um Leute einsteigen zu lassen – aussteigen will nur selten jemand. Darum sind die Busse nach wenigen Kilometern meistens schon dermaßen voll, dass man sich denken könnte, jetzt bis zum Ziel durch zu fahren. Denkste: Zwischen all den Taschen, Füßen und Kindern findet sich garantiert immer noch ein Platz für ein paar Passagiere mehr. So zuckelt der Bus die ersten Kilometer dahin und hält Ausschau nachLleuten, die vor ihren Häusern stehen und durch eine kleine Handbewegung (so als würden sie schnell mal eine Fliege verscheuchen) kund tun, dass sie auch noch mitfahren wollen. Da ist’s dann auch egal, wenn 20 Meter weiter auch wer mit dem gleichen Bus fahren will. Es wird brav gewartet bis die Nachbarn eingestiegen sind, der Bus weiterfährt und nach der geheimen Handbewegung (manche winken auch ganz aufgeregt – aber ich glaub‘ das ist uncool) für einen selber stehen bleibt. Wenns hinten mal zu voll wird kann es schon einmal vorkommen, dass einer während der Fahrt hinten rausspringt, in seinen Flipflops am fahrenden Bus vorbei nach vorn tschurtelt und bei der Tür vorne wieder rein springt – um festzustellen, dass hinten eigentlich eh mehr Platz war …

Musik: in erster Linie laut

Von Zeit zu Zeit wird angehalten, um zusätzlich noch Kinder und alte Frauen einsteigen zu lassen, die aus Körben Getränke und Snacks verkaufen. Egal wie voll der Bus schon ist, schaffen sie’s immer irgendwie sich von vorne nach hinten (und wieder zurück) durch die Leute zu zwängen und mit Essen und Wechselgeld zu jonglieren. Manchmal steigt auch jemand ein, der dann plötzlich seine Sporttasche öffnet und 10 Minuten lang einen lautstarken Monolog über die Vorzüge und Wunder der Medikamente hält, die er da mit sich hat und heute sogar zum Verkauf anbietet … Musikalisch geht’s in den nicaraguanischen Bussen in erster linie laut zu – da sind wir aus Indonesien Ähnliches gewöhnt. Für alle, die das nicht kennen, die Musik ist eine Best-of-Brian-Adams-Country-Western-(beides!)-Mariachi-spanische-Cover-Lieder-Latino-Mischung die alle heiligen Zeiten mal durch eine Best-of-the-Holy-Bible-Sonntags-Predigt-CD unterbrochen wird. Der Komfort während einer Busfahrt hängt stark davon ab, ob man a) einen Sitzplatz ergattert hat und b) auf welcher Straße man unterwegs ist. Ein paar wenige Straßen sind super mit Pflastersteinen ausgebaut (hier vor allem jene im Westen des Landes) – die meisten sind jedoch Schotterstraßen, bei denen der Schotter in erster Linie von Schlaglöchern zusammengehalten wird.

Dadurch hat sich hier ein ganz eigenes Geschäftsfeld entwickelt: Leute stehen auf der Straße und flicken auf eigene Faust mit Erde und Schotter die Schlaglöcher. Als Dankeschön schmeissen ihnen dann Fahrzeuginsassen im Vorbeifahren ein paar Münzen oder Scheine aus dem Fenster.

Zu den Pflastersteinen hab ich noch eine nette Geschichte im Reiseführer gelesen: Die gestürzte Somosa-Regierung hat an eine befreundete Pflastersteine-Hersteller-Familie Großaufträge vergeben, um die Straßen im ganzen Land zu pflastern. Im Zuge der Revolution fand die Bevölkerung aber heraus, dass man die Steine der Regierungsfreunde auch super wieder rausreissen und der Regierung hinterher schmeissen kann… Da die Fahrten auf den Schotterstraßen oft eine Ewigkeit dauern, hab ich auch schon einige Arten probiert, im Bus zu schlafen. Bis heute hab ich aber noch keine Möglichkeit gefunden, bei der man keine wunden Knie, aufgeriebene Hinterbacken oder ein Schleudertrauma davonträgt. Eine zeitlang dachte ich, man könne durch aktives Gegenwackeln mit dem Kopf die rumpelige Straße ausgleichen. Nachdem ich aber meine Freundin Tine mit meinem unkontrollierten Kopf-Wackeln mehrmals fast K.O.-gewackelt habe (und meine Halswirbelsäule weiteren Versuchen wahrscheinlich auch nicht standgehalten hätte) habe ich diesen Ansatz wieder verworfen, wird einem nur schlecht davon.

Einmal hat sich ein kleiner Bub neben uns übergeben – der hat aber dann gleich eine ordentliche Dachtel von der Mama gekriegt. Beim zweiten Mal hat sie ihm dann netterweise zum Speiben den Kopf beim halb offenen Fenster rausgeschoben… (da es mir früher nicht anders gegangen ist – also speibmässig, nicht Mama-mässig – hab‘ ich mit dem Kleinen ordentlich mitgelitten). Ich hab‘ vorhin schon kurz erwähnt, dass der Westen infrastrukturmäßig bevorteilt wird. Es gibt zum Beispiel immer noch keine ernstzunehmende Straße an die Ostküste. So kommt man nach Bluefields – wo wir jetzt grad sind – nur mit dem Flieger, oder am «Landweg» mit dem Boot am Fluss. Ähnlich sieht’s auch für andere Orte an der Karibikküste aus. Die Straßen sind zwar schon geplant und versprochen – aber halt doch zu weit östlich, als dass sie Managua wichtig genug wären…

Die Abfahrtszeiten der Boote variiren


Somit haben wir letzte Woche die Bus-Spur verlassen und sind seither schon ein paar Mal mit einer Panga gefahren. Pangas sind im Wesentlichen lange, offene Motorboote für 20 Personen, die Flüsse entlang, in Lagunen und zwischen den Inseln dahinbrettern. Wenn es regnet (und das tut es garantiert), wird einfach von hinten eine Plastikplane über die Leute gerollt, die dann alle gemeinsam festhalten. Hat man Glück, sitzt man genau dort, wo nicht das ganze gesammelte Wasser reinrinnt… Da die Abfahrtszeiten der Boote offenbar öfter variieren (oder halt nie irgendeiner Logik folgen) haben wir heute gesehen, wie ein Taxi mit Lautsprechern am Dach durch Bluefields fuhr und die aktuellen Fährzeiten unters Volk brachte. Bluefields ist übrigens der erste Ort unserer bisherigen Reisen, in dem die Taxifahrer echt in Ordnung sind. Erstens brüllen einem nicht gleich unzählige Taxifahrer irgendwelche potentiellen Ziele wie Hotels, Sehenswürdigkeiten und so weiter ins Gesicht, wenn man am Hafen ankommt. Die warten hier einfach ab, ob man sich an sie wendet (O.K., manchmal hupt einer kurz, damit man weiß, dass er da ist). Und dann gibt’s einen Fixpreis, für den man überall hin kommt – auch als Tourist! Vielleicht liegt es daran, dass hier die Konkurrenz so groß ist. In Bluefields sind ca. 95% der Autos Taxis (geschätzt, aber nicht gelogen!). So – jetzt aber genug der Transportmittel. Auch wenn der Abenteuergrad der Reise stark von der Wahl des Verkehrsmittel abhängt, es gibt auch einiges ZWISCHEN den diversen Fahrten zu erleben …

Text und Fotos: Gerald Rainer