Per Anhalter: Die andere Reisekolumne (1)Dichter Innenteil

Frustriert und gelangweilt jedoch abenteuerlustig macht sich der Protagonist von Wien per Anhalter auf, Europas Länder zu erkunden und seine Menschen zu treffen. Ohne Plan aber mit viel Vertrauen beginnt eine europäische «Reise», die genauso unkonventionell wie gefährlich und lustig ist. Wie eine Flaschenpost, deren Ziel und Ankunft ungewiss ist, treibt Felix vom Zentrum Europas an dessen Ränder und zurück, lernt zwischen Stonehenge und Hagia Sophia sich selbst und andere kennen.

Foto: Tobias Natter

Teil 1: Auf der Tristesser Straße

So stand ich also da. Ganz im Süden Wiens, an der äußeren Triester Straße. Dort, am Stadtrand, dieser tristen Grauzone, wo Bäderparadies und Fliesenland auf den Traum vom gegiebelten Eigenheim treffen, zwischen Autohaus und Elkhaus, dort im Mordor der Metropolregion stand ich nun; die Schnauze genauso voll wie die alte Sporttasche in meiner linken Hand, die jetzt schon zu schwer war. Doch einen geeigneten Rucksack besaß ich nicht. Außerdem war die Tasche ein Statement. Weg hier? Ja! Aber nicht wie die ganzen scheiß Rucksacktouristen oder Individualreisenden, wie sie neuerdings hießen. Sie waren längst wie Heuschrecken. Trophäensammler, von Stadt zu Stadt hetzend. Um nichts besser als all die All Inklusiv-Idioten über die sie stets lachten, nur jünger und hipper. Vor allem hipper. Zuviel menschlicher Kontakt war aber ohnedies nicht vorgesehen. Mein Grant und meine Tasche, das sollte reichen, um möglichst weit zu kommen. Vor mir lag das Abenteuer, das Leben selbst. Der heiße Asphalt würde mich dorthin führen. Hinter mir nur noch Staubwolken, aufgewirbelt von Reifen all jener Suzukis, VWs, Volvos und Dacias die mich immer weiter fortbrachten.

In Wien war es fast unerträglich heiß geworden. Knapp unter 40 Grad. Ein bisschen Fahrtwind würde Abhilfe verschaffen, dachte ich mir. Es schien sich jedoch niemand um mich, meine Tasche – sie lag nun im Staub neben mir – und meinen ausgestreckten rechten Arm an dessen Ende der Daumen erwartungsvoll nach Süden lugte, zu kümmern. Seit mittlerweile über zwei Stunden stand ich da, in der Glut der Mittagshitze. Neugierig, blöd, lachend, verwundert sahen sie mich durch die Windschutzscheiben aus dem Halbdunkeln ihrer Autos wie aus einer anderen Welt an; brausten vorbei in ihren Kokons. Niemand blieb stehen. Als ob es da draußen zu heiß wäre, um kurz anzuhalten, das Fenster runterzulassen und zu fragen, wo es denn hingehen sollte. Die Hitze könnte ja in das wohltemperierte Innere der Autos dringen. Doch endlich, mein in Alkohol eingelegtes Gehirn war schon am Dampfen, als sich ein Sattelzug mit slowenischem Kennzeichen meiner erbarmte. Die Zugmaschine hüpfte wild, der Schlenker des Sattelauflegers war beachtlich, als die Schiebeplane in Wellen derb gegen den Anhänger-Aufbau krachte, bis das Kreuzschiff auf Rädern etwa 50 Meter vor mir unter Ächzen und Stöhnen doch noch zum Stehen kam. Der Anhänger war offensichtlich genauso leer wie mein sich windender Magen. Ich rannte zum Führerhaus. Ein gedrungener Typ mit wenigen grauen, aber zerzausten Haaren und einem Bart der ganz gut zu diesen passte, brüllte etwas auf Slowenisch und winkte mich hinein. Der Lenker lachte ziemlich zahnlos aber freundlich, als er sich daran schickte, sein Flaggschiff wieder auf Kurs zu bringen. Oben ohne, ein nasses Handtuch im Genick, sein verschwitzter, haariger Schmerbauch vom Lenkrad in seine Schranken gewiesen – definitiv, hier war alles an seinem Platz – steuerte er nun mit kräftigen Armen auf der A2 gen Süden. Dieser Asphaltpirat würde mich von hier wegbringen.

Willkommenen Abwechslung


Jure, der Fernfahrer, redete ohne Unterlass. Wild gestikulierend kümmerte er sich nicht darum, ob er verstanden wurde oder nicht. Er war wohl froh über die willkommene Abwechslung. Ich nickte einfach nur und lächelte hin und wieder. Wäre da nicht Jures penetrante Alkoholfahne gewesen, die meine eigene gleichsam verduften ließ, und das gelegentliche Einschlafen am Steuer gefolgt von abrupten Lenkbewegungen, die den leeren Anhänger ratternd auf die Überholspur ausscheren ließen, hätte ich hier endlich meinen längst überfälligen Schlaf der Gerechten gefunden. Stattdessen kämpften wir nun beide wie Löwen gegen das Einschlafen nur um alle paar Minuten einzunicken und den Kopf erschrocken wieder hochzureißen. – Jemand musste hier ja wach bleiben. Die folgenden Kilometer waren von einem interkulturellen Dialog geprägt, der europäischer nicht hätte sein können. Mittlerweile hatte ich verstanden, dass Jures Redeschwall – unterbrochen nur durch konzentrierte Schlafeinheiten – einzig dem Wachbleiben zu dienen hatte. So stieg ich also ein in sein Gespräch und «antwortete» auf alles, sobald er nur kurz inne hielt und mich auffordernd ansah. Es war offensichtlich, er verlangte tatsächlich verbale Reaktionen. Auf Vorarlbergisch – als ob da meine Oma säße – entgegnete ich ihm, dass ich zwar nichts verstünde, eine Konversation in Anbetracht unserer gefährlichen Lage aber durchaus für angebracht erachte. Der Kampf gegen den Schlaf manifestierte sich nun in einer wirren aber solidarischen Besprechung. Jure nickte mir anerkennend zu und lächelte zufrieden, bevor er auf mein Gesagtes einging. Zuletzt machte ich ihn noch auf die Rastplätze aufmerksam, die wir passiert hatten, doch seine Argumente waren bestimmt überzeugend. Das grelle Sonnenlicht, reflektiert von den Scheiben und Karosserien jener Automobile die uns überholten, blendete meine müden, nassen Augen und war das Letze was ich sah, bevor ich endgültig kapitulierte.