Tierisch unmenschlichDichter Innenteil

Gehörten Kriegsausbrüche einstmals noch zur zeitlichen Ausnahme, sind sie durch die Weltumspannung des Marktes zum Dauerzustand geworden, sozusagen zu einem Anzeichen des modernen Zeitalters.Die beiden Weltkriege haben diese Entwicklung, gerade weil sie so ungehemmt Trümmer und Leichen vervielfachten, gewissermaßen angekündigt. Man hat die Zerstörung besser verteilen müssen Militärbündnisse durchziehen jetzt medial den Alltag, geschmückt von weltweiten Konflikten und Kampfeinsätzen. Zwar sprechen sie selbst, übrigens wie immer, von Friedenssicherung und heiliger Pflicht, aber ihre Heere sind es, die all die unheilvollen Kriege führen. Das sind die Momente, wenn im Menschen das Tier zum Tragen kommt und das roheste Gesetz der Natur zur unmenschlichen Regel wird. Doch solche Gewaltakte zur Willenserzwingung, anscheinend grenzenlos, wie sie sind, werfen Fragen auf, welche über den geschichtlichen, wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkt dessen hinaus gehen.

Dass Krieg in der Geschichte allseits vorkommen würde, oder dass er in der Politik nie eines Auslösers entbehrte, oder dass hinter ihm stets die Technologie und eine gesamte Industrie stünde, all das ist mittlerweile nur zu gut bekannt. Es deutet vielleicht richtig an, wo seine Ursachen zu suchen wären, berührt aber nicht die wesentliche Erfahrung seiner Bedeutung. Hier soll nun, während Gewehrläufe und Brandsätze weiterhin ihr blechern trauriges Lied singen, der Hauptbeteiligte schlechthin besprochen werden, nämlich das Militär, als Erscheinung. Assoziativ und in Analogien soll diese Besprechung verlaufen, nach den selben Zügen, wie man Ereignisse bespricht, philosophisch wertlos also, wenn den Fachphilosophen zu glauben ist dafür unvoreingenommen und als Vorschlag gedacht statt als Beweis, frei im Geiste und doch handfest.

Das Militär ist eine besondere soziale Einheit hochrationalisierter Ordnung. Diese Besonderheit drückt sich aus: erstens, durch eine ganz bestimmte Vereinheitlichung, die jenseits der Sorge um ein unmittelbares Innenleben das Kollektiv und sein äußerliches Leben über das Individuum stellt; zweitens, durch eine organisatorische Strenge, die der Effizienz huldigt, deren oberstes Prinzip aber ein hierarchisches ist, nämlich jenes der Kommandogewalt; und drittens, durch die einzigartigen Mittel zur Erreichung von Zwecken, welche beim Militär ganz allgemein das Tier mit dem Menschen zu vereinbaren wissen und daher bewusst die Gewalt mit der Vernunft zu verbinden trachten. Gesellschaft und Natur, beide auf ihre Weise rational, werden da im jeweiligen Entwicklungsstadium für sich genommen, nach verwendbaren Elementen abgesucht und anschließend in bejahender Form verwendet. Das heißt, das wahrlich Besondere am Militär ist der notwendige Gegensatz von Disziplin und Bestialität und sticht daher an seinem inneren Widerspruch hervor, gesammelt zu erscheinen, um ausgerastet wirksam zu sein. Herzenskälte und Blutdürstigkeit sind ja ohnehin verwandt und mögen deshalb als die psychische Grundlage und Vorbedingung einer derartigen Organisation verstanden werden.

Organisch, im Sinne eines allmählich Gewachsenen, existiert das Militär als Kriegerkaste in der Insektenwelt, vorrangig zum Zwecke des Schutzes eines Kollektivs, das es deswegen erhält. In der Menschenwelt existiert es hochkulturell als Soldatenwesen, mit dem Ziel der Durchsetzung und Wahrung von Interessen, die seine Erhaltung insofern kontinuierlich verlangen. Das Militär ist also nicht nur eines! Sein Geschäft ist der organisierte Kampf, der offen ausgetragen wird, bis hin zum Tod des Gegners falls nötig, sprich: die Kunst des Krieges oder die Technik des Mordens. An diesem Punkt knüpft die Weltgeschichte an die Naturgeschichte an, insoweit als Mensch wie Insekt in Staaten lebt, in komplexen Gefügen namens Massengesellschaften, wo eine Art von Militär immer anwesend ist. Da jedoch die menschliche Gattung in ihrer Evolution sämtlich andere Erfordernisse gehabt hat als Kleingruppenwesen mit Individuen, Primärgruppen und der entsprechenden pleistozänen Moral , ist das Militär, im Gegensatz zu kaltblütigen Tierarten, keine natürliche und frühe, sondern eine künstliche und eher späte gesellschaftliche Erscheinung. Hierin erübrigt sich fortan jeder Biologismus. In der Natur zeichnet sich das Militär durch ein hervorstechendes, kräftigeres Aussehen und durch spezialisiertes Mordwerkzeug und Panzerkleid aus. In der Hochkultur hingegen ahmt das Militär gleichsam systemisch die Vorteile, die Beschaffenheit und die Funktion seines tierischen Vorgängers nach, indem es sich ebenfalls der körperlichen Stapazierbarkeit, der Bewaffnung und Panzerung seiner Mitglieder widmet. In beiden Fällen ergeben sich eindeutige Übereinstimmungen.

Im gebräuchlichen Sinne des Wortes ist das Militär zunächst eine Gruppe von Menschen, vereinheitlicht und gedrängt, bewaffnet und Gefahr ausstrahlend, mit stufenweisen Rangordnungen und einseitigen Befehlslinien; sodann eine Gemeinschaft von Kriegern oder Soldaten, deren ursprünglich menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen progressiv verkümmern, weil dieselbe aus arbeitsteiligen Gründen eine betriebliche Struktur erfordert und aufrecht erhält; schließlich ist es auch eine geschichtliche und damit gesellschaftliche Einrichtung, also eine von der Bedeutung des Besitzes, der Macht und der Gewalt niemals völlig freie Institution. Wie bei den Insekten besteht sie nur auf Abruf. Ihren Ausgang nimmt sie mit der Organisierung von Aggression, wahrscheinlich in Anlehnung an alte Rituale der Jagd, sprich, in der abstrakten Ausweitung des Zweikampfes bis zum vorübergehenden Ausbruch der Gewaltherrschaft. Aus der rituellen Kriegsbemalung heraus, die selbst schon die optische Gleichheit der Tiere unbewusst zu wiederholen sucht, hat sich die Uniform herausgebildet, jene zweite Haut, die der Hervorhebung eines bestimmten Status gewidmet ist, geschichtlich zuerst beim Herrscher und in der Folge bei seinen Dienern. Das Militär weist, so gesehen, seinen insektoiden Vorbildern gleich auch dessen funktionale Wesensmerkmale auf: Bildung eines Standes oder einer Kaste, die prinzipiell über Leben und Tod, über Angriff und Schutz entscheiden kann, aber in erster Linie dem Erhalt bestehender Kräfteverhältnisse und Rollen untergeordnet ist.

«Oberste Absicht des Militärs wäre angeblich die Verhinderung von Unruhen und Krieg»

Anders als im Tierreich stellt jedoch das Militär beim Menschen, wie gesagt, keine natürliche Größe dar. Im Gegenteil, es ist, obwohl auch ein Drohobjekt, eine künstliche Masse, zusammengehalten durch Zwang und außerdem durch jene machtbezügliche Bedingungen und Probleme, welche seine Existenz hervorgebracht haben. Deswegen braucht, außer dem tierischen, jedes menschliche Militär Mauern, Zäune, Schlösser, Rampen, Verließe und Wachposten. Dies ist die passive Tendenz zur Erhaltung in der Zeit, wobei die aktive die Ausbildung und Aufrüstung betrifft. Wie dem auch sei, man sagt trotzdem, oberste Absicht des Militärs wäre angeblich die Verhinderung von Unruhen und Krieg. Beteiligt daran ist vordergründig es selbst, seine Opfer mal ausgenommen. Das Militär beunruhigt und bekriegt das, was die Politik Zivilist nennt Menschen. Und das Militär schenkt kein Leben, sondern nimmt es und löscht es aus. Auch im Frieden aber, so viel bleibt unzweifelhaft, ist der Kriegsfall der eigentliche Maßstab seiner Organisation. Als externes Machtinstrument besitzt es ein internes Gegenpaar, die Polizei, die ihrerseits den Ausnahmezustand zur Richtschnur aller organisatorischen Erwartungshaltungen hat. Frei flutende Angst und zur Schau getragene Kraft werden, hier wie da, als beste Voraussetzung für eine stabile Ordnung verstanden. Um rechtliche Missverständnisse zu vermeiden, hält man an der Unterscheidung zwischen Militär, Paramilitär, Miliz und Polizei fest, obwohl phänomenologisch diese Unterschiede sich im Augenblick der persönlichen Bedrohung, dem so genannten Ernstfall, schleunigst aufheben. Was dann noch an Menschlichkeit und Rechtswesen zu spüren ist, sieht man in den Angreiferaugen gar nichts. Das Tier ist los!