Von den zerstörerischen Selbstheilungskräften des MarktesDichter Innenteil

Wirtschaftskrise? Hauptsache, die Geschäfte laufen (2)

Für unsere Serie zur Weltwirtschaftskrise haben wir uns zuletzt mit einem Banker in einem Beisl zu einem Interview getroffen. Nachdem er plötzlich weg war, sind wir mit Arbeitern am Nebentisch ins Gespräch gekommen. Uns hat der von ihnen erwähnte französische Brauch interessiert, der den Abgang unseres Gesprächspartners offensichtlich beschleunigt hatte. Hier ihre Erklärung:Dragan: Sagt, lest ihr keine Zeitungen? Vor drei Jahren hat die französische Regierung schon den Kündigungsschutz abdrehen wollen. Dagegen haben die Leute sich gewehrt, mit Demonstrationen, Besetzungen, Straßen- und Bahnhofsblockaden. Die haben schon gewusst, was auf sie zukommt.

Und jetzt: Seit Monaten die Kündigungswelle, die Manager sagen Umstrukturierung dazu. Und die Arbeiter und Arbeiterinnen? Stehen vor dem Nichts. Keiner weiß, ob er je wieder eine Arbeit finden wird. Und deswegen kämpfen sie jetzt um ordentliche Abfertigungen.

Stellt euch vor: Betriebsversammlung, und der Personalchef erzählt, dass du, und du, und noch ein paar hundert Kollegen gekündigt seid, und schon will er wieder gehen. Da kriegst du einen Hass! Also schnappt ihr euch den Alten, und ab gehts in sein Büro. So, und jetzt soll er bitteschön einen Sozialplan vorlegen, mit dem ihr auch leben könnt. In der Zeitung steht dann Bossnapping. Das klingt nach Entführung, Erpressung.

Für uns ist das der „französische Brauch“, sowas wie Nachsitzen: Wenn er den Vertrag mit gescheiten Abfertigungen unterschrieben hat, kann er gehen, der Chef. Und wenn es Stunden oder Tage dauert: vorher nicht! Das ist bis jetzt ganz gut gelaufen, weil die Polizei weiß auch: Wenn sie sich einmischt, gibts Zores.

Schurli: Die sind schon leiwand, die Hackler in Frankreich. Wenn gar nichts mehr nützt, dann besetzen die auch einmal den Betrieb, der zugedreht werden soll. Eh klar, die kennen sich dort aus, und mit den Sachen, die da gelagert werden, und mit den Maschinen; da kann man alles Mögliche machen. Mächtige Barrikaden aus den großen Drahtrollen zum Beispiel Und wie die in einer Chemiefabrik gedroht haben, die Giftstoffe freizusetzen, die was normal eh nur die Arbeiter einatmen! Das sind schon Argumente, die könnens nicht so leicht überhören.

Dragan: Von den Franzosen kann man was lernen, aber pass auf: In den Kolonien von Frankreich, da gehts noch ganz anders rund. Kennt ihr Guadeloupe? Das ist eine Insel in der Karibik, viel Sonnenschein, aber sonst kannst dir dort nichts leisten, bei 40 Prozent Arbeitslosigkeit. Und die Oberen, die Franzosen, sind ordentliche Rassisten. Na und irgendwann reichts dann. Im Jänner 2009 haben gleich 49 Gewerkschaften zum Streik aufgerufen. Und alle haben mitgemacht.

Eineinhalb Monate war alles zu, Schulen, Tankstellen, Post, die Verwaltung lahmgelegt. Die Leute haben gelernt, ihr Leben selber zu organisieren, zum Beispiel beim kostenlosen Einkaufen: Da geht eine Demo in den Supermarkt, und alle nehmen sich, was sie brauchen. In der Hauptstadt haben 65.000 Leut demonstriert, das wären auf Wien umgelegt eine Million!

Im Februar waren dann die von der Nachbarinsel auch dabei, Martinique, auch eine französische Kolonie. 300 Euro Mindestlohnerhöhung habens durchgesetzt, und auf Guadeloupe habens 200 Euro gekriegt.

Wir sind fasziniert vom Enthusiasmus unserer Gesprächspartner, glauben aber einwerfen zu müssen, dass die Insel der Seligen sich in dieser Krise noch nicht durch massenhaften Widerstand ausgezeichnet hat.

Dragan: Wart ihr nicht in der Lobau? Im Ölhafen will Shell die Schmiermittelproduktion einstampfen, auslagern , weil bei ein paar Milliarden Dollar Konzerngewinn allein im letzten Quartal können sie sich österreichische Löhne scheint’s nicht mehr leisten. Dabei ist das Werk hochprofitabel. Die erste Antwort der Belegschaft auf diese Frechheit war eine 48stündige Betriebsversammlung im Freien, vor dem Werk. Trotz eisiger Kälte. Wenn die KollegInnen erstmal so richtig die Werkszufahrt blockieren, streiken, wirds teuer für den Multi. Angefressen genug sind sie, und solidarische Unterstützung haben sie auch schon erhalten, zum Beispiel von KollegInnen von Semperit, der ÖMV, GM, von StudentInnen.

Schurli: Die Studenten haben gut verstanden, dass sie sich nicht auf ihre Standesvertretung, die ÖH, verlassen dürfen. Sie haben mit den Hörsaalbesetzungen in Eigenregie begonnen, und damit ein europaweites Signal gegeben: Bildung für alle, und zwar umsonst! Und zwar Bildung für uns, nicht für die Interessen der Wirtschaft, der Industriellenvereinigung. Das braucht eine radikale Änderung der Lehrinhalte genauso wie der Methoden von Wissensvermittlung.

Ich geh ja jetzt auch auf die Uni auf meine alten Tage. In die Aula der Bildenden zum Beispiel, dort findet Bildung statt. Ich habe u. a. das Fach Basisdemokratie belegt, die lernst du täglich im Audimax bei den Vollversammlungen, in denen jede und jeder ein Mitspracherecht hat. Dort wird gemeinsam entschieden, wies weitergeht. Kollektiv gekocht wird jetzt auch für alle, und den Preis fürs Menü bestimmst du selbst, je nach Geldbörsel. Das erinnert mich an den neuen Schweizer Brauch.

Die Schweiz, das Land des Arbeitsfriedens aber auch dort wird rationalisiert. Die Werkstätten der Schweizer Bundesbahn in Bellinzona, im Tessin, sollten geschlossen werden; deshalb hat die ganze Belegschaft eine Versammlung gemacht und ein Streikkomitee gewählt. Während die Gewerkschaft noch darüber nachgedacht hat, wie vielen Kündigungen sie zustimmen soll.

Alles ist in dieser ArbeiterInnenversammlung entschieden worden, die wichtigste Forderung Hände weg von den Werkstätten! und die erste Aktion auch: Der Betrieb war besetzt, so schnell haben die Manager gar nicht schauen können. Die Bevölkerung ist hinter den Streikenden gestanden, und das hat sie in großen Demonstrationen auch gezeigt. Und so haben sie ihren Kampf gewonnen, die Werkstätten bleiben zumindest für die nächsten Jahre in Betrieb.

Inzwischen sind wir die letzten Gäste im Beisl. Die Kellnerin Elfi ist unserer Diskussion aufmerksam gefolgt, jetzt kommt sie an den Tisch und mischt sich ein. Sie spricht bedächtig, jedes Wort abwiegend. Offenbar hat sie bereits intensive Überlegungen zu dieser Krise angestellt:

Elfi: Selbstheilungskräfte des Marktes wenn ich das schon höre! Wie und was wird denn da geheilt? Deswegen haben wir ja die Krise, damit die einen Firmen eingehen und die anderen rationalisieren. Das ist ja gerade das Heilmittel, Hokuspokus, Krise gemeistert, der Wirtschaft geht es wieder gut, und für uns wirds erst recht grindig.

Anlagen werden stillgelegt, mit denen wir noch jahrelang gute Sachen herstellen können. Aber nein, da heißts: Die sind nicht mehr rentabel oder sie werden in Billiglohnländer ausgelagert, weil wir ja sooo teuer sind! Zehn Jahre war ich bei Grundig, Fernseher am Fließband löten und jetzt bedien ich hier

Dabei kaufens immer neue Maschinen, mit denen produzieren wir noch schneller noch mehr mit immer kleinerer Belegschaft. Ja, die Kollegen und Kolleginnen in der Forschung und Entwicklung geben halt auch ihr Bestes, alles wird automatisiert, und das frisst viele Arbeitsplätze. Und teuer ist es auch, die ewige Investiererei in moderne Maschinen! Da sinkt die Profitrate.

Aha, jetzt wirds wissenschaftlich. Profitrate?

Elfi: Ganz einfach: Nimm ein Unternehmen, nimm alle Kosten, die im Laufe des Jahres anfallen. Nimm den erwirtschafteten Gewinn und setze ihn ins Verhältnis zu diesen Kosten eine einfache Division: Gewinn durch Kosten. Schon hast du die Profitrate. Und wenn die in einem Unternehmen sinkt, dann ist Feuer am Dach bei den Shareholdern.

Aber die Kosten steigen halt dauernd, was glaubst, was eine einzige Fabrik für Mikrochips kostet? Und die wird ein paar Jährchen genutzt, dann gilt sie als veraltet und muss erneuert werden. Gegen solche Kostensteigerungen helfen nicht einmal mehr Kündigungen als Einsparungsmaßnahmen, die Profitrate sinkt trotzdem. Wie sagt euer Experte? Gesetz des Marktes, und das kriegen irgendwann auch die angeblich erfolgreichen Unternehmen zu spüren. Aber erklär das einmal einem Chef! Der schreit doch bloß: Wir brauchen neue Märkte!

Dabei könnte das Leben so gemütlich sein. Wenn wir die Wirtschaft selbst planen und die Arbeit auf alle verteilen, arbeiten alle viel weniger. Wir würden nicht mehr produzieren, als wir brauchen, und drauf schauen, dass es die kriegen, dies brauchen! Wozu sollten wir die Sachen denn sonst schaffen? Aber auf so nahe liegende Gedanken kommt bei uns kaum wer. Jedenfalls nicht die Gewerkschaft.

Schurli: Die hat sogar noch jeder Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten zugestimmt, von Arbeitszeitverkürzung keine Rede. Außer bei der Kurzarbeit, aber nur weil da die Arbeiter selber aus dem AMS-Topf das bisschen Lohnausgleich zahlen. Dafür ist sie mit dabei, wenn Banken und Unternehmer staatliche Geschenke kriegen.

Weil, wenns gerade nicht von Selbstheilung schwärmen, dann greift der Staat kräftig ein: mit Rettungspaketen, Konjunkturpaketen und wir kriegen dann die Rechnung für die Sparpakete! Wir bleiben über, der geheil(ig)te Markt hinterlässt massenhaft verarmte Arbeiter. Was heißt da Heilung! Wir brauchen argentinische Verhältnisse!

Jetzt wird Schurli von Elfi eingebremst, die freundlich aber bestimmt erklärt: Kollegen, Gäste wie ihr seid mir am liebsten, aber nichtsdestotrotz: Sperrstunde! Wir zahlen und verlassen gemeinsam das Lokal, in dem einige Fragen beantwortet werden konnten. Dafür sind neue aufgetaucht, andere immer noch offen: Argentinische Verhältnisse? Die Rolle von Gewerkschaften bei Arbeitskämpfen? Wir werden weiter berichten.