Das Café Ritter ist Ahmadous zweites ZuhauseHeroes

Die ZeitungskäuferInnen geben mir eine Chance

Er mache immer das Beste aus seiner Situation, lautet der einhellige Tenor, wenn man Ahmadou Sow von Menschen aus seiner näheren Umgebung charakterisieren lässt. Darüber hinaus gilt er beim Augustin als Pionier: Er war der zweite Schwarze, der die Straßengazette Augustin unter die Wiener Bevölkerung brachte, und der erste, der Fußbälle für die Mannschaft der Straßenzeitung ins Tor versenkte.Ich spaziere immer zwischen Café Westend und dem Naschmarkt, so beschreibt Ahmadou Sow seine Arbeit. Wir sitzen im Zentrum seines Betätigungsfeldes im Rahmen der Straßenzeitungskolportage, und zwar im Café Ritter. Über dieses Café ist im Führer Kaffeehäuser in Wien von Christopher Wurmdobler zu lesen: Überhaupt ist das Ritter einsame Spitze, was die Grantigkeit seiner Ober betrifft. Wenn man jedoch regelmäßig als Gast vorbeischaut, tauen sie auf und werden, natürlich auch abhängig vom Trinkgeld, sogar freundlich.

Seit fünf Jahren geht der Kolporteur in dieses Kaffeehaus in der Mariahilfer Straße, um seine gedruckte Ware anzubringen. Als der freundliche Kellner zu uns an den Tisch kommt, gibt mir Ahmadou zu verstehen, dass für ihn kein Konsumzwang bestünde, mehr noch, dass er an diesem Ort seine Getränke nicht bezahlen müsste, denn es ist mein zweites Zuhause in Wien. Weshalb die Kellner dieses Cafés viel für Ahmadou übrig haben, das kann sich der Zeitungsverkäufer nicht erklären. Jedenfalls lässt Ahmadou sie nicht einmal an den Grant denken, obwohl davon auszugehen sei, dass sich ein Zeitungsverkäufer die Sympathien nicht mit Trinkgeldern erkaufen wird können.

Ahmadous erstes Zuhause ist nicht weit vom Arbeitsplatz und Nebenwohnsitz Café Ritter entfernt. Es befindet sich im gleichen Bezirk, doch das urbane Flair rund um seine Wohnung unterscheidet sich beträchtlich vom Einkaufsstraßenflair der Mariahilfer Straße. Die mühsame Wohnungssuche fand erst aufgrund einer taktischen Maßnahme ein vorläufiges Ende. Der Guineer war bei seiner Wohnungssuche, die aufgrund xenophober Reaktionen schlimm verlief, auf weiße Hilfe angewiesen. Ständig hörte ich, keine Ausländer, erzählt Ahmadou und erst durch eine österreichische Freundin konnte die erste Hürde, überhaupt einmal eine Wohnung besichtigen zu können, übersprungen werden. Also vereinbarte die Österreicherin für den Guineer einen Wohnungsbesichtigungstermin, der von Erfolg in Form einer kleinen Privatwohnung am Gürtel gekrönt war. Seine erste Bleibe in Privatmiete ist klassischerweise dem Standard entsprechend völlig überteuert, doch Ahmadou ist trotzdem stolz darauf, nicht mehr auf Betten in Caritaswohnheimen angewiesen zu sein. Diesen Wohnabschnitt hat er hinter sich gelassen, aber nicht die Erinnerung an eine Mitarbeiterin der Caritas, die ihn immer unterstützt habe.

Es fällt auf, dass Ahmadou in unserem Gespräch einige Personen hervorhebt, die ihm unter die Arme gegriffen haben. Der Straßenzeitungsverkäufer weiß diese Hilfe von Menschen aus seiner nächsten Umgebung zu schätzen und betont auch die Rolle der ZeitungskäuferInnen: Sie geben mir eine Chance. Dazu erzählt Ahmadou wie er immer wieder Solidarität erleben könne. Am Naschmarkt habe ihn eine Frau schon öfters aufgefordert, nach Afrika zurückzukehren. Ahmadou erwähnt dies aber nicht, um die Frau zu desavouieren, sondern um die Reaktionen der PassantInnen würdigen zu können: Viele Leute, die das hören, kaufen dann erst recht bei mir Zeitungen. Das gibt mir das Gefühl, nicht alleine zu sein.

Ahmadou ist Verkaufsprofi

Im September 2000 sei er von Guinea aus zu Fuß in den Senegal aufgebrochen. Guinea liegt im Westen Afrikas und hat knapp zehn Millionen EinwohnerInnen auf einer dreimal so großen Fläche wie Österreich. Französisch ist die Amtssprache und der sunnitische Islam ist die vorherrschende Religion. Über 80 Prozent der aktiven Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft.

Über die Gründe, die Ahmadou Sow sein Heimatland verlassen ließen, wollte er nicht sprechen. Nur so viel, die Flucht dauerte ein Jahr, bis er über Italien nach Österreich gelangt sei. Über sein Leben in Guinea gibt er preis, dass er dort zwölf Jahre in die Schule gegangen sei und anschließend in einem großen Kaufhaus als Verkäufer gearbeitet habe: Beim Augustin mache ich jetzt dasselbe, lautet die ironische Bemerkung zu seiner Vergangenheit im Kaufhaus. Ahmadou gibt zu verstehen, dass er ein Talent fürs Verkaufsgeschäft hat. In Wien begann er bei Die Bunte mit dem Straßenzeitungsverkauf und nahm dann bald auch noch den Augustin unter seine Fittiche, wo er der zweite Schwarze unter den VerkäuferInnen war. Das Vertriebsbüro des Augustins vermeldet darüber hinaus auch einen Verkaufsrekord von Ahmadou. Er habe von der ersten CD des Stimmgewitters Augustin mit Abstand die meisten verkauft. Das haben sie zu mir auch gesagt, meint Ahmadou trocken zu seinem ersten Platz in dieser Rangliste, der weniger Ruhm und Anerkennung als Erstaunen einbringt. Ahmadou widerlegte die betriebsinterne Hypothese, dass sich die Tonträger des räudigsten Gesangvereins nur von echten Wiener Strizzis gut verkaufen ließen. Sein Erfolg liegt vermutlich darin, dass er einen Verkäufertypus verkörpert, der das Gegenteil eines schmierigen Gebrauchtwagenverkäufers darstellt. Ahmadou hat einfach eine gewinnende Ausstrahlung. Über die Stimmgewitter-CD meint er, das ist richtige österreichische Musik und er liebe traditionelle Musik. Die Frage, ob er selbst Musiker sei, muss er mit einem leider nicht verneinen und weist darauf hin, dass in Guinea sehr viele Leute Musik machen würden, doch er ginge bloß sehr gerne tanzen.

Mistkübel, Besen und Zug fährt ab

Zurzeit absolviert Ahmadou Sow, seine Muttersprache ist Fola, einen Deutschkurs. Vorher habe ich nur auf der Straße Deutsch gelernt. Entweder mit meinen Arbeitskollegen von der MA 48 oder mit den Kunden beim Augustinverkaufen. Seine ersten Worte bei den 48ern seien Mistkübel, Besen und Zug fährt ab gewesen, erzählt ein in Lachen ausbrechender Ahmadou, doch seine Kritik am politischen Klima in diesem Land lässt nicht lange auf sich warten. Fünf Jahre lang war er Straßenkehrer bei der MA 48. Das war die Arbeit, der er als Asylwerber für 15 Stunden die Woche nachgehen durfte. Nichts hätte er lieber gemacht als einen richtigen Job.

Letzten August brach für ihn dann endlich ein neuer Lebensabschnitt an er erhielt einen positiven Asylbescheid. Im Zuge dessen absolviert er noch bis kommenden April einen Integrationskurs, der ihn zeitlich sehr strapaziert. So muss er das Zeitungsverkaufen reduzieren, denn nach dem tagsüber stattfindenden Kurs heißt es abends Hausübungen machen. Somit fällt wegen des Kurses für ihn auch das Fußballspielen beim SW Augustin zum Opfer. Ahmadou war jener Spieler, der der Truppe der Straßenzeitung zu ihrem Namen Schwarz-Weiß verhalf, d.h. er war der erste Schwarze, der in diesen Reihen ballesterte. Im Jahr 2002 hatte er bei der Qualifikation zur Obdachlosen Weltmeisterschaft auch einen großen Auftritt er war erfolgreichster Torschütze des Turniers. Sein Trainer Uwe Mauch bezeichnet ihn als Klassestürmer, der aber keine Defensivarbeit verrichte, doch das Besondere sei seine Rolle als Vermittler zwischen den Kulturen. Ahmadou hat nicht nur die weiße kickende Phalanx durchbrochen, sondern auch das Wort Kollege zum fixen Bestandteil des Trainingsprogramms gemacht.

Nach Abschluss des Deutschkurses wird sich der Fußballpionier Ahmadou Sow wieder die Fußballschuhe anziehen und für den Schwarz-Weiß Augustin stürmen, doch sein sportlicher Ehrgeiz ist im Vergleich zum beruflichen bescheiden, denn der 28-Jährige wünscht sich nichts sehnlicher, als eine fixe Stelle als Verkäufer zu bekommen oder vielleicht eine Ausbildung zum Krankenpfleger beginnen zu können.