Am liebsten entstresst sich Manager Hartmut Lang beim Klöppelntun & lassen

Der Mann an der Spitze

Hartmut Lang bewahrt den Überblick. Und das ist gar nicht so einfach, betrachtet man den Polster mit den vielen Klöppeln, der vor ihm liegt. Schlag auf Schlag geht es beim Klöppeln – im wahrsten Sinn des Wortes: die Klöppler kennen Halbschlag, Ganzschlag und Leinenschlag, und durch fortgesetztes Drehen und Kreuzen der zahlreichen Fäden, die auf den einzelnen Holzklöppeln aufgewickelt sind, entsteht anhand einer Musterzeichnung und dem Klöppelbrief eine zarte Spitze.Warum beschäftigt sich ein Mann mit einer Handarbeitstechnik, die wie mann denkt, der Welt der Frauen zugehört? „Alles, womit man sich beschäftigt, ist interessant. Als Manager sieht man seine Effektivität eventuell im Jahresbericht bestätigt, aber das unmittelbare Erfolgserlebnis fehlt. Beim Klöppeln ist das Ergebnis sofort sichtbar.“ Wesentlich sei auch das totale Abschalten während des Klöppelns Konzentration ist notwendig, denn Fehler sind nicht korrigierbar. „Im Grunde ist Klöppeln eine Anti-Stress-Therapie.“

Lang, der eigentlich Wissenschafter ist, mehrere Patente hält und seit Jahrzehnten die Entwicklung und Produktion von Gerinnungs-Diagnostika in einem pharmazeutischen Konzern leitet, ist über private Umwege zum Klöppeln gekommen. Und wollte sich letzten Endes nicht nur theoretisch mit dem Thema auseinandersetzen, sondern auch wissen, wovon er spricht. Also fing er vor einigen Jahren zu klöppeln an und beschäftigt sich heute regelmäßig damit. Derzeit fertigt er Musterstücke zu verschiedenen Techniken, um die unterschiedlichen Arten der Spitze verstehen zu können. Für die nähere Zukunft plant er auch eine Fachausbildung eines Klöppellehrers.

Lang bezeichnet sich selbst nicht als geübten Klöppler und weiß, dass man nie ausgelernt hat. Und vorlaute Fragen nach dem Tempo, in dem ein Meter Spitze entsteht, beantwortet er schon gar nicht. Will man aber etwas zur geschichtlichen Entwicklung der Spitzenerzeugung wissen, hat man ihn an der richtigen Stelle erwischt und hört die wundersamsten Geschichten:

Historisch belegt liegen die Wurzeln dieses Kunsthandwerks in der Renaissance in Italien, Zentren befanden sich in Venedig, Genua, Chantilly, Brüssel, Flandern und Erzgebirge. Die Notwendigkeit, dem Stoffrand einen festen, haltbaren und dekorativen Abschluss zu geben, gab vermutlich den Anstoß zur Erfindung der Spitze einem durchbrochenem, luftigen Fadengewebe, das man auf zwei Arten herstellen kann: mit der Nadel oder eben mit Klöppeln.

Bei der Nadeltechnik wird aus einem zarten Gewebe die Spitze Stich um Stich herausgearbeitet, und so wurde seinerzeit die Erfindung der Klöppeltechnik schon als Möglichkeit der preiswerten Fertigung gepriesen. Klöppelspitzen wurden in Heimarbeit gefertigt, die Händler lieferten die Garne und holten später die fertigen Arbeiten wieder ab. Die Frauen (und öfter auch Männer) fertigten dasselbe Muster oft jahrelang und wechselten nur, wenn die Mode Veränderungen brachte. Die Erzeugung von Spitzen gab nicht nur in Notzeiten vielen Menschen Gelegenheit, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, sondern wurde z. B. im Westeuropa des 18. Jahrhunderts nach dem Weben zum zweitgrößten Produktionszweig.

Leisten konnten sich das Tragen von Spitze natürlich nur Adel und Klerus. Männer trugen übrigens Spitze genauso wie Frauen: am Kragen oder in der Schlacht über der Rüstung. Den modischen Höhepunkt hatte die Spitze im Barock und Rokoko. Erzählt Lang: „Bei Gemälden aus der Barockzeit kann ich anhand der abgebildeten Spitze Technik und Muster – die Entstehungszeit auf etwa zehn Jahre genau bestimmen.“

Dem französischen Finanzminister Colbert war der Spitzen-Import aus Italien übrigens zu teuer, daher ließ er italienische Klöppelkundige nach Frankreich holen. Darunter litt allerdings wieder die italienische Produktion, und so gab es für die Ausgewanderten allerhand Repressalien von italienischer Seite, die bis zur Inhaftierung von Familienangehörigen reichten, um die „Abtrünnigen“ wieder zur Heimkehr zu bewegen …

Spitze war seinerzeit so wertvoll, dass sie testamentarisch genauso behandelt wurde wie Gold und Juwelen. Und als beschlossen war, die österreichische Prinzessin Marie-Antoinette mit einem französischen König zu verheiraten, erhielt sie eine spezielle Ausbildung über Spitze. Schon ihre Mutter hatte sich einmal ein Kleid gewünscht, das „zur Gänze aus Spitze aus Gent hergestellt sein sollte“. Die Stadt Gent erfüllte Maria Theresia diesen Wunsch anlässlich des Antritts ihrer Herrschaft in Flandern. An diesem Kleid arbeiteten viele Klöpplerinnen über ein Jahr lang: Noch heute ist in Gent ein Gemälde ausgestellt, das die Kaiserin in ihrem Kleid zeigt von der Technik her Brüsseler Spitze übrigens.

Maria Theresia hatte seinerzeit Klöppelzentren und Schulen eingerichtet, die sich jedoch nicht lange hielten. Auch Joseph II versuchte es wieder, aber auch hier zeigte sich langfristig kein Erfolg. Im slowenischen Idrija besteht die seinerzeit gegründete Schule heute noch. Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Wien der K. K. Zentrale Spitzenkurs und die K. K. Kunststickereischule gegründet, die mit einem fünfjährigen Kursus die Heranbildung kunstgeübter Stickerinnen und Fachlehrerinnen ermöglichte.

Anfang des 19. Jahrhunderts wurden auch die ersten Klöppelmaschinen in der Gegend um Nottingham in England entwickelt. Für das Außer-Landes-bringen einer solchen Maschine drohte damals die Todesstrafe. Anfangs wurden in die Klöppelprogramme bewusst Fehler eingefügt, um Handarbeit vorzutäuschen. Der Effekt blieb allerdings aus, da natürlich auch die Fehler regelmäßig im Rapport auftauchten …

Klöppeln für Anfänger und Fortgeschrittene

Die Österreicher machten auf der Pariser Weltausstellung von sich reden: Hier traten sie erstmals mit eigenen Mustern auf und hatten großen Erfolg. Zur Zeit des Jugendstil beschäftigten sich berühmte Künstler der Wiener Werkstätte wie A. Pechl mit Spitzen-Entwürfen; diese von Österreich ausgehenden Impulse beeinflussen heute noch Designer moderner Spitzen.

Nach den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts versank das Kunsthandwerk der Spitzenerzeugung aber insgesamt, auch durch die mittlerweile hervorragenden Möglichkeiten der maschinellen Herstellung, in die Bedeutungslosigkeit. Die manuelle Fertigung lebt heute nur noch vereinzelt.

Neben dem geschichtlichen Interesse schlägt auch im Organisatorischen bei Hartmut Lang der Wissenschafter durch. Seit September 1998 ist er Medienreferent des Vereins Vereins „Klöppeln und Textile Spitzenkunst in Österreich“ und auch an der Organisation der unterschiedlichsten Veranstaltungen beteiligt. So gab es im vergangenen Mai den 2. Wiener Spitzentag oder verschiedene Schauklöppel-Termine im gesamten Bundesgebiet. Außerdem werden immer wieder nationale und internationale Wettbewerbe im Klöppeln veranstaltet, wo es z. B. um Entwürfe und Ausfertigung von Initialen, Monogrammen, bestimmten Wappen, Schleiern oder Kragen geht. Außerdem bildet der Verein, neben dem Angebot von Regionalkursen, zur Sicherstellung des Niveaus dieses Kunsthandwerks Kursleiter unter Beteiligung von internationalen Referenten aus.

Seit 5. Oktober läuft übrigens in der VHS Meidling ein Kurs im Klöppeln für Anfänger und Fortgeschrittene. Wie wärs mit einem selbst geklöppelten Spitzenkragen auf der Festtagsbluse?

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