Aus den „Beschäftigungsprojekten der organisierten Kriminalität“ in die Gefängniszelletun & lassen

Staat bietet Schmalz statt Jobs

Menschen aus verarmten Länden werden bei uns in die Arme von „Sozial- und Beschäftigungsprojekten der organisierten Kriminalität“ getrieben. Denn der Staat lässt sie nicht regulär arbeiten und an Projekten nach Art des Augustin, die Überlebenschancen außerhalb der Kriminalität bieten, herrscht großer Mangel. Über diese und weitere Ursachen der Überfüllung der österreichischen Gefängnisse und über Alternativen zur Haft (wienerisch: zum Schmalz) sprach Augustin-Sozialexperte Martin Schenk mit Dr. Arno Pilgram, Leiter des Wiener Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie.Voriges Jahr wurde die kriminalpolitische Initiative „Mehr Sicherheit durch weniger Haft“ gegründet. Sie sind Mitbegründer dieses Projekts. Was könnten mögliche Alternativen zur Gefängnisstrafe sein?

Die spontane Bildung dieser Initiative hat zum Hintergrund, dass wir das Gefühl hatten, dass angesichts der explodierenden Häftlingszahlen einfach reflexartig nach Gefängnisneubau gerufen wird. Die bizarrste Idee war der Gefängnisexport nach Rumänien. Den Strafvollzug beobachtend hatten wir außerdem wahrgenommen, dass dort alle sinnvollen Projekte, alle Resozialisierungsbemühungen bedroht scheinen oder tatsächlich in Frage gestellt werden. Z. B. die Projekte der Öffnung und des Freigangs oder Projekte in Richtung Ausbildung wie „Telelernen“. Dazu kommt noch die Personalnotsituation im öffentlichen Dienst. Vor diesem Hintergrund haben wir uns ein Bündel an Gegenmaßnahmen überlegt. Es gibt eine Menge von Strafregelbestimmungen, bei denen man sich fragen kann, ob sie alle notwendig sind. Weiters geht es um Verfahrensbestimmungen, und hier vor allem darum, die Untersuchungshaft zurückzudrängen. Schließlich ist unser Thema, überhaupt Alternativen zum Vollzug der Freiheitsstrafen zu suchen. Zum Teil sind das Ideen, die wir aus dem Ausland übernommen haben. Ein wichtiger Punkt wäre auch, die Entlassungspraxis zu verändern, mehr Gebrauch von der Möglichkeit der bedingten Entlassung zu machen, gesetzliche Voraussetzungen dafür zu verbessern. Der letzte Punkt ist, dass wir Reformen bei der Gerichtsorganisation, beim Qualitätsmanagement der Gerichte vorschlagen.

Welcher dieser Punkte müsste am schnellsten angegangen werden, oder ist es gar nicht vernünftig, so eine Prioritätenliste zu machen?

Was rasch angegangen werden kann, und zwar schon deswegen, weil es ansatzweise im Regierungsprogramm vorkommt, ist der Ausbau der bedingten Entlassung. Die bedingte Entlassung ist immer noch abhängig davon, ob der weitere Strafvollzug „aus generalpräventiven Gründen zu Abschreckungszwecken notwendig ist“. Eine solche Klausel könnte gestrichen werden. Man könnte auch früher bedingt entlassen, man könnte überlegen, nach fünf Sechstel der Strafe auf jeden Fall zu entlassen. Die Entscheidungsstrukturen darüber müssten geändert werden, man sollte das nicht einfach nur einem Richtersenat überlassen, sondern auch Personen, die aus dem Vollzug, aus der Sozialarbeit kommen, stärker in die Entscheidung miteinbeziehen.

Was gäbe es realistisch für ein Potenzial, um eine Erleichterung bei den jetzigen Häftlingszahlen zu erreichen?

Was die Entlassungspraxis der Gerichte bei ein und denselben Gefangenengruppen anbelangt, gibt es auch hier Unterschiede zwischen Ost und West, am härtesten agiert das Landesgericht Krems. Nach einer vorsichtigen Berechnung könnte man ca. 500 freie Haftplätze schaffen. Ganz abgesehen davon, dass überhaupt erst die bedingte Entlassung die Voraussetzung und Möglichkeit für die Anordnung einer intensiveren Nachbetreuung, der Bewährungshilfe, schafft. Man kann diese nun als Zwangsmaßnahme, als eine Art Kontrolle sehen, sie wird aber von vielen Betroffenen geschätzt und genutzt.

Die lange Zeit der Haft macht Menschen kaputt, bzw. verschlimmert sie die Resozialisierung, erscheint es da nicht sinnvoll, Häftlinge schrittweise auf die Zeit danach vorzubereiten?

Die Vorbereitung auf die Entlassung ist grundsätzlich auch bei urteilsmäßig Entlassenen nicht ausgeschlossen, oft ist es sogar berechenbarer, was den Zeitpunkt anbelangt, da Begnadigungen oder bedingte Entlassungen häufig sehr überraschend erfolgen. Natürlich ist die Bewährungshilfe bei bedingter Entlassung eine wesentlich persönlichere und intensivere Betreuung, als es die Haftentlassenenhilfe sonst bieten kann.

Der Augustin als Beispiel einer positiven Konkurrenz zum Drogen-Business

Alles was mit Strafvollzug und Haft passiert, passiert ja nicht im gesellschaftlich luftleeren Raum, sondern ist eingebettet in soziologische und ökonomische Entwicklungen, die zurzeit auch sehr im Umbruch sind. Wenn wir an AsylwerberInnen denken, stellt sich die Frage: Wie können sie zu einem Einkommen kommen, um zu überleben, legal oder illegal.

Es gibt global betrachtet eine Masse von Armuts- und Wirtschaftsflüchtlingen – die aber kaum Möglichkeiten vorfinden, um regulär teilzuhaben am großen Reichtum unserer westlich-nördlichen Gesellschaften. Andererseits gibt es aber gerade in unseren reichen Zonen Gelegenheiten und Angebote, sich irregulär am Reichtum zu beteiligen. Der Drogenhandel ist ein typisches Beispiel: Asylwerber/innen, die ja nicht arbeiten dürfen, sind natürlich prädestiniert dafür, Angebote in diesem Beschäftigungsbereich anzunehmen. Ich nenne das immer die „Sozial- und Beschäftigungsprojekte der organisierten Kriminalität“, welche in vieler Hinsicht konkurrenzlos sind. Und das ist heute unser Problem. Menschen arbeiten dort in undankbaren Situationen, sie würden auch etwas anderes annehmen, wenn man sie ließe.

Gäbe es Möglichkeiten, positive Konkurrenz zu diesen „Sozial- und Beschäftigungsprojekten der organisierten Kriminalität“ zu schaffen?

Gerade der Augustin ist doch ein Stück weit eine positive Konkurrenz, ein reguläres Angebot, eine Möglichkeit, auf würdige Art und Weise zu einem Überlebenseinkommen zu kommen. In der Relation zur großen Anfrage, zum großen Andrang ist es natürlich relativ wenig. Die interessante Frage ist: Gibt es zwischen der kriminellen Beschäftigung und der Beschäftigung mit den höchsten sozialen Standards nicht doch noch Platz für alternative Projekte? Hier geht es um eine sozialpolitische Aufgabe, derer sich jedoch nicht diejenigen annehmen, die Sozialpolitik machen, sondern staatsferne Projekte wie der Augustin. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen lassen leider nicht viel Spielraum für solche Projekte.

Der erste Teil des Gesprächs Aufzeichnung eines Interviews für Radio Augustin erschien in Ausgabe Nr. 157.

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