Blauer Schmied, roter Schmiedl?tun & lassen

Statement der BettelLobbyWien zu Häupls "Wiener Hausordnung"

BettellobbyWien.jpgEine Symbiose von Strache und Boulevard sorgt in diesen Tagen für die Konstruktion immer neuer Skandale, als deren VerursacherInnen aber nicht, wie man meinen sollte, die FinanzkapitaljongleurInnen, sondern deren ärmste Opfer hingestellt werden: die BettlerInnen aus den Ländern Osteuropas. Nun will auch der Chef persönlich, nämlich Bürgermeister Häupl, für Ordnung sorgen. Die BettelLobbyWien, eine vor kurzem gegründete NGO, befürchtet, dass Häupls Aufgreifen der Themen seines Wahlkampfkonkurrenten Strache zu einer Eskalation der ausländerfeindlichen Stimmung in Wien beitragen könnte.

Die Polizei liefere jede gewünschte Statistik, um die Ausweitung der überwachungsstaatlichen Instrumentarien gegen die unerwünschten Armen zu legitimieren, heißt es im Statement der BettelLobbyWien. Im Jänner und Februar habe es in Wien 103 Anzeigen wegen organisierter Bettelei gegeben. Bekanntlich würden Anzeigen aufgehetzter BürgerInnen nichts über die Wirklichkeit aussagen. Aussagekräftig wäre, wenn die Behörde der Öffentlichkeit die Aufdeckung des ersten mafiosen Netzwerks osteuropäischer Bettelei-PendlerInnen dokumentieren könnte. Die Boulevardmedien fragen nicht nach solchen Dokumenten nach, und sie hüten sich, durch Hintergrundberichte z .B. über den Zusammenbruch der rumänischen Volkswirtschaft ein Verständnis für den Überlebenskampf der Opfer zu fördern, der sie unter anderem auf die Geschäftsstraßen und in die U-Bahn-Linien Wiens zwingt, argumentiert Wiens jüngste Sozial-NGO.

Enttäuschend sei das Verhalten von Wiens Bürgermeister. Er unterlasse nicht nur Signale, dass eine von ihm weiterhin regierte Bundeshauptstadt eine Zone der sozialen Solidarität und des Respekts vor Menschenrechten bleibt, sondern leiste einen aktiven Beitrag zur Konstruktion einer Unsicherheitslage, für die angeblich die Vergrößerung der Bettlerzahl verantwortlich ist. Derzeit werde es immer klarer, dass der gewohnte Wiener Kommunal-Haushalt durch die unverantwortlichen und profitorientierten Aktivitäten der Finanzinstitutionen in Unordnung gerät. Doch wo will das Stadtoberhaupt für Ordnung sorgen? Vor allem von Bettlern verlange er die Einhaltung der Wiener Hausordnung. Wir brauchen keinen Spitzelstaat und keine Stadtwache neben der Polizei. Aber wir steigern den Druck …, wird der Bürgermeister von einer Gratiszeitung zitiert als ob auf den Betroffenen, die z. B. in ihren rumänischen Heimatsiedlungen keine Perspektive mehr für sich sehen, nicht schon ein kaum überbietbarer Druck lasten würde. Die BettelLobbyWien staune angesichts des Beinahe-Bankrotts osteuropäischer Staaten über Aussagen Häupls wie Niemand hat es notwendig (sic!) zu betteln.

Die als wahlkampfvorbereitendes Gerangel mit Strache um die Vorherrschaft im Sicherheits“-Diskurs zu deutende Initiative des SPÖ-Spitzenkandidaten Häupl erfolge im Moment des Aufkommens einer breiten antiziganistischen Strömung in Europa. Die BettelLobbyWien stellt fest: Viele der osteuropäischen BettlerInnen in Wien gehören der Minderheit der Roma an. In Ungarn und Tschechien marschieren paramiltärische Gruppen durch Roma-Siedlungen, immer wieder kommt es zu Morden. Auch deshalb zieht es viele Roma nach Wien, wo sie nur durch Betteln überleben können. Wir erwarten von einer verantwortungsbewussten Wiener Stadtregierung, ähnlichen Progromstimmungen in Wien jede Basis zu entziehen, und nicht, Öl ins Feuer jener Politik zu gießen, die die Roma sichtlich zeitgerecht, am Vorabend der größten Krise des Kapitalismus, einmal mehr zum Sündenbock stilisieren soll.

Einstellung der Bettler-Durchsage?

Lobend dagegen äußerte sich die BettelLobbyWien zur nicht nur von ihr, sondern auch von vielen verärgerten Fahrgästen erwarteten (einstweiligen?) Einstellung der Lautsprecherdurchsagen der Wiener Linien. Wir sind froh, dass die Wiener Linien nun ihre soziale Verantwortung dahingehend wahrnehmen, dass sie jetzt keine diskriminierenden und Vorurteile schürenden Ansagen mehr tätigen. Die Menschen, die durch die verheerende wirtschaftliche Lage in ihren Herkunftsländern keine anderen Möglichkeiten haben, als sich und ihren Familien durch Betteln das Überleben zu sichern, brauchen Solidarität und Unterstützung von uns allen, heißt es in einem Brief an das Verkehrsunternehmen.

Sozialamt kürzt Bettler die Sozialhilfe

Ein aktueller Fall aus Deutschland zeigt, was dem Staat im Kampf gegen die Armen

so alles einfällt. Der Fall bietet einen Vorgeschmack auf die Verschärfung der Verordnungen gegen sozialen Missbrauch auch in Österreich es sei denn, Österreichs Politiker änderten ihre Gepflogenheit, dem deutschen Rhythmus des Sozialabbaus nachzutraben. Es geht um die Anordnung der Stadt Göttingen, einem Mann wegen Bettelns die Sozialhilfe zu kürzen. Ein Mitarbeiter des Sozialamts in Göttingen hatte beobachtet, wie ein Mann beim Betteln 7,40 Euro eingenommen hatte. Daraufhin rechnete die Behörde das Einkommen aus Almosen auf 120 Euro im Monat hoch und teilte dem Betroffenen in einem Schreiben mit, dass seine Sozialhilfe um diesen Betrag gekürzt werde.

Selbst ein Sprecher des niedersächsischen Sozialministeriums meinte, die Maßnahme des Sozialamts sei völlig überzogen. Manfred Grönig vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Göttingen kritisierte, dass das Sozialamt dem Mann unterstelle, dass er durch Betteln ein regelmäßiges Einkommen habe. So weit unten waren wir noch nie, sagte Grönig. Ein Sprecher der Stadt Göttingen gab inzwischen zu, dass es nicht der einzige Bettler war, dem die Stadt die Sozialhilfe gekürzt habe. Wenn wir von Zusatzeinkünften erfahren, müssen wir das Gesetz anwenden, sagte er. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass die Sozialhilfekürzung auf 50 Euro verringert wurde. Auch das ist womöglich rechtswidrig, da Empfänger der Leistung laut Gesetz bis zu 50 Euro im Monat als so genannte Zuwendungen Dritter geschenkt bekommen dürfen.