Das Ende vom Lied?tun & lassen

Die Wiener Stadtmusikanten. Eine Phantasie über die Straßenkunst

Stra__enmusik.jpgUnlängst äußerte Frau Doktor Stenzel, Bezirksvorsteherin von Wien 1, in einem Interview, sie könne sich durchaus vorstellen, dass eine Fachjury eine Auswahl potenzieller Straßenmusiker bei einem Vorspiel oder Vorsingen treffen könne. Eine doppelte Hommage an die ausgerechnet im Stadtzentrum einer angeblichen Musikmetropole schikanierten StraßenkünstlerInnen.

Haben Sie es schon einmal erlebt, geneigte Leserin, geneigter Leser? Flanierend an den Häuserzeilen, den alten, verschnörkelten, den schönen neuen Fassaden der Wiener Innenstadt vorüberzuziehen, ohne auch nur im Geringsten pressiert zu sein, ohne ein gewisses Ziel vor Augen, allein aus Lust am Wandeln, an der Stadt und ihren Menschen? Aus Freude an ihrer bunten Vielheit, den schillernden Karussellfiguren, nicht nur zu finden, wenn sich einmal im Jahr alles um den Kirtag beim alten Steffl dreht? An einem Nachmittage, wie wir sie vielleicht gerade jetzt verzeichnen, mit verwundert großen Kindesaugen sich durch die Straßen, die Gässchen treiben zu lassen, da einen Brunnen rauschen zu hören, dann wieder sich vom Flieder locken zu lassen in die letzten Verwinkelungen?

Wie wunderlich, mit einem Mal von fern ätherisch gehauchte Klänge zu vernehmen, wie man sie vielleicht nie zuvor gehört hat; spitzt man die Ohren, geht den Klängen nach, wird man alsbald erkennen, dass sie in ihrer Abfolge als Töne sinnvoll aufeinander bezogen sind: Musik! Und wenn man noch genauer hinhörte, könnte man sogar feststellen, dass es sich um einen Ungarischen Tanz des Wahlwieners Brahms handelte. Genauer gesagt um eine filigrane Bearbeitung des Stückes für Glasspiel. Besorgt hat sie Peter aus der Slowakei, Autodidakt, der nicht einmal Noten lesen kann und dessen offensichtliche musikalische Begabung, ebenso wie die makellose Virtuosität seines Spiels, nur so ins Staunen versetzt. Auch sein Instrument hat er sich selbst zusammengebastelt und muss es stets aufs Neue, durch Hinzufügen und Wegnehmen von Wasser in die Weingläser, was schon eine Attraktion für sich darstellt, stimmen.

Ebenfalls seltsam mag es erscheinen, wenn das Granitsteinpflaster der Kärtner Straße kurzerhand zum Konzertsaal umfunktioniert wird, indem eine Pianistin Beethovens Waldsteinsonate oder den Liebestraum Liszts zum Besten gibt. Oder man denke es sich vor der Szenerie hypertropher Grabenlüster zur festlichen Zeit der Weihnachtsbeleuchtung: Einmal habe ich sie dort bei einsetzendem Schneefall spielen sehen. Freilich ist man von Tonträgern und Konzertdarbietungen zuweilen andere künstlerische Qualität gewohnt (allerdings auch nicht immer). Doch wer wollte beginnen, angesichts des wunderbaren Geschenkes, solche Musik auch einmal in ganz ungewohntem Ambiente hören zu können, herumzumäkeln? Auch: Versuchen Sie doch einmal selbst die Probe aufs Exempel bei fünf Grad Celsius die Pathétique zu spielen, ob es Ihnen besser gelänge.

Oft zittern die Finger auf den Tasten

Denken wir auch an Gestalten, die uns anrühren, als wären sie geradewegs aus Träumen der Kindheitstage oder den alten Märchenbüchern entstiegen; die alte Saxophon spielende, Lose für die Blindenlotterie verkaufende Dame. Lange Jahrzehnte trat sie gemeinsam mit ihrem Mann als Artistin der Akrobatik in einem berühmten Zirkus auf und fuhr durch ganz Europa: Bei jedem Satz, den sie schelmisch blinzelnd, aufgeschlossen herzlich äußert, scheint ihr ganzes Wesen zu betonen, dass sie eine Dame von Welt, der großen Welt sei. Man glaubt es ihr auf Anhieb. Wir haben lange nichts von ihr vernommen, möge sie wohlauf sein. Und wäre da etwa nicht auch der Ziehharmonikaspieler, der schon so alt ist, dass er sein Instrument schwer in Händen halten kann, die Finger auf den Tasten zittern? Oft kommt er wieder, nie bleibt jemand stehen, kaum je gibt ihm wer was. Immer einen wehen Grinser ins Gesicht geklebt, es scheint ihm Freude zu bereiten. An den Leiermann aus der Winterreise mag er erinnern, das Kunstschöne abgezogen. Einmal hat er einem jüngeren, zufällig vorbeigehenden Musiker sein Instrument überreicht und ihn, nicht ohne das Gespräch in fachkundige Anleitung zu betten, an seiner statt spielen lassen.

Wie vieler andrer gälte es, wofür hier kein Platz ist, sich zu erinnern, die einem die Trostlosigkeit des Stadtlebens in seiner Hektik und Leistungsorientiertheit ein wenig versüßen, innere Ruhepunkte in dem maschinellen Getriebe bezeichnen, dem hier Beheimateten oder auch Heimatlosen fast schon so etwas wie eine akustische Landkarte bedeuten. Zwar weiß man vielleicht den Namen dieser Stelle oder jenes Platzes nicht einmal: doch könnte man sie ohne Weiteres benennen als Stammplatz des singenden Gitarristen oder des Werkelmannes mit dem imposanten, beinah Furcht erregenden Schnurrbart. Bedenken Sie also, geneigter Leser, geneigte Leserin, dies mit Wundern übersäte Straßenpflaster in Ihrer eigenen Stadt.

Vorsingen vor einer Zensoren-Jury?

Die unbedarften Kinderträume aber will man uns jetzt, als in allen Lebenslagen und dingen Auf- und Abgeklärten, gehörig austreiben. Obacht: Was jetzt folgt, ist knallharte Realität. Manch ein Anrainer in der City fühlt sich durch die diversen Aktionen von Straßenkunst in seiner Lebensqualität eingeschränkt, sodass auf eine Neuerung mit andern Worten: auf eine Verschärfung der Straßenkunstverordnung von 1998 unter der Schirmherrschaft Frau Dr. Ursula Stenzels gedrängt wird. Auslöser der Streitigkeiten dürften wohl die Performances der Breakdancer auf dem Stephansplatz sein, denen es durch ihre artistischen Leistungen, ebenso wie dem famosen Diabolero gegenüber, gelingt, einen großen Kreis Interessierter um sich zu scharen. Letztere werden überdies zu Beifallsbekundungen ermuntert, was einigen Bewohnern rund um den Stephansplatz insgesamt als unzumutbarer Lärmpegel erscheint.

Um nur einige der zum Teil haarsträubend zu lesenden, von Frau Dr. Stenzel angedachten Neuerungen anzuführen: Alle sollen in einen Topf geworfen werden, Maler und Musiker, der Pantomime und der Zettelpoet, das lebendige Standbild und der Wellensittich mit seinem Magier. D. h. von nun an soll jedermann einer Platzkarte bedürfen, um sich produzieren zu können (bis dato war dies zweifelhafte Privileg den Musikern vorbehalten). Weiters sollen alle nur mehr eine Stunde pro Tag dafür zur Verfügung haben (gut genug also zum Verhungern, stellt doch für die meisten Straßenkunst die einzige Einnahmequelle dar). Dann, im Originalton des Antrags: Für akustische Darbietungen vorgesehene Örtlichkeiten dürfen nur im Zweitagesrhythmus bespielt werden. (Fragt sich, was eine bespülte, pardon, nicht so dialektal bitteschön, bespielte Örtlichkeit sein soll.) Sowie: Auf [!] bestimmten Örtlichkeiten sollen nur Darbietungen stattfinden dürfen, die keine akustischen Darbietungen inkludieren in Folge genannte, nach Ansinnen der Neuerer möglichst bald stillgelegte Örtlichkeiten wären freilich zugleich die publikumswirksamsten.

Weiters sollten nur mehr wiederum ein Seitenblick auf das B-Boying am Stephansplatz spezielle Tonbandgeräte bis zu einer bestimmten Lautstärke verwendet werden dürfen, die von der zuständigen Stelle auszuborgen wären. Zuletzt gehen die Bestrebungen dahin, Platzkarten zentral bei einer amtlichen Stelle im 1. Bezirk auszugeben.

Unlängst äußerte Frau Doktor Stenzel in einem Interview der Zeitung Die Presse (09. 02. 2008) gegenüber auch, sie könne sich durchaus vorstellen, eine Auswahl potenzieller Straßenmusiker bei einem Vorspiel oder Vorsingen vor einer Fachjury zu treffen. Ja, man könnte sogar selbiges als entzückendes Festivalevent gestalten. Vielleicht als kleinformatiges Pendant zu DSDS, also etwas in der Art WSDStr.? Nicht genug also, dass sich die armen Musici viele von ihnen einschlägige Fachausbildung vorweisend überwinden müssen, auf der Straße zu spielen. Sie werden vielleicht noch an einem Wettbewerb teilnehmen, um das tun zu dürfen. Absurdes Theater lässt schön grüßen.

Der Verein für Straßenkunst

Vor einiger Zeit wurde angesichts der Lage die explizit unpolitische Plattform Verein für Straßenkunst ins Leben gerufen, die sich zum Ziel setzt, gegen die geplanten Maßnahmen vorzugehen. Es ist z. B. bemerkenswert, dass in der so genannten Kommission für Straßenkunst kein einziger Straßenkünstler zu finden ist, was eigentlich einer Kommission gegen Straßenkunst gleichkommt, so Christoph Appel, Maler, Graphiker und Sprecher des Vereins, Urheber der augenzwinkernd netten, farbenfrohen Bilder zum Pflücken.

Aktuell ist man darum bemüht, eine Unterschriftenliste gegen den Antrag der von Frau Dr. Stenzel angeführten Riege auf die Beine zu stellen. Man habe schon eine beachtliche Anzahl an Signaturen zusammentragen können, so Christoph Appel stolz (eine Unterschriftenliste zum Downloaden sowie die Homepage der Plattform finden sich unter http://www.strassenkunst.gnx.at/). Appel im O-Ton: Die Geschichte mit den Punschstandln mag ja auch so manchem absurd vorgekommen sein. Was kaum einer für möglich gehalten hat, ist schließlich passiert. Und, wer weiß, vielleicht sehen wir, liebe Leserin, lieber Leser, einander alle bald wieder bei einer Großveranstaltung von WSDS? Vielleicht aber greifen auch noch im modernen Leben und für Abgeklärte zuweilen Märchen um sich. Und vielleicht gelingt es den Wiener Stadtmusikanten am Ende der Geschichte ja doch, profitorientierten Ökonomisten musikalische Paroli zu bieten.