Das kleine Dolce Vita des Alltagstun & lassen

Kriterien der Gesellschaftsqualität: «Gutes Leben» oder hohes Bruttoinlandsprodukt?

Sumaq Kawsay so lautet in den Anden die indigene Bezeichnung für ein Konzept, das auch im Westen immer mehr Anhänger gewinnt: das Konzept des «Guten Lebens». Werner Hörtner ist Lateinamerika-Experte und arbeitet für das Magazin «Südwind» und er erklärt im Augustin-Interview, was es mit diesem Konzept auf sich hat.Was ist denn das Konzept des «Guten Lebens»?

Dieses «Gute Leben», das jetzt wieder in vieler Munde ist, ist ein altes, indigenes Konzept aus den Anden. Bewahrt hat es sich vor allem in Bolivien, das ja der Staat mit dem größten Anteil an indigener Bevölkerung in Lateinamerika ist. Auch in Ecuador ist dieses Konzept ziemlich stark vorhanden. Das «Gute Leben» bedeutet für diese Gemeinschaften allerdings überhaupt nicht ein gutes Leben, so wie man sich das bei uns vorstellt, also: materiell gut leben, finanziell gut abgesichert, etwa in der Art des Dolce Vita im extremen Fall. Sondern das «Gute Leben» bedeutet dort ein Leben, das dem Kollektiv schon auch einen materiellen, aber vor allem einen geistigen Wohlstand bringt. Eine Situation des Sich-wohl-Befindens, und das wiederum wird herbeigeführt durch eine starke Komponente des sozialen Zusammenhalts, der Solidarität, des Sich-gegenseitig-Unterstützens und Helfens.

Die Länder, in denen dieses Konzept für das es auch ein indigenes Wort gibt gelebt wird, sind stark indigen geprägt. Was ist zu diesem Begriff und zum indigenen Hintergrund zu sagen?

Ja, dieses Sumaq Kawsay, wie es in der alten Quechua-Sprache der Indigenen der Anden-Region heißt, bedeutet eben «Gutes Leben». Neu ist nun, dass in den Verfassungen der Länder Ecuador und Bolivien diese Weltsicht, in Verfassungsrang gehoben wurde – und das heißt auch, dass es staatlich gefördert wird. Es gibt in beiden Ländern Programme, um sich auf dieses «Gute Leben» wieder zurückzubesinnen. Dieses Sumaq Kawsay bedeutet aber auch keine Ausbeutung der Natur, einen respektvollen Umgang mit der Natur keinen Raubbau. Zum Beispiel bei der Wasserentnahme für industrielle Zwecke: In Ecuador ist es ein Anspruch, dass das Wasser anschließend gereinigt werden soll. Es ist ein umfassendes Konzept, harmonisch mit der Natur zu leben.

Beim Konzept «Gutes Leben» geht es auch um einen anderen Umgang mit Ressourcen. Wie ist denn dies im Zusammenhang mit der Wirtschaft zu sehen? Welche ökonomischen Rahmenbedingungen braucht denn dieses Konzept?

Das ist ein ziemliches Dilemma. Auf der einen Seite ist das Konzept in den Verfassungen von Bolivien und Ecuador festgeschrieben. Auf der anderen Seite wollen die Regierungen in den beiden Ländern ein höchstes Maß an Wohlstand für alle erreichen, etwa mittels kostenloser Gesundheitsversorgung, Schulbildung, Sozialversicherung und anderes mehr, wofür ein Staat viel Geld benötigt. Und dieses Geld soll teilweise eben über die Nutznießung von Ressourcen im Bergbau etwa durch das Lithium, das in Bolivien nun gefördert wird geschaffen werden. Was aber immer wieder in Widerspruch zur Vision der Respektierung der Natur steht, zur Bewahrung der Natur. Genau in diesem Bereich sind Konflikte eigentlich schon vorprogrammiert, besonders stark in Ecuador, wo doch eine Regierung an der Macht ist, die sich ziemlich stark dem wirtschaftlichen Wachstum verschrieben hat.


Buthan: Bruttonationalglück

Im Südwind-Heft vom Februar 2011 gab es einen Beitrag zum Kontext Feminismus und «Gutes Leben». Was ist denn dazu zu sagen?

Diesen Beitrag hat eine ecuadorianische Feministin und Ökonomin geschrieben, die den Feminismus in dieses Konzept des «Guten Lebens» integriert, durchaus mit linken Vorzeichen. Sie baut eben eine Brücke von feministischen und linken Traditionen hin zum «Guten Leben».

In Asien gibt es das Land Buthan, das einen ähnlichen Weg geht wie Ecuador und Bolivien. Dort gibt es das so genannte «Bruttonationalglück», was ist denn das?

Einer der Unterschiede der Entwicklung in Buthan besteht darin, dass es in dem kleinen Himalaya-Königreich ein von oben verfügtes Konzept gibt. Eigentlich war das schon in der Kultur enthalten, aber publik gemacht und umgesetzt wird es aufgrund einer Initiative des damaligen Königs vor etwa dreißig Jahren. Buthan war damals und ist auch heute noch laut den vorherrschenden Indikatoren eines der ärmsten Länder der Welt. Dieser König hat in den 1970er-Jahren begonnen, auch andere Indikatoren zur Messung des Wohlbefindens der Bevölkerung einzuführen. Bis sich dann das Konzept des Bruttonationalglücks entwickelt hat, das besagt, dass für das Wohlbefinden auch nichtmaterielle, geistige, spirituelle Werte sehr wichtig sind. Auch die Zufriedenheit des Menschen, sein psychisches Wohlbefinden, sein Einverstanden-Sein mit sich selbst natürlich zählen auch Faktoren wie Gesundheit, Bildung, aber im Wesentlichen sind es immaterielle Indikatoren, die zur Bemessung des Glücks verwendet werden. Es wurden an die siebzig Indikatoren definiert, und da gehen wirklich wie bei uns bei einer Volksbefragung die Leute herum und fragen die Menschen nach ihrem Wohlbefinden ab.

Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt

Was könnte denn eine Conclusio für Österreich oder andere so genannte westliche Industrieländer sein. Die OECD hat auch schon überlegt, Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt zu entwickeln und hat begonnen, diese zu diskutieren. Wie könnte denn bei uns ein Konzept wie «Gutes Leben» integriert werden?

Eine Schlussfolgerung müsste unbedingt sein, dass bei der Messung des Wohlbefindens einer Bevölkerung sukzessive nicht-wirtschaftliche Indikatoren zur Messung herangezogen werden. Die Diskussion darüber ist ja im Westen schon sehr weit fortgeschritten. Im Rahmen der OECD gibt es einen Prozess, den Palermo-Prozess, wo sich vor etwa eineinhalb Jahren in Südkorea an die 2000 Fachleute aus der ganzen Welt getroffen haben, um neue Indikatoren zu entwickeln. Sarkozy hat in Frankreich eine Expertengruppe mit einigen Nobelpreisträgern eingesetzt. Es wird immer stärker ein Thema, und das müsste eigentlich dazu führen, dass diese Werte wie gesellschaftlicher Zusammenhalt, Solidarität in etwas münden, was der Buchautor Christian Felber vor kurzem als Gemeinwohlökonomie bezeichnet hat. Eine Ökonomie, bei der das soziale Wohlbefinden der Bevölkerung im Mittelpunkt steht und nicht die Wirtschaft in der heutigen Form: eine Wirtschaft der Konkurrenz und des Wettstreits.

Richard Wilkinson und Kate Pickett schreiben im Buch «Gleichheit ist Glück», dass Gesellschaften dann glücklicher sind, wenn Einkommen gerechter verteilt werden. Wäre das auch ein Parameter, der unbedingt in den westlichen Gesellschaften geändert werden müsste?

Zunächst finde ich, dass dieses Buch unbedingt von allen unseren PolitikerInnen gelesen werden müsste, die dann vielleicht einsehen würden, dass bezüglich der Armut auch bei uns eine völlig andere Politik eingeschlagen werden müsste. Interessanterweise kommen die AutorInnen Wilkinson und Pickett aufgrund von zahlreichen Studien zu dem Schluss der ja auch im Mittelpunkt der Weltsicht der indigenen Völker steht , dass Gleichheit, Zusammenhalt und Solidarität ganz wichtige Werte sind, um ein «Gutes Leben» in einem zufriedenen Kollektiv zu führen.



Im Herbst 2010 hat in Gmunden eine PhilosophInnen-Tagung stattgefunden, bei der es einen Vortrag zum Thema «Wirtschaftskrise als Moralbarometer» gab. Wirtschaft und Moral wie passt denn das zusammen?

So eine umfassende Frage ist natürlich nicht einfach zu beantworten: Die Wirtschaft, wie sie heute praktiziert wird, ist per se eine amoralische Wirtschaft, da sie moralische Werte ausschließt, wenn sie erfolgreich sein will. Ein «richtig erfolgreicher» Manager kann sich nicht um das Wohlbefinden seiner MitarbeiterInnen kümmern, und er kann sich nicht darum kümmern, dass die Zulieferbetriebe ihren ArbeiterInnen gute Löhne zahlen.

Das heißt, das kann eigentlich nur eine solidarische Ökonomie sein, die bei indigenen Konzepten wie dem «Guten Leben» Anleihen nimmt?

Ja, genau, eine solidarische Ökonomie, die streckenweise dem Konzept der Gemeinwohlökonomie sehr ähnlich ist, bei dem eben der Mensch im Mittelpunkt steht. Das sind ja keine neuen Konzepte, sie sind nur im Zuge der Industrialisierung und durch das Aufkommen des Wettbewerbs verschüttet worden.