Das unsanfte Ende einer Illusiontun & lassen

Oberwart, Teil I: zwanzig Jahre nach dem Attentat

Zum zwanzigsten Mal jährt sich am 4. Februar der Tag, an dem in Oberwart eine gezielte Rohrbombe vier Männern das Leben nahm. «Das Ende der Illusion» nennt der Historiker Gerhard Baumgartner diesen Moment. Wir haben uns in Oberwart umgehört, was seither geschah – und einiges über Redelisten auf Gedenkfeiern, über nachzuholende Geschichtsschreibung und den Gemütszustand einer Siedlung erfahren.

Foto: Carolina Frank (im Bild Manuela Horvath)

Stefan Horvath sagt es poetisch: «Die Siedlung ist ein Raumschiff in einer eigenen Umlaufbahn um die Stadt. Erst der Attentäter hat dieses Raumschiff angehalten.» Dreimal wurde «die Siedlung», eine Reihe von Häusern, in denen die Oberwarter Roma – zumindest teilweise – leben, von den Behörden umgeparkt. Zuerst war sie in der Mühlgasse am westlichen Rand der Stadt; als die wenigen Überlebenden aus den KZs der Nazis zurückkehrten, konnten sie nicht mehr in ihre Häuser – sie wurden am Südrand von Oberwart stationiert. Dort kam Stefan Horvath zur Welt. Als dann aber die Stadt einen Krankenhausbau beschloss, siedelte sie die Bewohner_innen der Siedlung kurzerhand noch einmal um. Heute fährt man am riesigen Krankenhaus vorbei, um, weiterhin am äußersten Rand von Oberwart, zu einer kleinen Ansammlung von Häusern zu gelangen. Man passiert die Gedenkstätte für vier Söhne dieser Stadt, hinter der Siedlung beginnt der Wald. Eigentlich eine Traumlage, blendet man die Geschichte aus.

Das G’spür des Präsidenten

«Ein paar Monate vor dem Attentat ist meine Tante gestorben», erzählt Manuela Horvath. «Das war ein kleines Begräbnis. Insofern habe ich nicht verstanden, wieso zu der Beerdigung der vier Männer im Februar der Bundeskanzler kommt und der Bundespräsident und so ein riesiger Menschenauflauf und wieso am Flachdach der Kirche vermummte Polizisten sitzen.» Manuela Horvath, die heute an Bildungsstudien mitarbeitet und für eine Ausstellung im Wien Museum einen Beitrag zum Attentat konzipiert hat, war 1995 ein Kind. «Es war wichtig, dass Menschen mit öffentlichem Ansehen am Begräbnis teilgenommen haben: weil es ein Zeichen dafür war, dass wir als Volksgruppe ein Bestandteil von Österreich sind.» Einen «Megazirkus» nennt hingegen Emilia Horvath (Name v. d. Red. geändert), was mit der Gedenkfeier zum heurigen zwanzigsten Jahrestag auf Oberwart und die Siedlung zukommt. Sie gehört zur gleichen Generation der «Siedlungskinder»; als sie achtzehn war, zog sie nach Wien. «Was interessiert die das jetzt, nur weil es zwanzig Jahre her ist? All die anderen Jahre hat es ja auch niemanden gekümmert.»

Monika Scheweck ist mit der Koordination der Gedenkfeier beschäftigt. Sie arbeitet vor Ort in der Roma-Pastoral und der Jugendarbeit. In den 1990er Jahren hat sie den «Jugendtreff» mitorganisiert, in dem Jugendliche wie Manuela oder Emilia ihre Freizeit verbrachten. Mit der staatlichen Repräsentation bei Beerdigung und Gedenkfeiern kann sie prinzipiell was anfangen, «aber dass der Bundespräsident in der ersten Reihe sitzt und die Angehörigen in der zweiten – das zeugt von fehlendem G’spür.»

Dieses «G’spür» scheint bis heute ein bisschen Nachhilfe zu brauchen. Wenn die Redeordnung für die Gedenkveranstaltung festgelegt wird, muss Monika Scheweck mehrmals intervenieren, bis sie die Wünsche der Betroffenen gegen die Gepflogenheiten des ersten Manns im Staat zumindest teilweise durchsetzen kann.

Rassismus aus dem Radio

Am 4. Februar 1995 wurden in Oberwart vier Männer ermordet: Josef Simon, Peter Sarközi, Karl und Erwin Horvath. Der Jüngste war gerade achtzehn Jahre alt. Todesursache: Rassismus. (Bis Franz Fuchs als Attentäter verhaftet würde, sollte es noch zweieinhalb Jahre dauern.)

«Als ich mich auf den Weg in die Romasiedlung gemacht habe, berichteten Medien bereits von einer «Zigeunerfehde». Ohne Ermittlungen wussten sie alle schon, was passiert ist», erzählt Charly Gärtner-Horvath. «Da hab ich den Rassismus tatsächlich aus dem Radio herausgespürt.» Charly Gärtner-Horvath leitet den Verein «Roma Service». Wir treffen ihn im Büro der Oberwarter Roma-Pastoral, er hat eine beeindruckende Auswahl an Vereinspublikationen mitgebracht: ein groß angelegtes Zeitzeug_innenprojekt, Geschichten des Zusammenlebens im Burgenland, die Zeitschrift «d|Rom|a». 1995 war Gärtner-Horvath Anfang dreißig. Die Anerkennung der Burgenlandroma als Volksgruppe war nicht einmal zwei, der erste Roma-Verein in Oberwart knappe sechs Jahre alt.

Das Verhältnis zur Presse ist bis heute mehr als gespalten. In den Tagen nach dem Attentat hatten sich Vertreter_innen der lokalen bis zur internationalen Presse dermaßen danebenbenommen, hatten in ihrer Gier nach Bildern aus einer echten marginalisierten Romasiedlung mitten im wohlhabenden Österreich (wer von ihnen hätte gedacht, dass es so etwas überhaupt gibt!) die Persönlichkeitsrechte der Bewohner_innen massiv verletzt. Hat sich jemals jemand entschuldigt? Nein. Wenn es möglich ist, stellvertretend für Berufskolleg_innen, von denen man wünscht, sie wären keine, um Verzeihung zu bitten, dann soll das hiermit geschehen.

«Ein echter Schock» sei das Attentat gewesen, sagt Gerhard Baumgartner, der wissenschaftliche Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes, den mit Oberwart viel politische Geschichte verbindet. Denn es war – nimmt man den Totschlag an Ernst Kirchweger aus – der erste politische Mord in der Zweiten Republik. «Das ist das Ende der Illusion. Österreich, diese Insel der Seligen, dachte, so etwas kann bei uns ja gar nicht passieren.»

Die Augen eines ganzen Landes schauten plötzlich auf Oberwart. Und was sie da sahen, waren nicht die vom – damals noch unter den Lebenden wandelnden – FPÖ-Abgeordneten Haider bemühten «autoverschiebenden, mit Drogen handelnden» Roma, sondern eine junge Volksgruppe, gerade offiziell als solche anerkannt, mit Vereinsstrukturen, Initiativen, Ideen und Hoffnungen. Aber auch mit alltäglichem Rassismus konfrontiert, beschäftigt mit Kämpfen um den Zugang zu Bildungssektor und Arbeitsmarkt, an den Rand burgenländischer Ortschaften gedrängt, als würden sie nur irrtümlich dazugehören. Ein Gewaltakt wurde begangen, und dann hat man gemeinsam einen Schritt vorwärts gemacht, meint Charly Gärtner-Horvath.

Die Legende vom Zlatan Ibrahimovi?

Stefan Horvath sagt, er gebe eigentlich gar keine Interviews mehr. Die Ausnahme, die er für den Augustin macht, macht uns beinahe verlegen.

Sein Sohn war eines der Mordopfer vom 4. Februar 1995. Im Gespräch tasten wir uns langsam vorwärts: von den Eltern, die unter den wenigen burgenländischen Rom_nija waren, die die Konzentrationslager der Nazis überlebten; über das Aufwachsen «im Verborgenen» und Kinder, die mit rassistischem Automatismus in Sonderschulen gesteckt wurden; bis zum Attentat. Direkt dort in Anblick seines ermordeten Kindes habe Stefan Horvath kapiert, dass all das eine gemeinsame Erzählung sein muss. Er möchte, dass die Roma ihre eigene Geschichte in ihrem großen Zusammenhang verstehen. Er hat, wie er sagt, «Visionen» für die Siedlung, aus der die Jungen wegziehen und deren Zukunft ungewiss ist. «Sind Sie guter Dinge?», frage ich. «Wie soll ich in meinem Alter guter Dinge sein?» Stefan Horvath ist nicht alt, aber doch der Älteste in der Siedlung mit ihrer ambivalenten Geschichte: Niemand hat sich gewünscht, in abgeschottete Siedlungen gedrängt zu werden; aber jetzt wünscht sich niemand, dass das Ende der Siedlung naht.

«Als ich jünger war, dachte ich, ich zieh einfach weg. Aber mittlerweile glaube ich nicht, dass ich das schaffen kann.» Und er erzählt dazu folgendes Gleichnis aus den Ebenen des Ballsports: «Kennen Sie den Zlatan Ibrahimovi?? Einer der weltbesten Stürmer. Er ist in Malmö in einem Ghetto aufgewachsen, spielt jetzt bei Paris und verdient irrsinnig viel Geld. Im Urlaub kehrt er immer wieder in dieses Ghetto zurück. Nun hat man nicht immer den Eindruck, dass der Ibrahimovi? der Vifeste ist – aber auf die Frage, warum er das macht, sagt er: Man kann den Zlatan immer wieder aus dem Ghetto holen, aber das Ghetto nicht aus ihm. Hat er Recht?», und Stefan Horvath nimmt einen Schluck von seiner Melange, um dann zu bestätigen: «Sehr wohl.»

Im Augustin Nr. 384 (ab 18. Februar erhältlich) berichten wir in einem zweiten Teil der Reportage von 22 Jahren Anerkennung als Volksgruppe, dem Unterwarter Romaball und den widerstreitenden Perspektiven junger Romnija aus Oberwart.

Ausstellung: Romane Thana, Orte der Roma. Wienmuseum Karlsplatz, Eröffnung: 11. 2., 18.30 Uhr

Publikation: Das Attentat von Oberwart, Terror, Schock und Wendepunkt. Edition lex liszt 12, 21 Euro