Die Habenichtse verlieren als Klientel städtischer Politik an Bedeutungtun & lassen

Kein Recht auf die Stadt?

Vor ungefähr einem Jahr wurde der Milleniums-Tower in Wien eröffnet. Der 48-Stockwerk hohe Büroturm mit Einkaufszentrum ragt nun inmitten einer eher traditionellen, vorwiegend von ArbeiterInnen und MigrantInnen bewohnten Gegend im 20. Wiener Gemeindebezirk aus dem Boden. Ist diese Konstellation sinnbildlich für Wiens zukünftige Stadtentwicklung? Einerseits durch etliche Sicherheitsvorkehrungen hermetisch abgeriegelte Büros und Luxuspenthouses hoch über Wien, andererseits schlechte Bausubstanz und Wohnqualität rund um den naheliegenden Allerheiligenplatz. Die Zitadelle und das Ghetto?Von so krassen Gegensätzen, wie sie in der internationalen Stadtforschung vor allem für US-Großstädte wie etwa Los Angeles beschrieben werden, ist Wien weit entfernt.

Dennoch, nicht nur der Milleniums-Tower, auch die Errichtung der Donau-City auf der sog. „Platte“ im 22. Bezirk sowie die Bebauung des Nordbahnhofs in Wien Leopoldstadt, aber auch die Revitalisierung des Gürtels im Rahmen der EU-URBAN-Projekte und ähnliches deuten auf eine Wende in der Wiener Stadtentwicklungspolitik hin. Während in den 60er und 70er Jahren noch eine stark sozialistisch geprägte Stadtpolitik zum Tragen kam, die versuchte, soziale Ungleichgewichte in der Stadtentwicklung zu vermeiden, haben sich die Prämissen in den letzten Dekaden verändert. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein: Internationalisierung der Wirtschaft, EU-Beitritt, Ostöffnung, Aufstieg neoliberaler Strömungen, Rechtsruck. Sie alle trugen ein wenig dazu bei, daß sich Wiener StadtpolitikerInnen zunehmend von sozialreformerischen Ansätzen verabschiedeten und sich spätestens mit der Bildung der Koalitionsregierung zwischen SPÖ und ÖVP seit den letzten Gemeinderatswahlen einem „unternehmerischen Metropolendiskurs“ zuwandten, der Wien im internationalen Rahmen möglichst wettbewerbsfähig positionieren und internationale Unternehmen und Investoren anziehen sollte.

Unternehmen Stadt

Diese Strategie verfolgte zunächst am sichtbarsten die Wiener ÖVP, die vor einigen Jahren mit Plakaten antrat, auf denen der Vizebürgermeister Görg sich mit dem Slogan „Unternehmen Wien“ abbilden ließ und nahelegte, die Stadt in Hinkunft besser „managen“ zu können als seine roten Amtskollegen. Doch auch diese verschrieben sich recht schnell einer zunehmend liberalen Redeweise. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl etwa schreibt im Buch „Zukunft Stadt“: „Wir sollten heute die Überlegungen anstellen, ob es in der Tat notwendig ist, das Leben der Menschen weitreichend regulativ zu gestalten. Ich persönlich halte das für unsinnig, und ich hoffe, politisch genügend Zeit zu haben, auch entsprechend deregulieren zu können“.

Es bleibt nicht nur bei der Rhetorik, zu ihr gesellen sich auch konkrete Umsetzungsschritte. Auffallend ist, dass sich Wien dabei an den Stadtentwicklungsprozessen in anderen europäischen Zentren orientiert. Anstatt auf Wiens Besonderheiten zu pochen, wie zum Beispiel die international anerkannten Ideen des „Roten Wiens“ zu forcieren, wird nun fleißig nachgeahmt, was anderswo bereits vorgemacht wurde. Eine der Strategien, die in ganz Europa verfolgt werden, um Städte neu zu positionieren, sind die sogenannten Großprojekte: in den Londoner Docklands, am Potsdamer Platz sowie im Bezirk Mitte in Berlin, aber eben auch auf der Donau-City-Platte in Wien entstanden in den letzten Jahren diese Megaprojekte, die vor allem internationalen und unternehmerischen Interessen dienen sollten. Für sie sollten die Städte attraktiver werden. Neben den großen Vorzeigeprojekten bestand eine zweite Strategie darin, die Innenstädte zu Dienstleistungszentren mit entsprechend attraktivem Angebot (Einkaufsstraßen, Revitalisierung innenstadtnaher Wohngegenden, Ausbau des Hochkultur-Angebotes, usw.) umzugestalten.

Diese Form der Stadtentwicklung hat eine Kehrseite, nämlich „Verdrängung, zuviel Verkehr und Umweltverschmutzung sowie häufig der Verlust traditioneller öffentlicher kultureller/infrastruktureller Angebote. Während die Innenstädte herausgeputzt werden, werden andere Stadtteile zu bevorzugten Standorten für unattraktive Funktionen, wieder andere werden dem Verfall preisgegeben“, meint dazu die Berliner Stadtforscherin Prof. Margit Mayer, die diese Prozesse in Berlin beobachtet hat.

Umkämpfte Räume

Die Zurichtung von Städten auf die Interessen von Managern ist zudem ein Beispiel schleichender Entdemokratisierung städtischer Politik, dann damit werden andere Interessen ausgegrenzt: die Bedürfnisse der Menschen „vor Ort“ werden den transnationalen Eliten untergeordnet. Gleichzeitig kommt es zu einer Zunahme der Repression gegenüber all jenen „Subjekten“, die nicht in die neue Glanzwelt aus Bürokomplexen und Einkaufsmeilen passen, oder die das neugefundene kosmopolitane Image einer Stadt nachteilig beeinflussen könnten. Denn um das Beispiel Frankfurt heranzuziehen „um einen stressfreien Aufenthalt in der City zu gewährleisten, soll durch eine geplante Gefahrenabwehrverordnung eine Belästigung der BürgerInnen durch rauschbedingtes Verhalten und aggressives Betteln mit Hilfe von Platzverboten vermieden werden“ (aus dem Buch: Umkämpfte Räume, siehe unten). Bettlerverordnungen in zahlreichen Städten, das Wegweiserecht gegenüber Obdachlosen, rigides Vorgehen gegen die Hausbesetzerszene sowie die steigende Zuhilfenahme privater Sicherheitsdienste lassen sich derzeit in fast allen größeren Städten Europas feststellen.

Anstatt soziale Probleme wie Obdachlosigkeit und Armut zu lösen, werden die davon betroffenen Personen verdrängt oder gar kriminalisiert. Das Recht auf die Stadt wird nur mehr jenen gewährt, die aufgrund ökonomischer und sozialer Privilegien über die entsprechenden wirtschaftlichen und kulturellen Potentiale verfügen.

In Wien läßt sich diese Entwicklung ansatzweise bei der Errichtung der Donau-City beobachten: Dieser „Ort ist als Dienstleistungszentrum gedacht, das die Head Quarters internationaler Dienstleistungsunternehmen anziehen soll; Hochkultur soll die Ansprüche einer entsprechenden ‚globalen Managerklasse‘ befriedigen (geplant war das Guggenheim-Museum); ein Technologiezentrum mit einem ‚virtual reality centre‘ sowie ein sog. ‚Experimentarium‘ soll den Status der Stadt als Wissens- Technologiestandort unterstreichen, schließlich wird dem Stadtteil und der Stadt durch entsprechende Architektur (Hollein, Peichl, Holzbauer) auch im geförderten Wohnungsbau das Image einer modernen und zukunftsorientierten Stadt verpaßt“, faßt der Wiener Stadtforscher Alex Hamedinger zusammen. Und im gleichen Atemzug erwähnt er auch die Kehrseiten einer diesbezüglichen Entwicklung: „Daß damit soziale Exklusionsprozesse (wie etwa die ‚Aufwertung‘ der davor liegenden Copa Kagrana und die Verdrängung ihrer ‚proletarischen Kultur‘ oder die Exklusion der Kaisermühlener, die ihren Stadtteil eher als dörflich denn als ‚globalisiert‘ empfinden induziert werden, stellt für die Planer nicht wirklich einen Störfaktor dar.“

Verdrängung und Ausgrenzung

Die Verdrängungs- und Ausgrenzungsprozesse gehen nicht immer reibungslos vonstatten. In vielen europäischen Städten läßt sich daher die Zunahme von Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen feststellen. Dieser Ausbau des Sicherheitsapparates kommt dabei auch der Bewältigung eines weiteren Problems zugute, das in den letzten Jahren die Stadtpolitik prägte: der Abbau des lokalen Wohlfahrtsstaates. „Die jeweiligen städtischen Parteien haben eigene Interessen, am Sicherheitsdiskurs mitzustricken und die Vertreibungspraktiken umzusetzen oder zu ermöglichen. Gleichzeitig mit dem Abbau der städtischen (sozial)Leistungen, haben sie das Terrain der Sicherheitspolitik auserkoren, sich zu profilieren und Handlungsfähigkeit nachzuweisen. Kostengünstig und populistischer verwertbar läßt sich hier symbolische Politik betreiben. Mit den Ausweisungen aus innerstädtischen Räumen sollen Phänomene einer zunehmenden Deklassierung unsichtbar gemacht werden: Ordnungspolitik ersetzt Sozialpolitik“ (aus dem Flugblatt der Innenstadt AG).

Mehr als in Innenstädten werden jedoch in sog. Problemzonen in den Vorstädten zunehmend repressivere Methoden von der Stadtpolitik angewandt, um diese Gebiete zu „befrieden“. Beispiele dafür gibt es vor allem in Frankreich, wo immer wieder Konflikte zwischen Migranten-Jugendlichen in den Vorstädten und den örtlichen Polizeieinheiten eskalieren. Jugendliche sind dort etlichen Schikanen ausgesetzt, wie demütigende Ausweis- und Körperkontrollen, fremdenfeindliche Provokationen, usw. Manchmal endeten diese Auseinandersetzungen auch schon im Tod von Jugendlichen.

Von einer Lösung der sozialen und ökonomischen Probleme in den verarmten Vorstädten ist man meilenweit entfernt. Viel eher ist zu befürchten, daß die derzeitigen Restrukturierungsprozesse in den meisten westeuropäischen Städten krisenhafte Erscheinungen eher zuspitzen denn abbauen werden.

Es bleibt festzuhalten, daß in Wien diese Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in anderen Städten. Doch die soziopolitischen Veränderungen in Wien haben zu einem gesellschaftlichen Klima geführt, das bestimmten Interessensgruppen (Unternehmer, internationale Investoren, urbane Eliten) verstärkt Gehör verschafft, während gleichzeitig andere Bevölkerungsschichten (Arbeiter, Migranten, Obdachlose) als Klientel städtischer Politik an Bedeutung verlieren.

Eine alternative und soziale Stadtpolitik für Wien müßte daher gerade für diese, durch den neuen Entwicklungsprozeß benachteiligte sozialen Gruppen Partei ergreifen und sozialer und ökonomischer Polarisierung entgegenarbeiten.


Die Autorin ist Projektassistentin an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Buchtip:

StadtRat (Hg.): Umkämpfte Räume, Verlag Libertäre Assoziation, Berlin 1998

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