Die Kälte des Bürgermeisterstun & lassen

Gemeinderatsdebatte zur 'Schuldenfalle Wiener Linien'

Was bringt das Neue Jahr? Verstärkte Anstrengungen des AUGUSTIN, um denen das Leben schwerer zu machen, die das Leben der Ärmsten schwerer machen. Einer unserer Schwerpunkte: Es sollte doch gelingen (mithilfe unserer LeserInnen und lieber Verbündeter), die Bestrafungs- und Verschuldungs-Maschinerie zu stoppen, in dessen Räder Tag für Tag die Öffi-benutzenden Obdachlosen geraten. Hiemit starten wir eine Unterschriftenaktion: Freie Fahrt für Obdachlose und Sozialhilfebezieher auf den Wiener Linien!In den beiden vorangegangenen Ausgaben haben wir die doppelte Absurdität der Situation zu vermitteln versucht: Während Pensionisten und sog. Dauerleistungsempfänger (7692 Schilling im Monat) Anspruch auf stark ermäßigte Monatskarten haben, müssen die Sozialhilfeempfänger (4945 Schilling) – und das sind die meisten Obdachlosen – den vollen Straßenbahntarif zahlen. Weil sie das selbstverständlich nicht können, werden sie bestraft und bestraft und bestraft… Solange die Betroffenen obdachlos sind, sind diese Strafen – in Einzelfällen übersteigt die Summe den 100.000-Schilling-Pegel – uneinbringlich, aber je höher sie sind, desto geringer die Chance auf eine Reintegration. Die Lust, einen regulären Job anzunehmen und eine reguläre Adresse zu beziehen, schrumpft sehr, wenn als erster Gast der Exekutor erwartet wird. Also: Die Bestrafungsmaschinerie kostet unnötige Verwaltungskosten und wirkt sozialpolitisch kontraproduktiv.

Am 17. Dezember war die „Schuldenfalle Wiener Linien“ Thema einer Gemeinderatsdebatte. Unter Berufung auf die Berichterstattung des AUGUSTIN stellte Gemeinderätin Susanne Jerusalem den Antrag nach einer „Weihnachtsamnestie für obdachlose Schwarzfahrer“: Der Gemeinderat möge beschließen, alle Schulden von Obdachlosen bei den Wiener Linien zu tilgen. In einem weiteren Antrag forderte Jerusalem Fahrpreisermäßigung für SozialhilfeempfängerInnen, „zumindet in derselben Höhe wie DauerleistungsempfängerInnen“.

Die Anträge wurden von der Mehrheit im Gemeinderat kalt abserviert; nur die Liberalen unterstützten die grüne Initiative. Rund 20 Obdachlose auf der Zuschauergalerie waren Zeugen, als Bürgermeister Häupl lustlos eine von Beamten des rathäuslichen Sozialressorts vorbereitete Rede vorlas. Der Inhalt, kurz zusammengefaßt: Wien sei europaweit vorbildlich im Kampf gegen Obdachlosigkeit, die Zahl der Obdachlosen sei zurückgegangen, nur noch zwischen 800 und 1000 Menschen seien akut obdachlos. Obdachlose Schwarzfahrer zu entschulden, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, behauptete Häupl: Man könne nicht akzeptieren, daß eine Gruppe schwarzfahren dürfe, die andere nicht.

Im Gegenteil, konterte Jerusalem: Der Gleichheitsgrundsatz werde von der Gemeinde verletzt – indem sie sozial Schwachen Fahrpreisermäßigung gewähre, sozial noch Schwächere aber voll und unermäßigt zur Kassa bitte.

Einen skurrilen Verteidiger des „Gleichheitsgrundsatzes“ schickte die Stix-Fraktion (FP-Abspaltung) ans Rednerpult: Es könne nicht angehen, daß sich einzelne Obdachlose durch Zeitungsverkauf „ungerechtfertigt bereichern“, sagte Gemeinderat Klopf.

Die kalte Reaktion der Gemeinderatsmehrheit auf die Anträge der Grünen bewahrt uns immerhin vor verzerrter Wahrnehmung der Realität. Realität ist: Noch ist die Lobby der sozial Ausgegrenzten zu schwach. Doch sie wird stärker. Und zwar mit jedem Abschnitt, der ausgefüllt zu uns geschickt wird.

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