Die Köchin und der Sozialarbeitertun & lassen

Was in der Türkei passiert, lässt die Austrokurd_innen nicht kalt

2015 wurde der Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und den Kurden auf Eis gelegt, woraufhin der Kurdenkonflikt wieder eskalierte. Türkische Sondereinheiten greifen kurdische Städte an und ermorden Zivilist_innen. Viele Auslandskurd_innen wollen in dieser Situation gerne auf ihren Bergen und in ihren Städten sein, aber auch in Wien gibt es Aufgaben für sie. Hülya Tektas (Text und Foto) berichtet über Aktivitäten des Vereins Feykom und über den Mut des Austrokurden Ali Gedik.Energisch erklärt der 54-jährige Sozialarbeiter Ali Gedik den interessierten Passant_innen die aktuelle Situation der Kurden in der Türkei, während seine Frau Sevim Gedik Flugblätter verteilt. «Genug ist genug» steht auf einem riesigen Papier. «Genug ist genug» ist auch Gediks «Motto», der spontan eine dreitägige Hungerstreikaktion startete, um auf die menschenunwürdigen Militäroperationen der Türkei in den kurdischen Städten aufmerksam zu machen, bei denen vor allem Zivilist_innen, darunter auch viele Kinder, ums Leben kommen. Sein Appell richtet sich an die österreichischen Politiker_innen. «Wie können Sie es verantworten, dass die Kurden für vogelfrei erklärt werden?» Diese Frage stellte er Anfang Jänner, als er seine Hungerstreikaktion ankündigte, an Fischer, Faymann und Kurz. Eine berechtigte Frage, die der Sozialarbeiter mit kurdischen Wurzeln in Bezug auf den 3-Milliarden-EU-Deal stellt.

Solidarität erfuhr Ali Gedik während seiner dreitägigen Aktion von vielen Menschen. In den Tagen vom 3. bis 6. Jänner verwandelte sich die Opernpassage zum Quasi-Wohnzimmer einer kurdischen Familie. Freund_innen, Bekannte, viele neugierige und interessierte Passant_innen besuchten den Aktivisten Gedik, unterhielten sich mit ihm und diskutierten über die Kurdenpolitik der Türkei sowie über die Türkeipolitik der EU. Auch Danksagungen und Lob für seinen Mut erreichten Gedik über soziale Medien, dessen Aktion insgesamt auf großes mediales Interesse stieß.

2012 wurde in der Türkei ein Friedensprozess zwischen dem verhafteten Kurdenführer Abdullah Öcalan und dem türkischen Staat initiiert; dies weckte die Hoffnung, dass der seit über 30 Jahren andauernde Kurdenkonflikt endlich friedlich gelöst würde. Das Ergebnis der Nationalratswahlen im Juni 2015 brachte für die prokurdische Partei HDP den Einzug ins türkische Parlament, was die absolute Mehrheit und die 12-jährige Alleinregierung von Erdoğans Partei, der AKP, beendete, die nun auf einen Koalitionspartner angewiesen war. Die Koalitionsgespräche wurden jedoch schon bald als gescheitert erklärt, woraufhin ein Datum für Neuwahlen festgesetzt wurde. Gleichzeitig wurden die Friedensgespräche mit Öcalan auf Eis gelegt. Mit der Begründung, Terroristen bekämpfen zu wollen, begann die Türkei mit den Militäroperationen in kurdischen Städten, in denen inzwischen die Autonomie ausgerufen wurde. Kurdische Städte wurden infolge der Militäroperationen von der Außenwelt abgeschnitten, Ausgangssperren wurden verhängt und viele Zivilist_innen durch die Angriffe getötet. Obwohl die AKP bei den Neuwahlen die absolute Mehrheit zurückgewann, dauern die Militäroperationen bis jetzt an. Fotos und Videos der vom türkischen Militär abgeriegelten Städte und Bezirke, die an die Lage in Syrien erinnern, erreichen über soziale Medien die Auslandskurd_innen und lösen unter Millionen von ihnen Trauer, Angst, Zorn und Widerstand aus.

Am 5. Jänner versammelten sich etwa zwölf Personen mit Flaggen in kurdischen Farben und Transparenten mit Fotos des verhafteten PKK-Vorsitzenden Öcalan vor dem ORF-Zentrum am Küniglberg. «Wir wollen uns für die aufmerksame Berichterstattung bedanken», sagt die Türkin Hatice Eraslan. Die Köchin ist Vorstandsmitglied von Feykom (Rat der kurdischen Gesellschaft in Österreich) und unterstützt ihre «kurdischen Geschwister» bei den Protesten. An diesem verschneiten Wintervormittag übergibt sie der Auslandsredaktion des ORF eine Mappe mit den aktuellsten Informationen über die Situation in den kurdischen Gebieten der Türkei und äußert den «Wunsch nach weiteren objektiven Berichten», bevor sie und ihre Genoss_innen den Küniglberg verlassen.

 

Proteste auch in Wien

 

Seit über einem Monat organisieren Feykom-Mitglieder diverse Proteste, Demonstrationen und Veranstaltungen, um die österreichische Gesellschaft an die aktuelle Lage der Kurd_innen in der Türkei zu erinnern. Einmal ist es ein Flashmob am Stephansplatz, ein anderes Mal eine Demo vor der türkischen Botschaft, dann wieder ein Vortrag im Vereinslokal. Zuletzt kamen am 9. Jänner etwa 300 Personen für eine Demonstration in Wien zusammen. Am selben Abend wurde bekannt, dass zwölf kurdische Jugendliche von den türkischen Sondereinheiten getötet wurden. Nachrichten dieser Art beeinflussen das Leben der meisten Exilkurd_innen in Österreich.

In seinem an Kurz gerichteten Brief äußert der Sozialarbeiter Gedik als EU-Bürger seine Verwunderung darüber, «wie die EU in der türkischen Regierung einen verlässlichen Partner in Bezug auf die Flüchtlingsfrage sehen kann, obwohl das Verbrechen der türkischen Regierung zu einer weiteren Flucht führt» und fragt, «ob der mit Steuerbeiträgen finanzierte Türkei-Deal der EU dafür verwendet wird, um die Kurden zu massakrieren». «Wir werden so lange demonstrieren, solange die Angriffe gegen die Kurden weitergeführt werden, betont auch Hatice Eraslan von Feykom und kündigt weitere Protestaktionen an.