Die Wiener Internetaktivistin Sabine Scheibel korrespondiert mit US-Häftlingentun & lassen

Meine Freunde vom Todestrakt

Noch wissen wir nicht, wer der neue Präsident der Vereinigten Staaten ist. Von einer bestimmten Warte aus betrachtet ist das auch ziemlich wurscht. Sowohl George Bush als auch Al Gore befürworten die Todesstrafe, weil sie eine abschreckende Wirkung habe. Während der letzten Fernsehdebatte zwischen beiden versuchte freilich der republikanische Bewerber den Eindruck zu zerstreuen, er sei stolz auf die wöchentlichen Hinrichtungen in Texas. Als Gouverneur müsse er allerdings harte Entscheidungen treffen. Wenig Hoffnung also für die Brieffreunde der Sabine Scheibel. Die junge Wienerin korrespondiert mit Betroffenen aus dem Todestrakt und will – als Internetaktivistin – ihren bescheidenen Beitrag im Kampf um die Ächtung der Todesstrafe leisten.

„Ich bin durch Zufall auf die Homepage einer Frau aus Deutschland gekommen, die sich für die Todessträflinge einsetzt. Die bringt auch eine Zeitung zum Thema Todesstrafe heraus, die ich mir bestellte. Ich fand darin Inserate von Todessträflingen, die Brieffreunde suchen. Ich habe mir zwei ausgesucht. Einen jungen Weißen, einen sehr jungen Schwarzen. Der Weiße hat mir inzwischen viele Dokumente geschickt, die mich dazu bringen, seine Schuld zumindest zu bezweifeln. Ein Polizist habe den Tatzeitpunkt um vier Stunden vorverlegt, um das Alibi des Beschuldigten zu zerstören“, erzählt Sabine Scheibel, als sie den AUGUSTIN besucht.

Mittlerweile habe sie eine Reihe weiterer Brieffreunde. „Ich bin nicht so blauäugig, zu behaupten, die Beschuldigungen gegen sie stimmen alle nicht. Es leugnen auch nicht alle ab, die Tat, derer man sie bezichtigt, begangen zu haben. Sie wollen nur darauf aufmerksam machen, dass sie sich in den Jahren der Haft geändert haben, dass sie nicht mehr dieselben Menschen sind. Ich kennen einen, der im Todestrakt Künstler wurde. Er sagt heute: Es stimme einfach nicht, dass er ein einer ähnlichen Situation wieder morde, wie der Psychiater gutachtete.

Die Insassen, mit denen ich Kontakte habe, suchen über mich einen Weg in die Öffentlichkeit. Einer etwa schreibt sehr viel über das Problem, schwarz und arm zu sein.“

Das Recht, zu kommunizieren, wird vom US-Strafvollzug nicht eingeschränkt. Die Betroffenen kriegen Post von Menschenrechtsorganisationen und sie können alles schreiben, an wen auch immer. Zum Beispiel ihre Meinung über Bush. Es geht nur einiges an Post verloren. „Bei einer Briefpartnerschaft nummerieren wir die Briefe fortlaufend und kommen drauf, dass so jeder fünfte Brief verloren geht. Doch offiziell gibt’s keine Zensur“, sagt Sabine.

Die Häftlinge bitten auch um Geld, um zehn, zwanzig Dollar für sie aufs Gefängniskonto, damit sie sich was besseres zum Essen kaufen können, einen Radioapparat oder einen Ventilator, der ist in Texas lebenswichtig.

Die beruhigende Wirkung der Sagen aus der Wienerstadt

Was sind die Themen der brieflichen Kommunikation? Zunächst der Fall selber – sofern der Anwalt nichts dagegen hat, dieses Thema auszubreiten. Dann der Alltag im Gefängnis. Einer von Sabines Brieffreunden mag Wiener Sagen sehr. „Zum Beispiel die Geschichte, warum der zweite Turm des Stephansdomes nicht fertig gebaut wurde, die Geschichte des Teufelspakts. Und er liebt Fotos aus Wien. Wir schreiben auch viel von seinem kommenden Besuch in Wien – seinen Traum. An manchen Tagen weiß ich, dass er kommen wird; an anderen Tagen weiß ich: Das ist unmöglich.“

Briefkontakte mit der Außenwelt beleben die Hoffnungen. Sabine: „Da gab es einen im Todestrakt, der hat innerlich aufgegeben. Seine Zellennachbarn bekamen Briefe, während er isoliert war. Inzwischen korrespondiert er mit drei Personen – und hat wieder das Gefühl: Ich könnte es schaffen. Nicht allein zu sein, ist das wichtigste Motiv, eine Briefpartnerschaft zu suchen. Das weite Motiv ist, Unterstützung in ihrer Causa zu finden. Ich persönlich kann sie unterstützen, indem ich den Betroffenen via Internet größere Aufmerksamkeit verschaffe.“

Im AUGUSTIN schaltete Sabine Scheibel eine Anzeige, dass sie Ansichtskarten für einen ihrer Brieffreunde brauche. Von sechs, sieben Leuten sind ihr daraufhin insgesamt an die hundert Ansichtskarten geschickt worden. Danke, AUGUSTIN-LeserInnen.

„Ich denke, es ist so, dass die Häftlinge leichter Briefpartner, vor allem Briefpartnerinnen, aus Europa und Australien bekommen als aus dem eigenen Land. In den USA ist das Problembewusstsein noch immer nicht groß genug. Immer noch befürwortet eine Mehrheit die Todesstrafe“, weiß die Menschenrechtsaktivistin aus Wien.

Sind die, die Briefkontakt suchen, eher Hoffende oder eher Resignierende? „Jeder hofft, bis zum letzten Knopfdruck. Und es gibt Grund, zu hoffen. Der Todestrakt ist nicht unbedingt mit den schlimmsten aller Täter gefüllt. Sondern mit jenen Tätern, die die schlimmsten Anwälte haben. Bis zu einem Drittel der Todesurteile wird revidiert, also sind Hoffnungen realistisch. Und es gibt Aufschübe noch und nöcher. Kaum wer wird beim ersten Hinrichtungstermin hingerichtet.“

Terrell Unit – Willkommen in der Hölle

Am meisten weiß Sabine Scheibel über den „modernen“, erst 1993 fertiggestellten Todestrakt „Terrell Unit“ im texanischen Livingston Bescheid. Wie aus den Briefen der Todessträflinge hervorgeht, leiden diese vor allem unter folgenden Haftbedingungen:

Es gibt keinen menschlichen Kontakt. Auch nicht zu anderen Gefangenen. Es gibt keine TV-Geräte. Die „Erholungszeit“ verbringt man komplett alleine. Jedesmal, wenn man die Zelle verlässt, wird der Körper durchsucht. Gerne werden Häftlinge in der Dusche „vergessen“. Man steht dann eine halbe Stunde in der kleinen Duschkammer und brüllt sich die Seele aus dem Leib, bis ein Wärter dazu bereit ist, einen in die Zelle zurückzubringen. Die medizinische Behandlung ist skandalös. Einem Gefangenen zerstörte man den Kahlkopf, als man versuchte, eine Sonde in seinen Magen zu führen. Der Mann, der gerne sang, kann heute nur noch flüstern. Die Hepatitis C-Kranken bekommen nicht die Behandlung, die nötig wäre, weil das Gefängnis auf dem Standpunkt ist, für Todgeweihte könne man nicht mehr viel Geld ausgeben.

Ob die Beschuldigungen gegen die Todestraktkandidaten von „Terrell Unit“ stimmen oder nicht: Nach der UN-Charta, nach den Erklärungen der UN-Menschenrechtskommission, selbst nach amerikanischen „human rights“ ist die Todesstrafe geächtet, unmenschlich und staatsunwürdig. Und schon gar nicht darf jemand zum Tode verurteilt werden, wenn er zur Tatzeit noch keine 18 Jahre alt war. Sabine Scheibel und ihre MitstreiterInnen haben aber noch jede Menge Arbeit vor sich, um ein öffentliches Klima zu schaffen, in dem der Gedanke von der Legitimität staatlichen Mordens nicht mehr gedacht werden kann.

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