Ein Pflegenetz, das trägttun & lassen

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«Ein guter Tag beginnt mit einem gerechten Budget. Budgetkonsolidierung und Zukunftsinvestitionen sind kein Widerspruch, sondern gemeinsame Notwendigkeit und Gebot der Stunde. Es ist höchste Zeit, Überfluss zu besteuern und in die Zukunft zu investieren. Fangen wir gleich bei der Pflege an», so könnte die Rede eines klugen Finanzministers beginnen.

Wenn Pflegedienstleistungen nicht leistbar oder nicht vorhanden sind, trifft das Personen mit geringem Einkommen doppelt. Zum einen weil sie die benötigten Betreuungsleistungen nicht finanzieren können, zum anderen weil sie häufiger von chronischen Erkrankungen betroffen sind.Die Soziologin und Krankenschwester Josefine Heusinger hat Pflegebedürftige in unterschiedlichen sozialen Milieus aufgesucht und ihre Situation verglichen. Im gehobenen Milieu ist genug Geld da, um sich die nötige Hilfe dazuzukaufen. Auf Qualität wird geachtet, gegenüber den Pflegediensten wird selbstbewusst aufgetreten. Die Studie kommt hier zum Milieu haben gute Chancen, ihren Pflegealltag selbstbestimmt zu regeln. Ganz anders im Feld der Armut: Frau K. lebt von Sozialhilfe, ihre Pflegeversicherung geht vollständig an den Pflegedienst. Die alte Frau hat niemanden, der sich sonst um sie kümmert. Zu ihren Söhnen hat sie keinen Kontakt, manchmal schaut eine Nachbarin vorbei. Die einzige verlässliche Quelle für ihre Pflegeorganisation ist die öffentliche Fürsorge. Wahlmöglichkeiten hat sie keine. Individuelle Bedürfnisse und Autonomie reichen offensichtlich immer nur so weit, wie die Kaufkraft der Einzelnen oder deren Familie reicht.

Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass Frauen mit geringem sozialem Status häufiger die Pflege übernehmen als Frauen mit höherem sozialem Status. Die größte Bereitschaft zum Selberpflegen besteht beim ärmsten Teil der Bevölkerung. Moralische Erwägungen zählen da weniger als Kostenabwägungen. Wer kein Geld hat, dem bleibt keine Wahl. Wer Geld hat, zahlt sich eine Pflegekraft. Die gesellschaftlichen Eliten singen zwar im Fernsehen das hohe Lied der aufopfernden Angehörigenpflege, suchen sich selbst aber im echten Leben die notwendige Unterstützung, die auch die Ärmeren bräuchten.

Ein Pflegenetz, das über die Familie hinausreicht, wirkt entlastend und reduziert soziale Ungleichheiten. Weiters entscheiden die Kriterien des Zugangs, der Umfang der gewährten Dienstleistungen sowie Formen der Finanzierung, ob sich eine sozial ausgleichende Wirkung ergibt, oder eben nicht.

Beispielsweise führte in Deutschland die getrennte Einrichtung einer einerseits sozialen Pflegeversicherung für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung und andererseits einer privaten Versicherung für Selbstständige, Beamte und höhere Einkommensbezieher zu einer geringeren Umverteilung der Ressourcen. Dieses Mehrklassensystem ist auch Ursache für die defizitäre Entwicklung der sozialen Pflegeversicherung. Generell kann man in Europa den Trend erkennen, dass Länder mit hoher Steuer- beziehungsweise Beitragsleistung auch einen größeren Umfang an Leistungen für alle Pflegebedürftige bereithalten egal ob arm oder reich. Ein guter Tag beginnt und endet mit einem gerechten Budget.